Europas größtes Zeitfahren - Rennbericht

King of the Lake: Blindflug unterm Zeitfahrhelm - in die Top Ten

Von Holger Koopmann

Foto zu dem Text "King of the Lake: Blindflug unterm Zeitfahrhelm - in die Top Ten"
| Foto: Gottfried Gärtner

20.09.2022  |  Die Uhr tickt gnadenlos herunter. Meine Chance, den King of the Lake 2022 unter einer Stunde zu absolvieren, ist kurz hinter dem Teufelslappen, der 1000-Meter-Marke vorbei. Stattdessen zählen die Sekunden nun genauso gnadenlos aufwärts. Also nochmal volle Konzentration für die Zielkurve, eigentlich die einzige echte Kurve bei Europas größtem Zeitfahren, wo man die Aero-Position verlassen und anbremsen muss, bevor es auf die finalen 300 Meter ins Ziel am Seepark Kammer geht.

Rückblick: Die "AtterBiker" um OK-Chef Erwin Meyer hatten auch
in diesem Jahr alles für einen perfekten Tag am See vorbereitet - doch das Wetter machte ihnen einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Bereits seit Tagen waren für den Renntag Dauerregen vorhergesagt, bei acht Grad und kräftigem Westwind, mit Böen bis zu 50 km/h. "Den King of the Lake gibt es jetzt seit zwölf Jahren, und bisher hatten wir immer bestes Wetter", sagte mir Erwin Meyer zwei Tage vor dem Rennen: "Dieses Jahr muss ich schauen, ob ich die Fan-Zonen überhaupt aufbauen kann, wie ich die Pavillions gesichert bekomme, und wo ich die Hotseats wettergeschützt platziere."

Doch Meyer wäre nicht Meyer, wenn er und sein Team nicht auch dafür Lösungen gefunden hätte - die Truppe ist bestens eingespielt, das merkt man: Nur so konnte dieser Wettbewerb innerhalb weniger Jahr so wachsen und sich einen Kult-Status erarbeiten. Entsprechend groß ist jedes Jahr im März die Nachfrage nach den Startplätzen, die mittlerweile per Losentscheid vergeben werden.

Am Renntag blieb es entgegen der Vorhersagen
am Morgen zunächst trocken, der angekündigte Regen verschob sich Stunde um Stunde nach hinten. Die Starter/innen des Zehner- und des Vierer-Mannschafts-Zeitfahrens konnten noch auf trockenen Straßen starten, um 13/30 Uhr setzte der Regen dann doch noch ein. Die beim Zeitfahren ohnehin notwendige mentale Stärke war jetzt noch mehr gefordert, denn bei 40 bis 50 km/h Renn-Geschwindigkeit fühlen sich regennasse acht Grad an wie um null Grad...

Ich hatte mir in den Tagen zuvor viele Gedanken um die Reifenhaftung gemacht: Bei nasser Fahrbahn habe ich so meine Schwierigkeiten, wenn es um die Kurve geht. Auf den speziellen Zeitfahr-Reifen, die nicht den besten Wet-Grip haben, und auf den Aufliegern, in der Zeitfahr-Position, ist Nässe nochmal ein ganz anderes Ding. Letztlich gab es für mich aber nur eine Möglichkeit, wenn ich den im vergangenen Jahr durch einen Kettenabwurf entgangenen Podiums-Platz erreichen wollte: Augen zu und durch!

So finde ich mich um 15/04 Uhr auf der
Startrampe wieder und warte voller Ungeduld die letzten 45 Sekunden ab, bis ich losrollen kann. Schnell finde ich einen guten Rhythmus; zu Beginn hat die Strecke aber nur leicht geschwungene Kurven, die auch nass gut zu nehmen sind und mir nach und nach ein sichereres Gefühl vermitteln. Die Beine fühlen sich trotz Kälte gut an - und so lasse ich es laufen. Meine Watt-Werte sind etwas über dem geplanten Bereich, aber der Wind kommt leicht schräg von vorn, und so investiere ich zunächst einmal etwas mehr.

Doch an der ersten Zwischenzeit nach zwölf Kilometern liege ich ein ganzes Stück hinter meinen Zeiten der Vorjahre. Aber der Gegenwind ist deutlich spürbar und die Watt-Zahlen gut, ich lasse mich nicht demotivieren - denn auch die anderen Teilnehmer/innen werden langsamer als in den Vorjahren unterwegs sein. Ich bleibe konzentriert, was im Abschnitt rund um die Südspitze des Sees, zur zweiten Zwischenzeit bei Kilometer 34, auch dringend nötig ist.

Der Regen wird nun stärker,
und unter den angrenzenden Bergen ist es noch kälter. Ich habe dadurch zwei Probleme: Meine Finger werden klamm, was jedes Schalten zu einer kleinen Herausforderung macht. Und mein Visier beschlägt von innen immer mehr. Jetzt wird mein Zeitfahrhelm ein wenig zum Verhängnis, denn das Visier lässt sich nicht abnehmen. Es bleiben mir nur zwei kleine Punkte auf Augenhöhe, durch die ich die Strecke mehr schlecht als recht erkennen kann; so absolviere ich die folgenden rund 15 Kilometer fast im Blindflug.

Im Anstieg an der Wende in Unterach fahre ich auf einen größeren Pulk vor mir gestarteter Fahrer auf. Meine Beine fühlen sich immer noch fantastisch an, so ziehe ich bergan an ihnen vorbei und nehme mein Tempo direkt wieder auf. Richtung Nußdorf fliege ich dem Ziel nur so entgegen: Jetzt kommt der Wind leicht schräg von hinten, meine Geschwindigkeit ist deutlich höher als auf dem Hinweg.

Nachdem ich es mir eigentlich schon
aus dem Kopf geschlagen habe, bei diesen Bedingungen die Strecke endlich einmal in unter einer Stunde zu absolvieren, rückt das nun wieder in mein Bewusstsein. Und an der Zwischenzeit in Nußdorf kann ich endlich wieder mehr sehen. Das ist auch dringend nötig, denn auf den restlichen 13 Kilometern kommen einige Kurven, die auf nasser Strecke definitiv nicht in Zeitfahr-Position gefahren werden können. Zwar hat es inzwischen aufgehört zu regnen, und die Bedingungen werden auf den letzten Kilometern langsam besser. Doch ich muss nun mehrfach die Aero-Haltung verlassen und die Kurven vorsichtig anfahren, was mich einiges an Zeit kostet.

Zum Glück fühlen sich meine Beine weiterhin richtig gut an. Während ich in den Vorjahren zwischen Nußdorf und Buchberg immer einen kleinen Einbruch hatte, kann ich in diesem Jahr meine Watt-Zahlen weiter halten - und ich bin mir sicher, dass das bis ins Ziel so bleiben wird. Doch an der 1000-Meter-Marke ist klar, dass ich die Stunde auch dieses Jahr nicht knacken werde.

Ich gebe trotzdem weiter Vollgas,
gehe in die Zufahrt auf die Zielkurve: Nochmal volle Konzentration, anbremsen und wieder beschleunigen. Ich fighte bis zum letzten Meter - und erreiche das Ziel nach 1:00:53 h, mit der aktuellen Bestzeit. Schnell werde ich von Betreuern in eine warme Decke gewickelt und zum Hotseat im Festzelt geführt, wo ich das Rennen fortan im Livestream verfolge. Ich sehe, wie die Favoriten bei nun etwas besseren Bedingungen meine Zwischenzeiten nach und nach unterbieten. Doch werden sie ihr Tempo bis zum Schluss durchhalten können? Dass der Sieg für mich außer Reichweite ist, wird recht schnell klar - doch der Kampf um Platz drei läuft...

Am Ende schaffen es nur zwei Fahrer, unter einer Stunde zu bleiben. Die Plätze zwei bis sieben liegen gerade mal 19 Sekunden auseinander, ich folge mit etwas Abstand auf Platz acht. Mein Resüme: Beim fünften Start zum vierten Mal in die Top Ten gefahren, zum zweiten Mal in Folge die Altersklasse gewonnen. Ich bin mega-happy und freue mich jetzt schon auf den 13. King of the Lake, am 16. September 2023 am Attersee.

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