238 km, 5500 hm - 4 Pässe - Rennbericht

Ötztaler Radmarathon: "Ein unglaubliches Erlebnis..."

Von Johannes Heumann

Foto zu dem Text "Ötztaler Radmarathon:
| Foto: Ötztaler Radmarathon

29.08.2016  |  Gestern war es wieder so weit: Das Highlight, um nicht zu sagen ein Monument der Jedermann-Radsport-Szene, stand auf dem Programm, der Ötztaler Radmarathon mit seinen 238 Kilometern, vier Alpenpässen und 5500 Hm.

Als Vorbereitung auf diese Herausforderung
hatte ich seit Mai diverse Jedermannrennen gefahren, darunter der Imster Radmarathon, die Dolomiten-Radrundfahrt, den Engadin Radmarathon, sowie in den letzten zwei Wochen den Highlander Radmarathon, und die Cyclassics in Hamburg. Insgesamt kamen so gut 9000 Trainingskilometer zusammen.

Am Samstag stand dann die Anreise nach Sölden an. Um 5:30 war Abfahrt, um dem Reiseverkehr über den Fernpass zu entgehen - eine richtige Entscheidung, denn schon um neun Uhr meldeten die Verkehrsdienste eine Stunde Zeitverlust.
Schon auf der Fahrt durchs Ötztal merkte man, dass hier besonderes vor sich geht.

Auf einer Video-Leinwand wird der Marathon angekündigt,
und auf den 30 km durchs Tal sind im Zehn-Sekunden-Takt Gruppen von Rennradlern unterwegs. In Sölden ging es natürlich erstmal zur Startpaket-Ausgabe. Hier wurde der Zielbereich aufgebaut, und eine feine Rad-Messe war auch dabei, wo ich noch ein paar Souvenirs kaufe, darunterdas Buch von Ernst Lorenzi - man muss sich doch informieren mit wem man es morgen zu tun bekommt...

Nach einem Besuch des Rettenbachferners, und dem Abendessen ging es früh, gegen 21 Uhr zu Bett; der Renntag startet um fünf Uhr morgens. Der Blick aus dem Fenster auf den sternenklaren Himmel ließ die Vorfreunde steigen. Nach einem guten Frühstück ging es dann gegen sechs Uhr zum Start, und da war schon eine Menge los. Alles war hellerleuchtet, unter anderem durch diverse Heißluftballons, und man hörte vom Rennleiter, so warm wie heute war es am Start noch nie.

Ich fand mich im dritten Startblock ein,
direkt hinter den Fahrern, die letztes Jahr unter 8:20 h geblieben waren, vor mir der Startbogen, auf dem stand: „ Guten Morgen – hier beginnt dein Traum“. Langsam wurde es ernst, das kündigten auch die beiden kreisenden Hubschrauber an, deren Geräusch im Takt meines Pulses pochte. Die Berggipfel wurden nun von der Sonne beleuchtet und standen da wie Festkerzen.

Pünktlich um 6:45 Uhr ertönte ein Kanonenschlag, und die lange Schlange der Radler setzte sich langsam in Bewegung. Ich entschied mich ohne Jacke zu fahren, was die richtig war. Es ging durch Sölden, wo bereits um diese frühe Uhrzeit eine Menge Leute zu jubelten - echtes Renn-Feeling.

Dann die 30 km lange Abfahrt nach Sölden,
die durch ein paar Stürze und Nervosität geprägt war. Dennoch zog sich das Feld auseinander, so dass Platz zwischen den Fahren war. Auch die Absicherung der Verkehrsinseln war beispielhaft, vor fast jedem Fahrbahnteiler stand ein Feuerwehrauto, um auf die Gefahr hinzuweisen.

Höhepunkt auf der Abfahrt war in Lengenfeld ein überdimensonales Ötztaler-Trikot aus alten Finisher-Shirts, das über der Straße hing. Endlich in Ötz angekommen, nach 36 Minuten, ging es rechts weg ins Kühtai. Da war erstmal Sonntagmorgen-Stau angesagt. Es dauerte zwei bis drei Kilometer, bis sich das Feld entzerrte, und man seinen Stiefel fahren konnte.

Die ersten Kilometer des Passes sind recht steil,
bevor es wieder flacher wird, gefolgt von einem steileren Stück. In Ochsengarten wurde es flacher, um dann den 18,5 km langen Anstieg  mit einem steileren Stück zu beenden. Am Stausee stehen die Zuschauer schon Spalier, um die Fahrer anzufeuern, und ihren Lieben Verpflegung zu übergeben. Hier war bei mir erstmals Gänsehaut angesagt - unglaublich.

Für mich war der Anstieg relativ in Ordnung, und an der Verpflegungsstelle gönnte ich mir eine "Ötztaler Kraftkugel", die extra für den Radmarathon gefertigt wird. Nach dem Befüllen der Trinkflasche dann bergab, zu Beginn etwas Slalomfahren durch die Kühe. Danach war Achterbahn angesagt: Einfach Rollen lassen, da diese Abfahrt fast nur geradeaus ging.

Ich beliess es bei 83 km/h Spitzengeschwindigkeit;
ein großer Teil des Felds kratzte wohl an der 100 km/h-Mauer. In Innsbruck angekommen, galt es eine Gruppe zu finden: Nach der Abfahrt rollte alles wieder zusammen, und es bildete sich ein Feld von etwa 200 Fahren, das von Polizeimotorrädern eskortiert wurde.

Ein Wort zum Service unterwegs, mit Mavic-Begelitfahrzeugen, die man von der Tour de France kennt - toll: Sie stellten Ersatzlaufräder und Ersatzräder zur Verfügung. Es wurde langsam wärmer; durch Innsbruck ging's rechts den Alpenhauptkamm, und links war der Bergisel zu bestaunen, mit der markanten Schanze.

Der Brenner zieht einfach Körner, ohne dass man es merkt:
Die einzige wirkliche Steigung kommt zum Schluss, auf den letzten beiden Kilometern. Aber auch hier stehen wieder Betreuer und Zuschauer, und ein Plakat: „Auf ins Land der Träume“. Nach kurzer Mittagspause am Brenner, knappe vier Stunden waren vorbei, ging es ins schöne Südtirol nach Sterzing.

Was mich hier nicht so fröhlich stimmte, waren bereits um 11 Uhr große Wolken. Naja, egal - noch war es sehr warm, mit 28 Grad. Dann ging's in den Jaufenpass, mit 16 km, alles im Schatten, und landschaftlich eher unspektakulär, weil man einfach vor lauter Bäumen nichts sieht.

Der Tenor im Peleton war: Der Ötzi beginnt erst hier.
Auch ich muss sagen, es zwickte langsam und die Hitze verlangte ihren Tribut. Vier Kilometer vor der Passhöhe verlässt man den Wald, und sieht die Passhöhe - was einen nicht fröhlich stimmt. Zwei Kilometer vor der Passhöhe nochmals verpflegen; da hörte man schon, was oben los ist: Kuhglocken, laute Musik und Anfeuerungsrufe. Also nichts wie ab nach oben.

Ab der Passhöhe folgt dann eine technische durchaus schwierige Abfahrt nach St. Leonhard in Passeier: 20 km mit vielen Kurven und Kehren gespickt, mit Längsrillen und Licht-Schatten-Spielen, also nachmals höchste Konzentration in der Abfahrt.

Gemütlich dort angekommen, ging es in das Monster Timmelsjoch,
mit 29 km und 1700 hm. Leider hat dieser Pass keinen Schatten, und die Sonne knallt richtig runter: Mein Tacho zeigte 33 Grad. Die ersten Kilometer sind noch eher flach, und gehen schnell dahin. Dann sind es aber immer noch 26 km, und jetzt wird es steil. Mit 8 - 10 kmh juckelt man vor sich hin, und denkt, wann schieben sich die Wolken vor die Sonne.

Man ist nur noch mit sich, und ein Blick zum Nachbarn verrät, dass er das gleiche fühlt. Keiner ist mehr groß zum Reden aufgelegt, nur noch ein Lächeln und ein Schnauben dient als Kommunikation. Nach etwa 8 km steht ein netter Anwohner mit seinem Gartenschlauch, um etwas Kühlung zu verschaffen. Ich fahre extra langsam, aber eigentlich geht nicht mehr viel langsamer.

Noch 20 km bis zur Passhöhe.
Ich sehe ein Schild „Na, ausgeträumt?“, und ich kann nur sagen: ja! Man denkt an nichts mehr außer pedalieren. Dann ruft uns ein Zuschauer zu, noch 8 km bis zur Verpflegung, ne halbe Stunde. Ich muss lachen, weiß ich doch, dass es fast eine Stunde dauern wird.

Und dann kommt das schlimmste: Ich zähle die Kilometer rückwärts bis zur Verpflegung. Es geht wieder besser, da die Straße etwas abflacht. Aber was man an der Verpflegung zu sehen bekommt, ist mörderisch: Die Kehren nach oben, der Steilhang des Timmelsjoch.

Nach dem Trinkflaschen auffüllen geht’s weiter,
Nahrung in fester Form ist schwierig, Energiegel ist das Gebot. Nach 11,9 km bis zur Höhe; jeder andere Pass wäre schon vorbei heute. Einzige die Wolken vor der Sonne machen es erträglich. Als ich in der letzten Kehre auf das kleinste Ritzel schalten will, verklemmt sich die Kette - nichts geht mehr. Eine halbe Ewigkeit steh ich da, bis ich die Kette lösen kann; ab da traue ich mich nicht mehr, in den kleisten Gang zu wechseln, so kurz vor dem Ziel.

Auf den fünf letzten Kehren hängen Finisher-Trikots als Motivation. Auch diese zähle ich rückwärts; dann fängt es an zu nieseln. Nach endlosen Kilometern erreich ich den Tunnel, der fast eben zu Passhöhe führt. Auch hier ein letztes Banner: "Hier hast du deinen Traum". Regenjacke an, ich will sie ja nicht den ganzen Tag spazieren gefahren haben. Es geht bergab, auf sehr guter Straße, nur die Mautstelle mit 200 Hm ist noch ein kleines Hindernis.

Dann geht es nur noch bergab, ins Ziel.
In Sölden scheint die Sonne. Man wird von einer riesigen Menschenmenge empfangen, die jeden feiert - unglaublich, einfach Wahnsinn: 9:21 h haben sich einfach gelohnt. Ich hole ich mir mein Finisher-Trikot, daes man nur bekommt, wenn man wirklich gefinisht hat (das wird kontrolliert an der Ausgabe).

Der Abend klingt bei der Pasta-Party in der Freizeit-Arena aus. Auch heute gehe ich früh ins Bett. Für mich ist der Ötztaler ist wenn nicht das beste Radrennen: Top-Organisation, unglaubliche Strecke, und die Zuschauer machen es zu einem unglaublichen Erlebnis.
Danke an alle, die das ermöglicht haben!
Euer
Johann

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