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20.02.2015 | (rsn) - Als man ihn im Siegerinterview auf seinen Vater Lucjan ansprach, den Weltmeister im Straßen-Vierer von 1973, wurde Lucas Liß kurz nachdenklich. „Ich hoffe, er ist jetzt glücklich“, sagte der bis dahin und auch im Anschluss ausschließlich strahlende neue Scratch-Weltmeister. „Der Sieg ist für ihn.“
Um diese Szene zu verstehen und auch Liß‘ kurzes Stocken bei der Wortkombination Vater-Land während der deutschen Nationalhymne, die er ansonsten vollständig mitsang, muss man wissen, was vor drei Wochen geschehen ist: Während Lucas Liß beim Berliner Sechstagerennen fuhr, verstarb sein Vater im Alter von 64 Jahren unerwartet.
Drei Wochen später schaute Lucas Liß nun gen Himmel und zeigte dort auch mit seinen Zeigefingern hin, als er während der Ehrenrunde als frischgebackener Weltmeister ausrollte. Doch trotz der unvermeidbaren Erinnerung an den Schicksalsschlag konnte er seinen Sieg deutlich sichtbar genießen. „Ich habe noch nicht verarbeitet, dass mein Vater nicht mehr da ist“, sagte er, und: „Das ist mein erster WM-Titel - ein sehr, sehr schönes Gefühl.“
24 Stunden nach der 27-jährigen Pohl und kurz nachdem Miriam Welte im 500-Meter-Zeitfahren zu Bronze gefahren war, sorgte der 23-jährige Liß dafür, dass der Bund Deutscher Radfahrer bei den Bahn-Weltmeisterschaften in Saint-Quentin-en-Yvelines in allen bislang ausgetragenen Rennen der nicht-olympischen Disziplinen mit Edelmetall aus dem Velodrome National herauskam und den Medaillenspiegel nach zwei Tagen anführt. „Wir haben durch Stephanie Pohl und mich jetzt zwei Gold-Medaillen. Das ist ein guter Trend“, fand der neue Scratch-Weltmeister.
Liß gewann das 15 Kilometer lange Rennen dank eines Vorstoßes zu Beginn der letzten von 60 Runden und setzte sich mit recht deutlichem Vorsprung souverän vor dem Spanier Alberto Torres und dem US-Amerikaner Bobby Lea durch. Er nutzte geschickt den Moment, als er in der vorletzten Kurve die fünfköpfige Spitzengruppe an- und außen an einem überrundeten Quartett vorbeiführte, um genau in diesem Augenblick das Tempo zu erhöhen und die Konkurrenz zu überraschen.
„Scratch ist ein sehr taktisches Rennen, und ich denke, dass ich heute alles richtig gemacht habe“, meinte der neue Weltmeister. Das hatte er tatsächlich. Denn rund zehn Runden vor Schluss erkannte Liß, dass das Ausreißer-Quartett um Torres und Lea auf Siegkurs war. Er beschleunigte aus dem Feld heraus und schloss die Lücke zur Spitzengruppe, um dort in den folgenden Runden selbst aufs Tempo zu drücken und mit dafür zu sorgen, dass von hinten sonst niemand mehr herankam.
Zwar musste Liß vier Runden vor Schluss selbst kurzzeitig eine Lücke lassen, doch die schloss er nach wenigen Sekunden wieder und positionierte sich anschließend geschickt, bis er in der Schlussrunde seinen Sieges-Coup landete.
„Eigentlich denkt man in einem Rennen nicht viel, aber ich glaube, ich habe heute viel an meinen Vater gedacht. Er wäre heute eigentlich hier gewesen“, sagte Liß später. „Er hat mich elf Jahre trainiert und mir alles beigebracht, was ich heute kann. Er war mein wichtigster Berater.“ Helfen und ihn beratschlagen konnte Lucjan Liß seinem Sohn an diesem Donnerstagabend in Frankreich nicht mehr. Und trotzdem gelang dem Filius ein taktisch kluger Schachzug, der seinen Vater sicher stolz gemacht hätte.
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