Tour-Blog / Teil 15

Doping: Wandel oder Weichspüler?

Von Andreas Schulz (Eurosport)

Foto zu dem Text "Doping: Wandel oder Weichspüler?"
Johnny Hoogerland (Vacansoleil-DCM) bei der Tour de France auf dem Weg zur Dopingkontrolle | Foto: ROTH

20.07.2011  |  Wie geht's uns denn heute? Zumindest einmal pro Tour muss die Gretchenfrage gestellt werden: Ist der Radsport auf dem Weg aus der Talsohle oder kurbelt er weiter eifrig auf die Klippe zu und stürzt endgültig in den Abgrund des Dopings?

Die Antwort ist, wie in den Jahren zuvor, schwer zu geben. Man bewegt sich auf dünnem Eis und kann seine Einschätzungen mit weniger Fakten belegen, als einem lieb ist.

Aber es zeichnet sich doch ein gewisses Bild ab, für welches das "maillot jaune" auch ein Symbol sein könnte. Spitzenreiter Thomas Voeckler will seine Führung zwar nicht überbewerten, er sei "nicht der Gradmesser für Doping im Peloton". Doch ist es sicher auch so, dass für anständige Fahrer "heute Dinge möglich sind, die vor zehn Jahren noch nicht möglich waren".

Wie für Jean-Christophe Peraud etwa, der aktuell Elfter der Gesamtwertung ist (und ohne den "Sturz-Stau" am ersten Tag Neunter wäre): "Ich habe nicht den Eindruck, es mit Marsmenschen zu tun zu haben", bringt er seine Beobachtungen bei der Tour-Premiere auf den Punkt.

Und Jérémy Roy, der auf dem besten Weg ist, die Rundfahrt als Ausreißer-König zu beenden, geht das Thema ebenfalls offensiv an: "Alle meine Leistungsdaten der Tour sind abrufbar, mein Hämatokritwert liegt bei 40% und ich zeige jedem Interessenten gerne meinen biologischen Pass. Zumal ich mich schon 2007 auf freiwilliger Basis über die Vereinigung "Athletes for Transparency" zu zusätzlichen Tests und deren Veröffentlichung bereiterklärt hatte."

Und eben diesen beiden Fahrern, die nun wirklich keine "Hinterbänkler" dieser Tour sind, stellt einer der kritischsten Begleiter des Radsports eine Unbedenklichkeitserklärung aus. "Es gibt mit ihnen mindestens zwei ungedopte Fahrer. Das stimmt mich fast enthusiastisch", so der einstige Festina-Trainer Antoine Vayer.

Aufwärtstrend statt Abwärtsspirale?

Dabei hatte er vor den Pyrenäen noch voller Pessimismus neue Rekordzeiten an den Schlussanstiegen prophezeit. Doch im Gegenteil, die Marken von Armstrong und Pantani wurden weit verfehlt. Dass dies nicht (allein) an Wind, Taktik oder Streckenführung lag, betont Frédéric Grappe, Frankreichs prominentester Leistungsdiagnostiker im Radsport: "Die Favoriten können sich nicht attackieren, weil sie am Anschlag fahren. Sie können nicht länger durchziehen, weil sie sich erholen müssen. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht zum Vorjahr. Was wir jetzt erleben, ist der wahre Radsport."

Auch andere, ebenso kompetente wie kritische Begleiter der Szene kommen in diesen Tage nicht umhin, ermutigende Zeichen zu konstatieren.

Ob Paul Kimmage oder Frankie Andreu, ob Christophe Bassons oder Jean-Pierre de Mondenard: Sie loben die jüngst ergriffenen Maßnahmen wie die "no needle policy" oder das Verbot für Dopingsünder, in Zukunft wichtige Positionen in Rennställen zu besetzen oder geben ihrem Bauchgefühl Ausdruck, dass sie ein zumindest deutlich sauberes Rennen als vor etlichen Jahren erleben.

Das Problem bleibt, dass dem Bauchgefühl weiter nur wenige Fakten als Beleg dienen können. Negative Tests, langsamer gefahrene Anstiege und persönliche Eindrücke und Einblicke sind keine unumstößlichen Beweise. Die wird es leider auch nie geben, es bleibt weiter auch eine Glaubensfrage. Aber das zarte Pflänzchen Hoffnung kann sich manchmal auch auf eine etwas breitere Datenbasis stützen.

Zur UCI-Liste hatte ich ja schon damals im Mai meine Meinung gesagt: Im Kern bleibt für mich ihre wichtigste Botschaft, dass sie einem Großteil des Feldes ein anständiges Zeugnis ausstellte - bei allen Schwächen auch dieses Instrumentes.

Und auch die Daten, die UCI-Chefmediziner Mario Zorzoli einer Expertenseite zur Verfügung stellte, zeigen in Hinblick auf Auffälligkeiten im Blutbild der Profis eine klare Entwicklung: Seit der Einführung des Blutpasses ist die Zahl entsprechend verdächtiger Proben um zwei Drittel gesunken.

Entwarnung? Keinesfalls!

Also alles dufte? Von wegen. Es ist weiter mehr als angebracht, die Tour nicht durch eine rosarote Brille zu verfolgen. Es gibt Schwächen, Lücken, Fehler. Aber es ist auch nicht angebracht, die Fortschritte zu ignorieren.

Das soll die Schattenseiten nicht verdecken. Denn klar ist: Während einerseits Fahrer wie Kolobnev mit einfach nachweisbaren Klassikern erwischt werden, betrügen am anderen Ende der Skala Profis und ihre Ärzte mit Substanzen, für die es noch kein Nachweisverfahren gibt.

Es wird mit Micro-Dosierungen gearbeitet, um nicht aufzufallen, das laxere Reglement hat zu einem "Comeback" der Kortikoide geführt und die Affären um das Teilzeit-Personal bei BMC und Omega Pharma zum Tourstart waren ein klares Warnsignal für verfrühte Blütenträume.

Deshalb ist es richtig, den Druck aufrecht zu erhalten. Ob die Durchsuchung eines Teambusses oder Tests im Abstand weniger Stunden - was im Einzelfall gehörig nervt, trägt im Gesamtbild zur unumgänglichen Abschreckung bei.

Kulturkampf und Clenbuterol

Mir scheint der Radsport auf einem guten Weg - wobei es eben DEN Radsport so gar nicht gibt: Es gibt Antreiber und Bremser im Kampf gegen Doping - und dazu jene, die noch unentschlossen zwischen beiden Lagern verharren.

Wenn Doper wie Valverde und Astarloza nach ihrer Sperre entgegen des einstigen Agreements der Top-Teams sofort wieder einen Platz in der 1. Liga finden, zeigt das genau, wo das Problem noch liegt.

Und es betrifft Fahrer, Teams, Veranstalter, Verbände, Journalisten und Fans. Zwischen den Extremen Zynismus und Naivität gäbe es ja noch Platz für andere Positionen...

Ich wünsche mir vor allem, dass die optimistisch stimmenden Zeichen aus dieser Tour nicht in einigen Wochen komplett unter der Lawine des anstehenden Contador-Urteils begraben werden - egal wie es ausfällt. Denn dann dürfte wieder der Holzhammer geschwungen werden, anstatt das durchaus heterogene Gebilde Profiradsport differenziert zu betrachten.

Abschließend ein kurzer Hinweis für alle, die nach der Tour noch zur Schwimm-WM nach China reisen (läuft bis zum 31. Juli): Dort haben die Veranstalter extra einen speziellen Restaurantführer herausgegeben. Dieser listet jene Etablissements auf, in denen man sicher sein könne, nicht unwissentlich mit Clenbuterol verseuchtes Fleisch aufgetischt zu bekommen. Kein Scherz.

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