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19.10.2021 | (rsn) - Mit Kim Heiduk (Ziel noch unbekannt), Marius Mayrhofer, Leon Heinschke (beide DSM), Georg Steinhauser (EF Education - Nippo), Michel Hessmann (Jumbo - Visma), Maurice Ballerstedt (Alpecin - Fenix), Luis-Joe Lührs (Bora - hansgrohe) und Miguel Heidemann (B&B Hotels p/b KTM) haben gleich acht deutsche Talente den Sprung zu den Profis geschafft. Radsport-news.com sprach mit U23-Bundestrainer Ralf Grabsch über diese und andere Entwicklungen.
Herr Grabsch, die beiden Bahn-Nationaltrainer Detlef Uibel und Sven Meyer werden am Jahresende zurücktreten. Sie bleiben als U23-Nationaltrainer für die Straße aber weiter an Bord?
Grabsch: Ich sehe gar keinen Grund, mich zu verändern. Meine Arbeit macht mir enorm viel Spaß und Freude. Es ist einfach jedes Jahr eine große Herausforderungen für mich, die Jungs im Nachwuchsbereich so zu entwickeln, dass sie für den Schritt zu den Profis bereits sind. Für mich ist es eine enorm schöne Arbeit, den Jungs all meine Erfahrung weitergeben zu können, um im Profigeschäft reibungslos den nächsten Schritt machen zu können. Und wenn sie diesen Weg nicht gehen können, dass es ihnen auf anderer Ebene gelingt. Das ist doch das Tollste überhaupt und gibt mir auch eine gewisse Genugtuung.
Voller Zufriedenheit werden Sie sicher auch auf die Anzahl deutscher Neo-Profis für die Saison 2022 schauen. Gleich acht Talente haben nach jetzigem Stand den Sprung geschafft. Hätten Sie damit gerechnet?
Grabsch: Vor der Saison habe ich nicht damit gerechnet, dass gleich acht junge deutsche Sportler Neo-Profis werden. Es ist natürlich gut für den deutschen Radsport, dass junge Gesichter die Chance bekommen, auch in der WorldTour beziehungsweise bei Pro-Teams zu fahren. Von daher sieht es gar nicht so schlecht aus, dass deutsche Fahrer im internationalen Business anerkannt sind. Normalerweise können zwei bis drei in einer Saison diesen Schritt gehen. Wenn dann so eine große Anzahl den Sprung schafft, ist es eine tolle Sache und bin gespannt, wie sich alle weiterentwickeln werden.
Welcher Fahrer hat es dabei am meisten überrascht?
Grabsch: Die größte Überraschung war rückblickend Kim Heiduk. Gerade in der ersten Saisonhälfte hat er sich sehr stark entwickelt. Er nicht nur als Sprinter extrem stark geworden, sondern auch bei mittelschweren Rennen. Das hat mich sehr für ihn gefreut, denn er hat hart an sich gearbeitet, hat neue Herausforderungen gesucht. Da bin ich schon gespannt, wie er sich bei den Profis weiterentwickeln wird. Dazu kommen Georg Steinhauser und Michel Heßmann. Wie sie im zweiten U23-Jahr gefahren sind, das war schon sehr stark. Normalerweise hat man da noch ups und downs in der Entwicklung, aber beide sind konstant auf allerhöchstem Niveau gefahren.
Mit Miguel Heidemann (zu B&B Hotels) hat es auch ein Fahrer zu den Profis geschafft, der schon nach der Saison 2020 der U23 entwachsen war. Wie sehr freut Sie dies?
Grabsch: Für Miguel Heidemann freut es mich unheimlich, dass er auch ein Jahr nach der U23 den Schritt zu den Profis geschafft hat. Wir wissen alle, dass die Pandemie keine einfache Zeit war, gerade für die Fahrer im vierten U23-Jahr. Sie hatten kaum Chancen, sich zu zeigen. Miguel hat weiter hart an sich gearbeitet, hat sich weiter entwickelt und im Zeitfahren sein enormes Potenzial abgerufen.
Auffällig ist, dass immer jüngere Fahrer den Sprung in die WorldTour schaffen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung, dass kaum mehr ein Fahrer die vollen vier Jahre in der U23 verbringt?
Grabsch: Ich bin nach wie vor ein Verfechter davon, dass die vier U23-Jahre ein wichtiger Bestandteil sind, um sich zu ausreichend zu entwickeln. Es gibt natürlich Ausnahmen bei Sportlern, die eine ganz besondere Klasse mitbringen wie Steinhauser oder Heßmann, die nach dem zweiten Jahr im Prinzip schon aufsteigen können – auch wenn Heßmann bei Jumbo - Visma in einem Mischteam fahren wird, wo er kleinere Rundfahrten bestreiten kann. Bei Marius Mayrhofer und Heiduk halte ich den Schritte nach drei Jahren auch für unbedenklich, beide haben sich gut profiliert. Heiduk ist ein super Athlet geworden, hat einen extremen Sprung gemacht.
Luis-Joe Lührs wechselt hingegen schon direkt aus der U19 zu Bora – hansgrohe in die WorldTour. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Grabsch: Bei Lührs kann ich es nicht nachvollziehen, dass er aus der U19 als 'guter` Sportler den Weg in die WorldTour geht. Er tut sich damit keinen Gefallen und wenn wir ehrlich sind, tut sich das Team Bora – hansgrohe auch keinen Gefallen damit, einem Quotenfahrer aus der U19 in der WorldTour die Chance zu geben. Lührs braucht den U23-Bereich, er kann sich ja gar nicht entwickeln bei großen Rennen. Man sieht es bei Marco Brenner, er ist ein Klasse-Rennfahrer bei den Junioren gewesen und hat es enorm schwer, sich bei DSM durchzusetzen oder eine stabile Saison zu fahren. Aber ich lasse mich auch gerne überraschen. Deshalb wünsche ich ihm (Lührs) auch viel Glück. Generell kann ich sagen: Der U23-Bereich wird gebraucht, man sieht auch bei heutigen WorldTour-Fahrern, wie wichtig er ist.
Können Sie sich vorstellen, dass Lührs dann auch vermehrt bei Ihnen in der U23-Nationalmannschaft zum Einsatz kommt?
Grabsch: Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt in der U23-Nationalmannschaft zum Einsatz kommen möchte. Er fährt bei Bora - hansgrohe, er hat sich dafür entschieden. Vielleicht suchen sie den Austausch mit mir, da kann man über alles reden. Ich werde ihm den Weg nicht verbauen. Wenn er oder das Team gesprächsbereit sind, dann bin ich der letzte, der sich versperrt. Mir ist erstmal wichtig dass er gut über den Winter kommt. Es ist ein sehr großer Schritt, sich da in das Team einzufügen, das muss er erst mal verkraften, das neue Umfeld kennen lernen. Wenn er sich da gut reingefunden und profiliert hat, kann ich mir gut vorstellen, ihm bei dem einen oder anderen U23-Nationalmannschaftseinsatz die Chance zu geben, wenn er denn möchte.
Es gibt immer mehr Development-Teams, die an die WorldTour-Mannschaften angegliedert sind, auch deutsche Nachwuchsfahrer sind dort aktiv. Wie sehr erschwert dies Ihre Arbeit? Schließlich haben diese Devo-Teams eigene hochkarätige Rennkalender.
Grabsch: Ich bin der Meinung, dass Nationalmannschaftseinsätze extrem wichtig sind. So wird ein Team zusammengeschweißt, das Miteinander wird gelernt und man kann sich mit anderen Nationen messen. Es gibt ja nicht umsonst die Nationscup-Rennen (Wettbewerbe speziell für Nationalmannschaften, d. Red). Außerdem muss man sagen, dass es ja bisher eher die Minderheit der deutschen U23-Fahrer ist, die für die Devo-Teams fahren. Jumbo – Visma hat in der kommenden Saison keinen einzigen Deutschen, DSM zieht nur Moriz Kärsten dazu, außerdem wechselt Henri Uhlig in ein Development-Team. Und natürlich möchte jeder der Devo-Fahrer die Tour de l`Avenir, die EM und die WM fahren, da gehört es auch dazu, dass sich die Fahrer im Vorfeld schon bei Nationalmannschaftseinsätzen zeigen.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Devo-Teams?
Grabsch: Es kommt letztlich immer auch auf die Kommunikation an, wie man sich austauscht. Man muss zudem zwischen den Mannschaften differenzieren. Jumbo – Visma (mit Michel Hessmann und Maurice Ballerstedt, d. Red.) hat sehr gut kooperiert, es wurden zeitig alle Rennen abgesprochen und Robert Wagner und ich haben einen sehr guten Austausch gehabt. Wir hatten da ein tolles Miteinander.
Bei DSM ist das anders?
Grabsch: Bei DSM ist es so, dass die Devo-Fahrer auch schon sehr oft im WorldTour-Bereich eingesetzt wurden, wodurch sich Überschneidungen ergaben. Trotzdem bin ich der Meinung, dass ich mit Roy Curvers einen guten Kontakt hatte. Aber was will man machen, wenn man von ganz oben gesagt bekommt, dass die Fahrer bei den Profis starten können? Da sind mir die Hände gebunden.
So ergeben sich natürlich auch Chancen für die heimischen Kontinental-Fahrer, die bisher durch das Raster gefallen sind.
Grabsch: Genau, bei einem Kader von 18 Fahrern im U23-Nationalteam sollte man flexibel sein und auch jüngeren Fahrern, die Chance geben, sich zu etablieren. Ich finde, diese Mischung ist mir gut gelungen. Beim Etoile d`Or hatten wir eine sehr junge Mannschaft am Start. Ich habe ihnen die Chance gegeben und es war für mich eine gute Erfahrung zu sehen, wie sie sich bei wichtigen U23-Rennen zeigen. Es macht Spaß, mit den Jungs zu arbeiten und zu sehen, wie sie sich bei den Rennen richtig reinhängen.
Letztlich geht es aber auch für Sie darum, bei den großen Rennen die stärksten Fahrer am Start zu haben.
Grabsch: Ich denke, das war in dieser Saison schon meistens der Fall. Bei der Tour de l`Avenir war die stärkste Mannschaft am Start, auch bei der EM und WM waren wir richtig gut besetzt. Nicht umsonst sind wir 2021 Fünfter im Nationscup- Ranking geworden und haben einen zusätzlichen Startplatz bei der WM bekommen. Das zeigt, dass wir alles richtig gemacht und alles optimal gestaltet haben.
Bei der WM stand mit Niklas Märkl auch ein WorldTour-Profi im U23-Aufgebot, auch andere Nationen praktizieren das. Wird sich dieser Trend in Zukunft fortsetzen?
Grabsch: Mit Niklas habe ich einen WorldTour-Fahrer nominiert, weil er da reingepasst hat, mit seinem Wissen, seiner Fahrweise und Rennübersicht, mit seinem Gespür für die flämischen Klassiker. Ich bin der Überzeugung, dass das der richtige Schritt war. Aber ich bin generell kein Freund davon, WorldTour-Fahrer im U23 Bereich einzusetzen. Aber es bleibt mir nichts anderes übrig, wenn auch andere Nationen WorldTour Fahrer am Start stehen haben. Das ist nicht das, was ich mir vorstelle. Aber da muss die UCI ein Machtwort sprechen. Normalerweise ist die U23 ein Entwicklungsbereich. Wer sich für die WorldTour entschieden hat, der ist ja eigentlich schon oben angekommen, und fährt dann trotzdem noch im U23-Bereich. Das passt nicht zusammen.
Wie werden Sie es im kommenden Jahr handhaben? Werden Sie WorldTour-Fahrer einsetzen?
Grabsch: Wie es im nächsten Jahr weitergeht, kann ich noch nicht sagen. Michel Heßmann möchte gerne im U23-Bereich weiterfahren. Er gehört zwar dem WorldTour-Kader an, wird aber auch weiter im Devo-Team eingesetzt. Da muss man nur sich absprechen, ihm die Möglichkeit zu geben, das eine oder andere Rennen zu bestreiten. Das betrifft ja auch die anderen Fahrer, die den Schritt in die WorldTour gegangen sind. Es ist alles eine Sache der Kommunikation. Wenn ein Sportler in die Mannschaft reinpasst und er uns weiterhelfen kann, dann bin ich flexibel. Erst mal arbeite ich aber mit meinem zusammengestellten U23-Nationalkader, alles weitere wird sich zeigen.
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