Ojos del Salado/ Chile - mit dem Fatbike auf 6233 Metern

Guido Kunze: stellt neuen Fahrrad-Höhen-Weltrekord auf

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| Foto: Christian Habel

08.11.2014  |  Am 16. Oktober 2014 um 18:02 Uhr Ortszeit Chile stellte Guido Kunze einen neuen Höhenweltrekord mit dem Fahrrad auf: Der Extrem-Sportler aus Mühlhausen in Thüringen fuhr am Ojos del Salado mit seinem Fatbike von der Pazifik-Küste bis auf 6233 Meter.

„Das war echt eine ziemliche Hausnummer. Ich musste an meine körperliche Grenzen gehen“, erzählt Guido Kunze, was für den Ausdauer-Athleten, der vor 15 Jahren den Ultra-Bereich für sich entdeckte, so unbekannt nicht sein dürfte.

„So platt wie am Ojos war ich noch nie:
Ausgepumpt von Wind, Kälte und einem Sauerstoffgehalt in der Luft, der etwa bei der Hälfte des im Flachen Üblichen liegt.“ In den Anden drohte phasenweise sogar sein eiserner Wille nachzugeben, der ihn durch schon so viele verrückte Projekte getragen hat.

„Dieser dauernde Wind zerrt unglaublich an den Nerven - und an der Substanz“, so Kunze: „Wir waren auf alles vorbereitet, wir hatten alles besprochen, ich wusste, dass ich gegen Wind und Kälte und natürlich gegen die dünne Luft kämpfen würde. Aber alle Vorbereitung ist nichts gegen die Wirklichkeit.“

Je höher Guido Kunze auf dem Rad

und sein Begleitfahrzeug kamen – die Gesamtstrecke führte über 343 Kilometer und insgesamt 6899 Höhenmeter von Bahía Inglesa an der Pazifik-Küste an den Nordwest-Grat des Ojos del Salado – desto ungeschützter war er dem Wind ausgeliefert.

Windstille erlebte Guido nur selten. Dagegen völlige Stille, "das dürfen viele Menschen niemals erleben",  und unerfreulich hohe Geschwindigkeiten durchaus oft. Der viento blanco, der „weiße Wind“, erreichte in Spitzen 90 bis 100 km/h. Windstärke 10, schwerer Sturm. Nur gut, dass die Luftdichte in der Höhe abnimmt.

Selbst eine Flucht in den Windschatten
seines Begleitfahrzeugs hat nicht viel gebracht: Es gab keinen wirklichen Windschatten, und das Fahrzeug fuhr nicht die gleiche Linie. Aber für Sekunden war es eine Erholung.

„Man hat sich da auch nicht lange aufhalten können. Die Sonne schien immer noch, und ohne Wind stieg die gefühlte Temperatur rasant an. Also habe ich angefangen zu schwitzen, weil ich ja für fünf Grad eingepackt war, und nicht für 25.“

Bei seinem Weltrekord wurde der Inhaber eines Laufsport-Ladens,
den er mit seiner Freundin Gaby im thüringischen Mühlhausen betreibt, von der chilenischen Tourismus-Gesellschaft "Sernatur" unterstützt. Sie sorgte für einigen Pomp unterwegs: Ein ganzes Polizei-Korps begleitete den Mountainbiker 80 Kilometer lang per Motorrad-Eskorte, und die halbe Regional-Hauptstadt Copiapó wurde für die Durchfahrt des Thüringers gesperrt.

„Das war sehr angenehm, denn wir hatten schon Sorge, wie wir mit unseren Fahrzeugen – Kamera-Crew und Begleit-Team – durch die völlig überfüllte Stadt und den Staus an den Baustellen ohne große Verzögerung und zusammenhängend durch kommen sollten.

Und bei den hohen Temperaturen wäre ich an den roten Ampeln

übergekocht, da ich ja im Regen gestartet war, und zu diesem Zeitpunkt noch zu viel anhatte. Ich wollte aber mit dem umziehen bis zur ersten Pause nach 80 Kilometern warten.“

Bis auf etwa 900 Meter Höhe und knapp 150 Kilometer erwartete Kunze „normales Radfahren“. Dort, in der Nähe der Ortschaft La Puerta, entschieden sich Athlet und Begleiter für die landschaftlich interessantere von zwei möglichen Routen, obwohl diese rund zehn Kilometer länger, und vom Untergrund schwieriger zu fahren war.

„Die Monotonie der Wüsten-Landschaft zehrt an der Motivation.
Nirgendwo findet das Auge Abwechslung. Du starrst auf dein Vorderrad und das GPS-Gerät, weil nur dort etwas passiert. Auf dem GPS siehst du wenigstens, dass du tatsächlich vorwärts kommst!“

Die landschaftlich reizvollere und für die Motivation bessere Strecke windet sich durch den Canyon des Río Lama. Aber sie erfordert einen steilen Pass-Anstieg auf etwa 4600 Meter: Hinter jeder Haarnadel-Kurve im Fels verbirgt sich noch eine weitere…

Für Guido bringt diese Piste die erste Auseinandersetzung
mit einer Landschaft, die eher den Willen als nur die reine Physis fordert. Dumm gelaufen: Er fährt schließlich in der Nacht durch den Canyon. So werden die Rampen zwischen den Haarnadeln noch länger, und der erhoffte optische Motivations-Schub bleibt aus. Gerade das schöne Stück um die Laguna Santa Rosa

Weitere 80 Kilometer später, auf nun 4450 Metern Höhe, erreicht er auf der nach Argentinien weiterführenden Staatsstraße den Abzweig zum Ojos del Salado. Nicht weit entfernt am zweiten Salzsee, der Laguna Verde, hatte das Team zuvor ein Basis-Lager zur Akklimatisation und Erkundung eingerichtet.

Wind, Kälte und die immer dünner werdende Luft
machen sich jetzt stärker bemerkbar. Guido sitzt inzwischen etwa 27 Stunden reine Fahrzeit im Sattel, und die zweite Nacht bricht an. Alles weitere würde sich immer näher an der Todeszone mit immer niedrigerem Sauerstoffgehalt in der Luft abspielen.

„Die Todeszone meint beim Höhenbergsteigen eigentlich den Bereich über 8000 Meter“, erklärt Guido: „Oberhalb von etwa 4800 bis 5000 Meter kann der menschliche Organismus nicht auf Dauer überleben. Es ist auch keine echte Regeneration möglich.“

Kunze entscheidet deshalb, eine etwas längere Nachtruhe
einzulegen, weil die nächste sonst irgendwo über 6000 m stattfinden würde. Die Helfer werfen die Primus-Kocher an. Etwas Warmes essen und trinken; dann versucht Guido in der Schutzhütte des ersten Refugio so gut es geht ein wenig zu ruhen.

Kurz nach Sonnenaufgang bricht er wieder auf. Es soll das letzte Teilstück werden – und es wird brutal. Wie bei der Erkundung haben die Motorfahrzeuge wieder schwer mit den schlechter werdenden Verhältnissen zu kämpfen. Guido leidet vor allem unter Wind, Staub und Trockenheit.

Nur das Fatbike mit seinen dicken Reifen schnurrt
noch problemlos über Kies, Geröll, Sand und Blockwerk. „Der Hersteller Ghost hat alles richtig gemacht“, lobt Kunze sein für das Projekt eigens entwickeltes Bike: „Rahmen, Anbauten, Technik, Laufräder - alles ohne Pannen oder Stolperer. Wie gemacht, damit mir das Leben etwas leichter wird.“

Als erste ganz große Herausforderung entpuppt sich der Abschnitt zwischen 5200 und 5800 Metern, dort wo sich das zweite Akklimatisierungs-Biwak befindet. Guido muss zwei Stücke queren mit äußerst feinem Sand, wie aus der Sanduhr. Die Autos bleiben stecken, und müssen freigeschaufelt werden.

Den Druck in den Fat Tires seines Bikes lässt Guido
bis auf 0,3 bar ab, er schaltet in die niedrigsten Gänge – und dennoch bietet der Untergrund nicht den erforderlich Grip. Der Extrem-Biker muss erstmals sein Rad aus der Linie schieben, um auf einer anderen weiterfahren zu können.

Guido  geht nun zu jener Taktik über, die er bei der Erkundung festlegte: „Reintreten, bis ich blau oder schwarz bin. Wenn ich gerade noch koordiniert absteigen kann, eine Pause einlegen. Dann das ganze von vorn“, so Kunze. „Überrascht hat mich dabei, wie schnell ich regenerieren konnte.“

Am Nachmittag des 16. Oktober erreicht Guido

die 6000-Meter-Marke. Die Tour wird zunehmend zur Plackerei. Vom Unterstützungs-Team begleitet ihn Jan Lösekrug als Verpfleger weiter nach oben. Die höhenerfahrenen "Sichtzeit"-TV-Leute Armin Buchroithner und Christoph Hörner halten im Bild fest, dass von „Radfahren“ immer weniger die Rede sein kann. Sie filmen eher ein kurzes Rad-Bewegen, und stoßweises „In-die-Pedale-treten“.

Dann geht Kunze einmal mehr blau, und fällt ins Geröll. Mittlerweile nähern sich die Vier einem Schneefeld auf 6300 Metern Höhe, teils frischer Niederschlag vom Tag zuvor. Der Tag neigt sich dem Ende. Der Athlet ist körperlich ausgelaugt – völlig. Nicht zuletzt, weil der Gewichtsverlust während der Akklimatisierung höher ausfiel als erwartet.

„Außerdem war ich auch psychisch ernsthaft mitgenommen.
Dieser Kampf mit dem Sturm… Das ist ein Gegner, der in jedem Fall mehr Ausdauer hat als du!“ Alle befinden sich jetzt auf einer Höhe, in der auch Alltägliches zur Herausforderung werden kann.

Sollen sie hier auf 6200 Metern ein Not-Biwak aufschlagen? Darauf ist niemand wirklich erpicht. Sollen sie zurück ins Biwak auf 5800 Metern absteigen, und am Folgetag weitermachen? Um dann doch nur vielleicht 100 Höhenmeter bis zum Schneefeld weiterzukommen?

Guido und sein Team schauen auf die beiden Garmin-GPS-Computer,
die auch unter diesen Extrem-Bedingungen zuverlässig arbeiten. Um 18:02 Uhr Ortszeit beschließt Guido, dass es jetzt reicht. Nach genau 37 Stunden, 11 Minuten und 12 Sekunden reiner Fahrzeit sowie einer Strecke von 342,77 Kilometern hat er eine Höhe von 6233 Metern erreicht.

Neuer Rekord, genau dokumentiert auf seinen Garmins, und jeder Meter vom Kamera-Team gefilmt. So kommt auch im Februar 2015 eine einstündige Dokumentation, produziert von Red Bull Media House und der Firma "Sichtzeit". Perfekt dokumentiert, sollte der Eintragung bei Guinness World Record nichts im Wege stehen.

Zurückblickend gesteht Guido ein:
„Es ist erschreckend, wie weit man an seine Grenzen geht. Mit meinem Ziel vor Augen habe ich eine drohende Unterkühlung nicht wirklich realisiert. Jetzt kann ich auch Bergsteiger besser verstehen, wenn sie drohende Katastrophen kurz vor dem Ziel nicht mehr richtig erkennen. Alles wird dem Ziel untergeordnet."

Christoph Hörner und Armin Buchroithner, die höhenerfahrenen Kameraleute, haben sofort noch auf 6233 Meter mit Bergrettungs-Technik Guidos Körper und vor allem die Hände wieder auf Temperatur gebracht.

"So war ich erst einmal fit für den Abstieg",
erzählt Guido weiter: "Aber die Freude war dennoch riesig. Und zurück bei den anderen Team-Mitgliedern, wurde die Freude noch größer. Aber auch am nächsten Tag, inzwischen zurück am Startpunkt Bahía Inglesa, war die Durchblutung von Fingern und Zehen noch nicht ganz wieder normalisiert.“

Mittlerweile ist Kunze wieder daheim, gesund und munter. Und so langsam werden ihm auch die schönen Erlebnisse bewusst: Weite, Einsamkeit, der unglaublich klare Sternenhimmel… Aber ein richtiges Bett, Sauerstoff ohne Ende und eine heiße Dusche – das hat schon auch was...

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