Kommentar zum Chaos beim Algarve-Auftakt

Die elende Schuldfrage und ein Dank an die “blauen Engel“

Von Felix Mattis

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Nach dem Chaos in Lagos kletterten einige Fahrer über die Bande auf die echte Zielgerade zurück, um doch noch über den Zielstrich zu kommen. | Foto: Cor Vos

20.02.2025  |  (rsn) – Die 1. Etappe der Volta ao Algarve (2.Pro) ist in Lagos im großen Chaos zu Ende gegangen und wurde von der UCI-Jury schließlich sogar annulliert, weil die Kommissäre "keine sportliche Entscheidung" gesehen hatten. Zwar fuhr Filippo Ganna (Ineos Grenadiers) als Erster über den Zielstrich, weil er als einer der wenigen Fahrer den Durchblick behalten und den richtigen Weg im letzten Kreisverkehr rund 900 Meter vor dem Ziel gewählt hatte. Doch belohnt wurde er dafür leider nicht.

Weil nach dem Rennen offenbar nicht final geklärt werden konnte, warum der allergrößte Teil des Feldes in der direkten Vorbereitung des Massensprints vor Ganna falsch abgebogen und in die Ableitung für die Begleitfahrzeuge gefahren war – also wegen mangelhafter beziehungsweise gar fehlerhafter Anzeigen der Offiziellen vor Ort oder doch durch Desorientierung der Fahrer selbst? - blieb der Jury kaum eine andere Wahl, als das Rennfinale zu neutralisieren und die Etappe insgesamt damit zu annullieren.

Viel wichtiger war aber, dass in Lagos alles gut gegangen war. Mit dem Chaos nämlich rückte an der Algarve die Sicherheitsproblematik des Radsports wieder in den Fokus. Denn dass das Peloton im Rücken der Zuschauer ohne jedes Absperrgitter mit Vollgas auf einen Massensprint zurauschte, war lebensgefährlich für Fahrer wie Zuschauer. Ein falscher Schritt eines Fans und es hätte zur Katastrophe kommen können. Deshalb stellte sich unmittelbar nach dem Rennen sofort die Schuldfrage und fast wie per Reflex standen die Veranstalter im Fokus.

Kein Wunder, könnte man sagen, nach den Vorkommnissen allein der letzten vier Wochen: der Fahrbahnschweller auf der Zielgeraden der Schlussetappe der Tour de la Provence am vergangenen Sonntag in Arles, der für den Horror-Crash von Pascal Ackermann (Israel – Premier Tech) sorgte; der nicht ausreichend gepolsterte Mast direkt am Straßenrand in der unmittelbaren Sprint-Vorbereitung auf der 3. Etappe der AlUla Tour am 30. Januar, gegen den Nils Eekhoff (Picnic – PostNL) prallte.

Hinzu kommt die schlechte Sicherung beim Etoile de Bessèges am 6. und 7. Februar, wo mehrmals Autos auf die Strecke fuhren, sowie das Ausbleiben einer schnellen Reaktion der Organisatoren der Mallorca Challenge auf extrem glatten Straßen bei der Trofeo Andratx – Pollenca am 1. Februar. Doch in Lagos an der Algarve nun erneut die Veranstalter allein verantwortlich zu machen, wäre zu einfach. Denn wodurch entstand die größte Gefahr eigentlich?

Renndirektor Sousa macht Zugeständnisse

Vor dem Kreisverkehr stand ein in Rot gekleideter Motorrad-Marshall und deutete in die richtige Richtung – das aber eben nicht besonders vehement und lediglich mit seiner rechten Hand, anstelle der in der anderen Hand nach unten hängenden roten Fahne. Noch weniger sichtbar für das sich nähernde Peloton war ein am Kreisverkehr positionierter Polizist, der ebenfalls nur zaghaft die richtige Fahrtrichtung anzeigte.

Es scheint naheliegend, dass 'der richtige Weg' nicht deutlich genug angezeigt und 'der falsche Weg' nicht deutlich genug ausgeschlossen wurde, während gleichzeitig das Abbiegen des TV-Motorrads in die Ableitung für Verwirrung sorgte. Wäre diese Ableitung nicht erst im Kreisverkehr gelegen, sondern schon vorher durch einen schmalen Korridor an Absperrgittern auf der rechten Straßenseite angedeutet worden, hätte das wohl sehr geholfen.

Renndirektor Sergio Sousa räumte ein: "Die Strecken-Informationen waren alle da und es war klar, dass die Fahrer am letzten Kreisverkehr links fahren mussten. Aber Fakt ist, dass einige rechts gefahren sind, in eine Spur parallel zur Zielgerade. Das war eine Fehlentscheidung vom Peloton, aber es macht auch deutlich, dass wir nicht genug dafür getan haben, das zu vermeiden – was wir sehr bereuen."

Peloton muss sich auf Streckenposten verlassen können

Die Ankunft in Lagos war dem Großteil des Pelotons bestens bekannt. Das sah man im TV-Bild auch daran, dass sich einige Fahrer wie John Degenkolb (Picnic – PostNL) zunächst nach links orientierten und erst nach rechts lenkten, als sie merkten, dass dort der große Schwarm hinfuhr. Erstens stand die Ankunft auch schon in den vergangenen Jahren immer wieder im Programm, zweitens besichtigen viele Teams am Tag vor einer Rundfahrt oft das Finale der 1. Etappe und drittens machte auch das Roadbook unmissverständlich klar, dass die Fahrer links fahren sollten.

Das alles ist aber egal. Schließlich muss sich das Peloton auf die Ausschilderungen sowie die Streckenposten an Ort und Stelle verlassen können! Denn was passiert, wenn durch einen Notfall die Streckenführung kurzerhand geändert werden muss? Dann will sicher auch kein Rennveranstalter, dass die Radfahrer stur dem folgen, was am Vorabend im Roadbook stand. Egal, wie oft man schon dort war, es braucht klare Wegweiser, um in der Hitze des Gefechts jeden Zweifel auszuräumen.

Rennveranstalter brauchen mehr Hilfe

Dabei drängt sich mehr und mehr die Frage auf, ob gerade die kleineren Rennen unterhalb der WorldTour nicht mehr mit der rasanten Entwicklung des Pelotons und des Sports an sich mithalten können? Adam Hansen hat als Präsident der Profivereinigung CPA Anfang Februar genau deshalb angeregt, dass es Zusammenarbeit unter den Rennveranstaltern geben und die großen Player wie ASO, Flanders Classics, RCS und Unipublic ihr Wissen teilen müssten.

Gerade in Absperrungsfragen, das darf man wohl unterstellen, liegen Mängel aber wohl meist weniger an fehlendem Wissen, als an fehlenden finanziellen Mitteln – etwa für die Licht- und Geräuschsysteme, die beispielsweise bei belgischen Klassikern oder auch Rennen wie der Deutschland Tour inzwischen eingesetzt werden. Systeme, die teuer sind. 

Ein simpler Ordner mit einer Fahne, der auch gar nicht richtig platziert ist, reicht heutzutage nicht mehr aus, wenn das aerodynamisch perfektionierte Fahrerfeld mit häufiger nach unten als nach vorne gerichtetem Blick heranrauscht. Insofern ist der Veranstalter, wie Renndirektor Sousa anerkannte, ganz klar in der Verantwortung, mehr zu tun.

Arnaud De Lie (Lotto) merkte trotzdem aber nicht ganz zu Unrecht an, dass die Fahrer selbst auch mit in der Verantwortung sind, sich das Etappenfinale einer Sprintankunft gut anzusehen und zu merken. "Jeder weiß, dass das Motorrad an einem bestimmten Punkt abbiegt und nicht zum Ziel fährt", sagte der Belgische Meister und fügte hinzu: "Heutzutage stehen uns Fahrern so viele Werkzeuge zur Verfügung, um die Strecke zu erkunden. Da sollte so etwas nicht passieren!"

McEwen: "Sie wissen, dass sie falsch sind und sprinten weiter"

Tatsächlich bemerkte Jarrad Drizners (Lotto), der an der Spitze des Feldes dem TV-Motorrad hinterherfuhr und es so falsch in den Kreisverkehr hineinführte, den Fehler sehr schnell. Er richtete sich schon an der Ausfahrt aus dem Kreisverkehr auf und zeigte mit der Hand klar an: 'Wir sind doch falsch!'

Trotzdem aber gingen hinter und neben ihm harte Positionskämpfe und die Sprintvorbereitung der anderen Fahrer knallhart weiter, obwohl einige dieser Fahrer ganz klar gesehen hatten, dass etwas nicht stimmte und sogar schon selbst kurzzeitig Tempo herausgenommen hatten – als ob man Scheuklappen angelegt hätte oder hoffen würde, dass nun eben die Ziellinie auf die Gegenfahrbahn verlängert würde. "Sie wissen, dass sie falsch sind und sprinten trotzdem weiter", stellte Sprint-Legende Robbie McEwen im Eurosport-Kommentar erstaunt fest.

Deshalb musste ein großer Dank in Lagos sowohl von den Veranstaltern als auch den Fahrern an die blau gekleidete Shimano-Crew von den neutralen Material-Motorrädern gehen, die die Situation am schnellsten durchschaute und auf der 'falschen Zielgerade' mit Gesten dafür sorgte, dass einige Fahrer endlich abbremsten, bevor in Richtung falscher Ziellinie immer mehr Zuschauer auf der Straße standen.

Alle gemeinsam sind in der Verantwortung

"Daran merkte ich, dass etwas nicht stimmt", erzählte etwa Jordi Meeus (Red Bull – Bora – hansgrohe), der bis zu diesem Moment noch voll im Sprint-Modus gewesen war und als Erster auf der Gegenfahrbahn am Zielbogen vorbeikam, nach dem Rennen von den gestikulierenden 'blauen Engeln'.

Unterm Strich dürfte daher bleiben, dass es für das Chaos von Lagos nicht einen einzigen Schuldigen gab, sondern dass alle Parteien in der Verantwortung sind. Wie so oft im Leben muss jeder Beteiligte hinterfragen, war er tun kann, damit es nicht nochmal zu einer solchen Situation kommt, die schließlich zu einer Katastrophe hätte führen können.

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