Gedanken zum Giro-Sieg des Briten

Froome hat keinen “Landis gemacht“, aber dass er fährt, tut weh

Von Felix Mattis

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Chris Froome (Sky) ist Sieger des Giro d´Italia 2018. | Foto: Cor Vos

29.05.2018  |  (rsn) - Fünf Tage ist es her, dass die radsport-news.com-Redaktion vor dem Café 3klang auf dem sonnigen Riegerplatz in Darmstadt zum Redaktionstreffen zusammensaß und die Planungen für die Tour de France begann, während gut 700 Kilometer südlich in Susa die 19. Etappe des Giro d'Italia startete. Die Italien-Rundfahrt schien vorentschieden, der Versuch von Chris Froome (Sky), alle drei Grand Tours hintereinander zu gewinnen, schien gescheitert.

Doch als sich das Meeting in Darmstadt dem Ende zuneigte und wir den Eurosport Player öffneten, um zu schauen, was am Colle delle Finestre passiert, trauten wir unseren Augen kaum: Sieben Minuten Rückstand für den Rosanen Simon Yates (Mitchelton-Scott), Froome allein vorne weg, und dazwischen in unterschiedlichen Kleinstgruppen die anderen Protagonisten.

In den folgenden Stunden wurde Radsport-Geschichte geschrieben, und am Abend hatten Anhänger des Sports weltweit Bauchschmerzen und kratzten sich am Kopf. Konnte das wirklich mit rechten Dingen zugegangen sein?

Auf den Social Media-Kanälen wurde Froomes Solo über Finestre und Sestriere nach Jafferau mit jenem Ritt von Floyd Landis bei der Tour de France 2006 verglichen, der den US-Amerikaner einen Tag nach seinem Untergang wiederauferstehen ließ und später ins Gelbe Trikot beförderte - nur um wenige Tage nach der Tour des Testosteron-Dopings überführt zu werden. Auch Marco Pantanis Fahrt ins Gelbe Trikot in Les Deux Alpes 1998 wurde angeführt, und weitere 'Mehr-oder-weniger-Heldentaten' vergangener Zeiten.

Sunweb-Sportdirektor Marc Reef tat gut daran, im Eurosport-Interview nach der Etappe derartigen Vergleichen aus dem Weg zu gehen. Man merkte dem Niederländer an, dass er das Geschehene nicht fassen konnte. Doch Reef wusste auch, dass diese Vergleiche - vor allem der mit Landis - hinkten.

Fünf Tage ist das her. So langsam haben sich die Bauchschmerzen gelegt, die aufgekratzten Stellen am Kopf sind verheilt, und die Gedanken sind geordnet. Doch die Antwort auf die Frage, ob das alles sauber abgelaufen ist, weiß niemand außerhalb des Team Sky.

Hinderten Froomes Verletzungen den Briten daran, zu früh zu tief zu gehen?

Nach seinem Sturz vor dem Auftaktzeitfahren in Jerusalem und der relativ schwachen ersten Giro-Hälfte des Briten, überraschte seine Rückkehr am Monte Zoncolan. Für den dortigen Kraftakt bezahlte er jedoch tagsdrauf in Sappada. Auch im Zeitfahren der 16. Etappe war er nicht so stark, wie man es von einem Chris Froome kennt. Und dann drei Tage später dieser Ritt durch die Alpen, mit dem er die gesamte Konkurrenz deklassierte?

Nicht nur Froome, auch sein Team steigerte sich bereits am Zoncolan und dann zum Ende der dritten Giro-Woche hin immens. Die Argumentation, Sky habe sich während des Giros erst in Form gefahren, hinkt. Denn stärker wird man während einer dreiwöchigen Rundfahrt bei wachsender Müdigkeit nicht. Aber vielleicht "weniger schwächer" als die Konkurrenz? Ein Erklärungsversuch:

Froome hat die Erfahrung von vier Tour-Siegen und weiß, wie er sich seine Kraft über drei Wochen einteilen muss. Zusätzlich könnte es ihm im Nachhinein sogar geholfen haben, dass ihn sein verletzter Körper zu Giro-Beginn einschränkte. Während er Schadensbegrenzung betrieb, versuchten die Anderen mitzugehen, als Simon Yates von Beginn an Vollgas gab.

"Natürlich kann es sein, dass ich in der dritten Woche explodiere wegen all der Anstrengungen jetzt", sagte Yates bereits nach der 11. Etappe in Osimo. "Aber nicht nur ich muss Energie aufbringen, auch die Anderen, um keine Zeit zu verlieren." Und genau so kam es.

Dumoulin sah Froomes Husarenritt kommen

Froome hingegen machte das Beste aus seinem angeschlagenen Zustand, zu dem wohl bis zu einem ominösen Wechsel seines Sattels für die Alpen-Etappen auch Sitzprobleme gehörten. Während viele ihn abschrieben - nicht übrigens seine Kontrahenten - hielt er die Verluste doch noch gerade so im Rahmen und brachte seine Beine dafür vermutlich aber auch nicht drei Wochen lang so tief in den roten Bereich wie die Konkurrenz.

Dass sein Ritt auf der 19. Etappe denkwürdig war, keine Frage. Eine sensationelle Überraschung aber war er nicht. Tom Dumoulin (Sunweb) kündigte die Fahrweise von Sky bereits am Vorabend auf der Massagebank im Gespräch mit seinem Sportlichen Leiter und morgens im Mannschaftsbus bei der Teambesprechung an: "Was passieren wird ist, dass Sky einige Fahrer in die Gruppe schickt, Poels dann am Finestre ein superhartes Tempo anschlägt und Froome einige Kilometer vor dem Gipfel attackiert, um zu seinen Teamkollegen in der Spitzengruppe vorzufahren - 100-prozentig wird es so laufen", sagte Dumoulin da, und am Vorabend: "Wenn ich über eine Minute hinter Froome am Gipfel bin, wird es sehr schwer."

Zwar gelang es Sky nicht, 'Relais-Stationen' für Froome in einer Spitzengruppe unterzubringen, weil Mitchelton-Scott alle Ausreißer zurückholte. Aber die Taktik sah genau so aus, wie von Dumoulin prognostiziert. Und sie hatte den Effekt, dass die Australier platt waren, als Elissonde, Poels und Froome am Finestre Rambazamba machten.

Froome hat keinen "Landis gemacht"

Dumoulin erreichte den Gipfel zwar mit unter einer Minute Rückstand, doch in der Folge machte er den Fehler, in Abfahrten auf Thibaut Pinots Helfer Sebastien Reichenbach zu warten und ihn als Zugpferd einzusetzen, was viel Zeit kostete - "Er fuhr ab wie meine Oma", so Dumoulin. Im Flachen und am Berg verfolgte Dumoulin Froome quasi alleine - mit etwas Hilfe von Reichenbach, der aber nicht stark genug war, und mit Pinot, Miguel Angel Lopez sowie Richard Carapaz am Hinterrad. Den Schlussanstieg von Jafferau fuhr Froome nicht mehr schneller hoch als seine Verfolger.

Das ist der große Unterschied zu Landis 2006, der allein gegen ein ganzes Peloton fuhr und kontinuierlich Zeit herausholte, um sogar am Col de Joux Plane kurz vor dem Ziel in Morzine schließlich noch schneller zu klettern als fast alle Anderen.

Ja, Froome und Team Sky ließen die Radsportwelt am vergangenen Freitag einmal mehr mit offenen Mündern zurück und man muss sich sicherlich fragen, ob beim Comeback des Briten während dieses Giros alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Aber das muss man sich eben immer fragen. Denn man weiß es nicht. Und deshalb sollte man auch nicht so tun, als wüsste man es.

Fast niemand versteht das System und die Regeln

Vergleiche wie der mit Landis schaden dem Sport genauso, wie die immer wieder falschen Darstellungen der Salbutamol-Affäre um den Briten als "Dopingvergehen". Fakt ist, Froome ist laut WADA-Regularien kein Dopingsünder, bis das Verfahren abgeschlossen ist - weil es eben nicht EPO oder Testosteron war, mit dem er erwischt wurde, sondern eine zu hohe Salbutamol-Konzentration in seinem System. Das kann Doping - nämlich eine zu hohe Dosierung des Mittels - bedeuten, muss es aber nicht. Und genau deshalb ist Froome auch startberechtigt.

Es wäre zu wünschen, dass solche Fälle schneller geklärt oder dank strikterer und klarerer Regularien gar nicht entstehen würden. Warum das Verfahren noch immer läuft und wie es verläuft, auch darüber wäre mehr Transparenz wünschenswert. Und es wäre mit etwas Naivität sogar zu wünschen gewesen, dass Team Sky seinen Fahrer während des laufenden Verfahrens nicht bei Rennen eingesetzt hätte und mit der ganzen Situation anders umgegangen wäre. Denn die Kommunikations-Strategie der Briten sorgt in Verbindung mit den Erfolgen dafür, dass das Team und Froome schon immer kritisch beäugt werden und nicht besonders beliebt sind.

Deshalb war es klar, dass Froomes Anwesenheit beim Giro dem Image des Sports schaden würde, weil Großteile der Öffentlichkeit, der Medienvertreter und sogar des Radsports selbst, wie sich jetzt auch an Aussagen von Bernard Hinault gezeigt hat, die Fakten leider nicht verstehen.

Das Schlimmste für den Radsport ist aber: Bei der Tour de France wird sich das alles potenzieren, wenn der Fall bis dahin nicht geklärt ist. Und selbst wenn Froome freigesprochen werden sollte, der Schaden ist durch das lange Verfahren längst angerichtet und es wird ewig dauern, ihn wieder zu reparieren.

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