RSNplusVuelta-Bergkönig Vine nach Sturz raus

Auf den abgestürzten Adler wartet Andorra statt Madrid

Von Tom Mustroph

Foto zu dem Text "Auf den abgestürzten Adler wartet Andorra statt Madrid "
Jay Vine (Alpecin - Deceuninck) | Foto: Cor Vos

09.09.2022  |  (rsn) - Vor der 18. Etappe war Jay Vine (Alpecin – Deceunuinck) noch optimistisch. “Ich fühle mich gut. Ich bin stolz, dieses Trikot zu tragen. Und jetzt will ich es auch nach Madrid tragen“, sagte der Australier radsport-news.com, bevor er an den Start rollte. Und um die Ernsthaftigkeit seines Anliegens zu unterstreichen, fügte er noch hinzu: “Es wäre für mich das erste Wertungstrikot einer Grand Tour, und auch für das Team. Für uns alle wäre das ein tolles Ergebnis“, sagte Vine und meinte die finale Podiumszeremonie in Madrid.

___STEADY_PAYWALL___

Die schien tatsächlich so gut wie gesichert. 29 Punkte betrug sein Vorsprung in der Bergwertung, er hatte fast doppelt so viele wie der zweitplatzierte Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) auf seinem Konto. Dann aber erfolgte der Crash. TV-Bilder zeigte, wie Vine nur wenige Kilometer nach dem Start erst am Boden lag, sein Rad neben ihm. Dann saß der 26-Jährige aufrecht. An ihm vorbei eilte noch der ebenfalls gestürzte Träger des Grünen Trikots, Mads Pedersen (Trek – Segafredo). Der Däne konnte weiterfahren, Vine hingegen war von den Ärzten umringt.

Auf der 6. Etappe gelang Vine sein erster Vuelta-Coup, der im Nebel an der Bergankunft am Pico Jano nur undeutlich von der Bildern dokumentiert werden konnte. | Foto: Cor Vos

Schließlich sah man ihn auf einer Trage, wie er in einen Krankenwagen geschoben wurde. Der linke Unterarm steckte in einem dicken Verband. In die rechte Hand stützte er sein Gesicht. Und die Tränen flossen in Strömen. Eine bis dahin ganz unvergleichbare Karriere fand plötzlich eine jähe Unterbrechung.

Über die Zwift Racing Academy zur Grand Tour

Denn Vine war gewissermaßen vom Wohnzimmer, von virtuellen Rennen auf der Plattform Zwift, zur Grand Tour gekommen. Und jetzt war er hier sogar der Bergkönig. Im Pandemiejahr 2020 gewann er die Zwift Racing Academy, setzte sich gegen 130.000 meist hochambitionierte Rollenfahrer durch. Dem Sieger winkte ein Profivertrag beim Zweitdivisionär Alpecin.

Für Vine war es die Erlösung. Denn nach guten Leistungen in der Rennszene auf dem fünften Kontinent, unter anderem war er Gesamtdritter der New Zealand Cycle Classic, einer fünftägigen Rundfahrt in Neuseeland, wollte er eigentlich nach Europa. “Für einen Profikontrakt musst du die richtigen Leute kennen. Und die richtigen Leute sitzen in Europa. Also musste ich dahin“, sagte er radsport-news.com.

Nach seinem zweiten Etappensieg zwei Tage später schnappte sich der Australier auch das Bergtrikot | Foto: Cor Vos

Vine saß schon fast auf gepackten Koffern, hatte sich von seinem Job als Datenanalyst für australische Behörden verabschiedet – und dann machte Corona ihm einen Strich durch die Rechnung. Lockdown bedeutete eingeschränktes Reisen, kaum Rennen, teilweise nicht einmal draußen fahren dürfen. Die Rettung für viele war da der Rollentrainer. Und Gemeinschaft fand man bei virtuellen Rennen.

Der Beste der Verzweifelten und Frustrierten

Vine zeigte sich da als der Beste der Verzweifelten und Frustrierten. Seine Wattzahlen übezeugten die Trainer bei Alpecin. Und Vine war voll des Lobes über seinen neuen Arbeitgeber. “Sie erfüllen nicht nur ihren Vertrag mit Zwift, indem sie mir die Profilizenz gaben. Sie wollen mich als Rennfahrer komplett ausbilden“, sagte er nach der letzten Saison.

Da fuhr er bereits auf der Straße, wurde gleich mal Gesamtzweiter in der – zugegeben mittelprächtig besetzten – Türkei-Rundfahrt. Und auch seine erste Grand Tour, ebenfalls in Spanien, absolvierte er. Da war er als Dritter am Pico Villuercas knapp dran an einem Etappensieg. Nur Romain Bardet und Jesus Herrada waren an diesem Tag aus der Gruppe heraus stärker. Da spätestens wusste man, der Mann ist gut am Berg.

Bis zur 18 Etappe verteidigte Vine seine Führung in der Bergwertung souverän. Dann beendete ein schwerer Sturz alle seine Träume vom Podium in Madrid. | Foto: Cor Vos

Wie gut er ist, zeigte er bei der diesjährigen Vuelta. Die 6. Etappe gewann er nach starker Attacke aus der Favoritengruppe heraus. “Eigentlich wollte ich in die Fluchtgruppe, verpasste die aber. Ich hatte auch noch einen Platten“, erzählte er später. Als das Feld an die Stelle kam, an der er attackieren wollte, nutzte er einen kurzen Moment der Unentschlossenheit der anderen und trat an.

Nach dem Sturz geht es nach Andorra statt nach Madrid

“Das ist unglaublich, dass mir das gelang. Klar, es war der Plan vom Team, dass ich an der Stelle antreten sollte, aber dass es mir gelang, aus der Gruppe der Favoriten heraus anzugreifen, fühlt sich für mich fast unreal an“, kommentierte Vine sein Bravourstück. Mann um Mann der Ausreißergruppe sammelte er ein und hielt als einziger dem von hinten heranbrausenden Remco Evenepoel stand. Der eroberte damals das Rote Trikot.

Zwei Tage später wiederholte Vine sein Kunststück vom Etappensieg, dieses Mal ganz plangemäß aus der Ausreißergruppe heraus. Er sammelte unterwegs aber auch noch Punkte für das Bergtrikot ein. “Die anderen schienen sich nicht so sehr dafür zu interessieren. Es war mein Plan B, das Bergtrikot zu holen, sollte es mit dem Etappensieg nicht klappen“, erzählte er.

Vine holte den kompletten Jackpot, zwei Tagessiege und die Führung in der Bergwertung. Die baute er Tag für Tag aus. Bis dann der schlimme Sturz kam. “15 Stiche, zehn Zentimeter lange Wunde, entschuldigt, dass ich das Bergtrikot nicht nach Hause bringe, frustriert ist ein Understatement“, twitterte er, bevor er sich auf den Weg in seine neue Heimat nach Andorra machte.

Mehr Informationen zu diesem Thema

07.11.2022Mas will es bei der Vuelta künftig besser machen

(rsn) – In den vergangenen Jahren war Enric Mas (Movistar) bei der Vuelta a Espana jeweils der beste heimische Fahrer. Doch zum Gesamtsieg reichte es für den 27-jährigen Spanier dabei nicht. 2018

14.09.2022Ackermann: In Vuelta-Schlusswoche auf “extrem hohen Level“

(rsn) – Mit drei Podiumsplatzierungen, aber ohne den erhofften Etappensieg trat Pascal Ackermann (UAE Team Emirates) die Heimreise von der Vuelta a Espana an und sprach deshalb gegenüber radsport-

13.09.2022“Leute haben ein Erinnerungsvermögen von 48 Stunden“

(rsn) – Dass Remco Evenepoel (Quick-Step - Alpha Vinyl) am Sonntag in Madrid zum ersten belgischen Grand-Tour-Sieger seit 44 Jahren wurde, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Doch der 22-Jährige h

12.09.2022Leitet Evenepoel die Grand-Tour-Trendwende ein?

(rsn) - Mit Remco Evenepoel (Quick-Step Alpha Vinyl) hat die Radsport-Nation Belgien nach sage und schreibe 44 Jahren Pause wieder einen Grand-Tour-Sieger. Zuletzt hatte Johan De Muynck 1978 den Giro

12.09.2022Mohoric kritisiert Roglic: “Wir alle wissen, dass Primoz oft stürzt“

(rsn) – Die Reaktionen des Teams Jumbo – Visma auf den für Primoz Roglic die Vuelta beendenden Sturz am Ende der 16. Etappe in Tomares am vergangenen Dienstag haben rund um das Peloton für Unver

12.09.2022Mas rettet Movistar im Abstiegskampf

(rsn) - Viel war vom Movistar Team in dieser Saison nicht zu sehen. Nur 15 Siege fuhr der spanische Traditionsrennstall ein, keiner davon auf WorldTour-Niveau. Bei der Heimatrundfahrt band das Team ab

12.09.2022Evenepoel fast ohne Schlaf hellwach zum Vuelta-Triumph

(rsn) – Schon in den Jugendjahren war ein rotes Trikot eines der großen Ziele von Remco Evenepoel (Quick-Step – Alpha Vinyl). Als Nachwuchsfußballer des RSC Anderlecht und vom PSV Eindhoven scha

12.09.2022Highlight-Video der Vuelta-Schlussetappe

(rsn) – Juan Sebastian Molano (UAE Team Emirates) hat zum Abschluss der 77. Vuelta a Espana die 21. Etappe für sich entschieden. Der Kolumbianer setzte sich nach 96,7 Kilometern von Las Rozas nach

11.09.2022Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 21. Etappe

(rsn) - 183 Profis aus 23 Teams sind am 19. August im niederländischen Utrecht zur 77. Vuelta a Espana (2. UWT) angetreten. Hier listen wir auf, welche Fahrer wann und aus welchen Gründen die letzte

11.09.2022Molano siegt in Madrid vor Pedersen und Ackermann

(rsn) – Mit einer Überraschung endete die 21. Etappe der Spanien-Rundfahrt in Madrid. Juan Sebastian Molano (UAE Team Emirates) zog seinem Kapitän Pascal Ackermann den Sprint so stark an, dass nac

11.09.2022Il Lombardia wird Valverdes letztes Profirennen

(rsn) – Alejandro Valverde (Movistar) wird im Oktober beim italienischen Monument Il Lombardia das letzte Rennen seiner langen und erfolgreichen Profikarriere bestreiten. Das kündigte der 42-jähri

11.09.2022Vuelta-Dritter Ayuso: Eine Siegermentalität wie Pogacar

(rsn) - Juan Ayuso (UAE Team Emirates) und Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers) verblüfften bei dieser Vuelta a Espana. Beide Rundfahrtdebütanten kämpften lange um das Podium. Der 21-jährige Rodrig

Weitere Radsportnachrichten

21.11.2024Uijtdebroeks denkt über Rallye-Karriere nach

(rsn) – Seine Profikarriere als Radsportler hat kaum begonnen, da macht sich Cian Uijtdebroeks schon Gedanken über die Zeit danach. Der 21-Jährige hat jüngst in einem Interview mit Het Nieuwsblad

21.11.2024Pogacar schließt Start bei Paris-Roubaix nicht aus

(rsn) – Fährt er, oder fährt er nicht? Zuletzt schien es so, als wolle Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) für die nächsten Jahre noch einen Bogen um Paris-Roubaix machen. Doch neue Aussagen des 2

21.11.2024Nach Dopingsperre jetzt Haft auf Bewährung gefordert

(rsn) - Nach vier Jahren Dopingsperre aufgrund eines positiven Test auf Epo im Jahr 2019 droht der früheren französischen Radsportlerin Marion Sicot jetzt eine einjährige Haftstrafe auf Bewährung.

21.11.2024Amador beendet Karriere trotz Vertrag, Movistar macht Nägel mit Köpfen

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

20.11.2024Pieterse gibt ihr Cross-Programm bekannt

(rsn) – Mountainbikeweltmeisterin Puck Pieterse (Fenix – Deceuninck) hat auf ihren Social-Media-Kanälen ihr Programm für den Winter bekannt gegeben. Die 22-Jährige steigt erst Mitte Dezember be

20.11.2024Das Pech zog sich wie ein roter Faden durchs Jahr

(rsn) – Nach einer starken Saison 2023, als er Deutscher U23-Meister auf der Straße und im Zeitfahren wurde sowie einen sechsten Platz im WM-Straßenrennen der Espoirs einfuhr, ging Moritz Kretschy

20.11.2024Die negativen Erlebnisse übermalten die positiven

(rsn) - Eigentlich hatte sich Marco Schrettl (Tirol - KTM) 2024 vorgenommen mit tollen Leistungen eine starke Empfehlung an die besten Teams des Straßenradsports abzugeben, doch ganz klappte der ambi

20.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

20.11.2024Drei Mal Gold zu holen bleibt ein Traum

(rsn) – Madison-Gold bei EM und WM, dazu zwei Podien in UCI-Rennen auf der Straße. Für Roger Kluge (rad-net – Oßwald) lief die Saison 2024 eigentlich perfekt, wäre da nicht die Enttäuschung b

20.11.2024Rundfahrtchefs Pupp, Senn und Wegmann heute im “Windschatten“

(rsn) – Zum fünfjährigen Bestehen der österreichischen Radsport-Initiative "Österreich dreht am Rad" finden in dieser Woche in der Medienhalle Hall in Tirol täglich Podiumsdiskussionen und Live

20.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Frauen-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profiteam seit dem 1. August ihre Transfers offiziell bekanntgeben. Radsport-news.com samme

20.11.2024Van Gils und Lotto - Dstny sprechen über Vertragsauflösung

(rsn) – Letzten Winter forcierte der Belgier Cian Uijtdebroeks seinen vorzeitigen Wechsel vom deutschen Bora - hansgrohe zu Visma - Lease a Bike. Eine ähnliche Geschichte könnte sich auch jetzt an

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine