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18.07.2021 | (rsn) – 15 Jahre lang stand Grischa Niermann als Fahrer in Diensten des Teams Rabobank. Auch in den darauf folgenden neun Jahren blieb der Hannoveraner seiner Mannschaft treu und arbeitete zudem als Nachwuchstrainer für den niederländischen Verband. Mittlerweile ist er zum Sportlichen Leiter des Rennstalls aufgestiegen und führte in den vergangenen Jahren seine Mannschaft bei der Tour de France zu bemerkenswerten Erfolgen. Auch am Ende der 108. Frankreich-Rundfahrt stimmt die Bilanz, seine Fahrer bestätigten, dass Jumbo – Visma eines der führenden Teams im Tourpeloton ist.
Durch Wout Van Aert und Sepp Kuss gab es insgesamt drei Etappensiege, dazu landete Debütant Jonas Vingegaard auf Rang zwei der Gesamtwertung und war die Entdeckung der diesjährigen Tour. Dabei verlor Jumbo - Visma durch frühe Stürze gleich drei Fahrer verlor, darunter den Vorjahreszweiten Primoz Roglic. Doch die jahrelange Arbeit, speziell in der Sichtung neuer Talente, machte sich bezahlt und der 24-jährige Vingegaard sprang für seinen slowenischen Kapitän in die Bresche und egalisierte dessen Ergebnis von 2020.
"Mein Wissen über das Erkennen von Talenten stammt zum Großteil aus meiner Rabobank-Zeit. Außerdem habe ich noch viele Kontakte zu Kollegen, die heute für kleinere Teams tätig sind. Ich höre lieber auf einen Sportdirektor, der mir auf ein junges Talent hinweist, als auf einen Manager", erklärte Niermann in einem längeren Gespräch mit dem Onlineportal wielerflits.nl, in dem er über die Entdeckung sowohl von Vingegaard als auch Kuss berichtete.
Den US-Amerikaner sah er erstmals bei der Kalifornien-Rundfahrt 2017. Dort fuhr sich der damals 22-Jährige im Trikot von Rally Cycling auf Niermanns Schirm. "Auf dem Mount Baldy wurde er Zehnter. Aber der Moment, in dem ich wusste, dass ich mit dem Jungen reden muss, kam am letzten Tag. Wir sind für unseren Leader George Bennett auf dem Zahnfleisch gefahren, um den Gesamtsieg zu holen. Kuss schaffte dann bei einem Anstieg alleine den Sprung in die Spitzengruppe ", erinnerte sich der 45-Jährige.
In Absprache mit Teamchef Merijn Zeeman kontaktierte er Kuss auf der Party am Ende des kalifornischen Rennens. "Er hatte schon ein oder zwei Bier getrunken", erinnerte sich Niermann. "Persönlich habe ich an diesem Abend gespürt, dass Sepp wirklich interessiert war. Ich empfand ihn als netten Kerl und hatte das Gefühl, dass er gut zu uns ins Team passt", so der Deutsche.
Niermann hatte Vingegaard zuerst nicht am Schirm
Die folgenden Tests der niederländischen Mannschaft bestätigen bestätigten dem Team, dass Niermanns goldrichtig gelegen hatte. Mit seinen starken Vorstellungen in den vergangenen beiden Jahren unterstrich der aus Colorado stammende Kletterer, dass er zu den stärksten seiner Zunft gehört. In Andorra, seiner neuen Wahlheimat, stürmte Kuss auf der 15. Etappe zu seinem ersten Tour-Tagessieg.
Den offenbar noch etwas größeren Fang machte Niermann aber auf einem dänischen Fischmarkt. Dabei war Niermanns Fokus gar nicht auf Jonas Vingegaard, sondern auf Julius Johansen vom Team ColoQuick gerichtet. Doch der kräftige Däne konzentrierte sich auf die Bahn, ist mittlerweile mit dem Vierer Weltrekordhalter und greift in Tokio nach Olympiagold. "Er wollte sich auf den Bahnradsport konzentrieren und auch solange keinen Profivertrag unterschreiben. Dann wurden die Spiele noch verschoben und so hat uns sein Sportdirektor dann auf Jonas hingewiesen und ihn als echtes Supertalent bezeichnet", erklärte Niermann, wie der Kontakt zu Vingegaard zustande kam.
Der bewegte sich auch aufgrund einer Verletzung unter dem Radar der meisten Scouts. "Ich hatte noch nie was von ihm gehört. Sein Sportdirektor erzählte mir dann die Geschichte, dass er noch am Fischmarkt jobbte. Daraus schloss ich, dass er wahrscheinlich noch über gigantisches Wachstumspotenzial verfügt", erzählte der deutsche Talentfischer, der Zeeman auf eine schnelle Verpflichtung drängte und ihm früh einen Vertrag anbieten wollte, ehe Vingegaard mit einem L’Avenir-Etappensieg bei anderen Teams auch auf der Wunschliste landen könnte.
Niermann: "Heute hat jeder Junior schon einen Manager"
Den sensationellen Durchmarsch an die Weltspitze, den der Däne in den letzten drei Wochen bei der Tour de France hinlegte, überraschte aber auch Niermann: "Wir wussten, dass wir ihn in der Zukunft eine solche Rolle zutrauen können, hatten aber nicht vorhergesehen, dass er diesen Prozess jetzt schon schafft." Denn zunächst war Vingegaard nicht für den Tourkader vorgesehen, rutschte erst nach der Rennpause von Tom Dumoulin ins Aufgebot. Ursprünglich sollte der Tourzweite nämlich zur Vuelta. "Dort zeigte er bereits 2020 auf, nach einer wirklich sehr schlechten Vorbereitung, da er kurz davor Vater wurde", erinnerte sich Niermann.
In einer wirklich katastrophalen ersten Woche war Vingegaard der Lichtblick im Team. Und von Tag zu Tag wuchs der Neuling immer mehr in die Führungsrolle hinein und war neben Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) der einzige Fahrer im Feld, der den Tourdominator Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) wirklich fordern konnte. Das Edeljuwel, welches vor nicht allzu langer Zeit von fünf Uhr morgens noch Fische putzte, war innerhalb von zwei Wochen zu einem Klassementfahrer gereift.
Während Vingegaard nun eine kleine Pause winkt, denkt Niermann schon an die Zukunft und die neuen möglichen Talente, die es zu scouten gilt: "Heute hat jeder Junior schon einen Manager. Als Scout wird es immer schwieriger, jemanden zu finden, der noch völlig unbekannt ist. Aber ich finde diesen Prozess sehr schön und mir macht er Spaß."
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