Die positiven Effekte von Bewegung auf die geistige Leistung

Sport: Doping fürs Gehirn

Von Frieder Beck

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| Foto: Sexy Cycling Calendar Swiss

24.11.2016  |  Wir kennen alle geniale Denker, die sich nichts aus Sport machen. Und ebenso gibt es Sportlerinnen und Sportler, die sich in Schule, Ausbildung oder Beruf schwer tun. Die aktuellen Studien zeigen jedoch ganz klar: Wer sich bewegt, der ist in Schule und Beruf erfolgreicher.

So steigerten in einer großangelegten US-Studie Schüler,
die zusätzliche Bewegungszeit in der Schule verordnet bekamen und denen diese anteilig vom Fachunterricht abgezweigt wurde, über das Schuljahr hinweg ihre mathematischen und sprachlichen Leistungen deutlich stärker als ihre Altersgenossen.

Eine 2013 abgeschlossene Langzeituntersuchung mit über 5000 Schülerinnen und Schülern in Großbritannien, bei der über Bewegungszähler die tägliche körperliche Aktivität der Jugendlichen erfasst wurde, zeichnet dasselbe Bild: Diejenigen, die sich mehr bewegen, haben später die besseren Schulnoten.

Im Erwachsenenalter sieht es nicht anders aus.
Auswertungen von über 200 000 Leistungsdaten von Mitgliedern des schwedischen Militärs, und auch eine neue Studie der Universität Hohenheim zeigen, dass das Ausmaß körperlicher Betätigung und die körperliche Fitness mit dem erreichten akademischen Grad und der beruflichen Karriere in Zusammenhang stehen.

Bewegung fördert offensichtlich unsere geistigen Leistungen - was auf den ersten Blick überraschend erscheint. Während wir auf dem Rad sitzen, durchdenken wir wohl eher selten berufliche Probleme. Jugendliche werden beim Sport nur in Ausnahmefällen die letzte Physik-Stunde im Geist noch einmal durchgehen. Und trotzdem beflügelt Sport unseren Geist.

Erst seit wenigen Jahren wird deutlich, welche Vorgänge

diesen Effekten zugrunde liegen. Sich länger auf eine Sache oder Tätigkeit zu konzentrieren, Ideen im Gedächtnis zu behalten und bearbeiten zu können, kurzfristigen Versuchungen zu widerstehen, um langfristige Ziele zu verfolgen, impulsives Verhalten zu unterdrücken, um situationsgerecht reagieren zu können, sind nachweislich entscheidend, um in der Schule und im Beruf erfolgreich zu sein.

Diese mentalen Vorgänge besitzen sogar mehr Einfluss auf die schulische Leistung als beispielsweise der Intelligenz-Quotient. All diejenigen Gehirn-Funktionen, die sich auf diese mentalen Vorgänge beziehen, bezeichnet man als exekutive Funktionen, unterteilt in die drei Sub-Typen: Arbeitsgedächtnis, Inhibition (das Blockieren einer Verhaltensweise; d.Red.) und kognitive Flexibilität. Zusammen ergeben sie die Fähigkeit zur Selbst-Regulation, also die bewusste Steuerung von Aufmerksamkeit, Verhalten und Emotionen.

Die Neuro-Psychologie zeigt mittlerweile eindeutig,

dass eine bessere Selbst-Regulation im Kindesalter Menschen im späteren Leben zufriedener, gesünder, finanziell erfolgreicher und gesetzestreuer macht. Bewegung fördert die exekutiven Funktionen in einem Maß, und mit einem Wirkungs-Spektrum wie keine andere Maßnahme und kein Medikament.

Die Steigerung geistiger Leistung durch ein Mehr an Bewegung tritt nicht nur langfristig, sondern auch akut auf. Im Anschluss an Sport, und vermutlich schon während der Bewegung, greifen wir auf eine bessere Selbst-Regulation und ein erhöhtes Arbeitsgedächtnis zurück. Dieser Effekt ist bis zu einer halben Stunde nach körperlicher Aktivität nachweisbar.

Körperliche Tätigkeit steigert damit kurz- und langfristig

die Leistungsfähigkeit all derjenigen mentalen Vorgänge, die bei Kindern und Jugendlichen für eigenaktives und selbstgesteuertes Lernen notwendig sind, und die maßgeblich die schulischen und später beruflichen Erfolge bestimmen.

Im Licht der Evolution werden die positiven Effekte von körperlicher Aktivität auf die geistigen Leistungen verständlich. Wir können unsere moderne Welt geistig erfassen und Neues begreifen, da unser Gehirn plastisch ist. Die Architektur und der Feinaufbau unseres Denk-Apparats wurden jedoch in den letzen 30 000 Jahren nicht mehr verändert.

Zur Zeit des letzten "Updates" unserer Gehirn-Strukturen

sah die Welt sehr viel anders aus: Unsere Vorfahren waren nur in ihrem Unterschlupf einigermaßen sicher. Um Nahrung zu beschaffen, oder neue Behausungen zu finden, mussten sie den sicheren Unterschlupf verlassen, und sich in die gefährliche Umwelt begeben.

Dort stellten sich für unsere Vorfahren nicht nur die höchsten Anforderungen für Ihren Körper, sondern auch für ihren Geist: Nur diejenigen konnten ihre Gene weitergeben, die auf der Jagd und der Suche nach Nahrung besonders wachsam und aufmerksam waren, sich an die Verstecke der Nahrung und die Wege zurück zum Unterschlupf erinnern konnten, die bei erkannter Gefahr oder Beute schlagartig leise waren, und sich rechtzeitig für die Flucht entscheiden konnten.

In Urzeiten waren die höchsten kognitiven Herausforderungen

also immer an Bewegung gebunden. Heute befinden wir uns im Licht der Evolution hinsichtlich Bewegung in einer Defizit-Situation. Werden wir in unserem modernen, bewegungsarmen Alltag körperlich aktiv, aktivieren wir ein 30 000 Jahre altes Signal, wachsam zu sein und den Geist hochzufahren.

Auf neuronaler Ebene sind für den positiven Einfluss von Bewegung auf unseren Geist vor allem zwei Stoffe verantwortlich: der "Synapsen-Dünger" BDNF (brain-derived neurotrophic factor) und der Botenstoff Dopamin. Beide Stoffe sind für die Entstehung neuer Synapsen im Gehirn verantwortlich; sie besitzen höchste Relevanz für Lernvorgänge und vermitteln im Stirnhirn, dort wo die exekutiven Funktionen verortet sind, geschärfte geistige Leistung.

Unter körperlicher Beanspruchung werden die höchsten

BDNF-Spiegel gemessen. Sportliche Herausforderungen kurbeln das Dopamin-System stark an. Wenn wir diese Herausforderungen auch noch bewältigen, kommt es gar zu einer Dopamin-Flutung im Gehirn. Die Dopamin-Neurone erhöhen schlagartig ihre Aktivität, und schütten Dopamin in Massen aus, wenn uns eine Handlung unerwartet gut gelingt, wenn wir also einen unerwarteten Bewegungserfolg einheimsen.

Diese Dopamin-Aktivierung initiiert Neuro-Plastizität, also Lernen, und steigert die Anstrengungsbereitschaft bzw. Motivation. Dank immer besserer Messmethoden konnte beispielsweise 2014 für das Vokabellernen gezeigt werden, dass die während und nach dem Sport gesteigerten Lernleistungen in direkten Zusammenhang mit den Leveln dieser beiden Stoffe stehen.

Die Entwicklung des Gehirns ist erst ab einem Alter

von ca. 20 Lebensjahren abgeschlossen. Dabei reift das Stirnhirn, das die Zentralschaltstelle der exekutiven Funktionen ist, als Letztes aus. So geht man davon aus, dass die Effekte einer Förderung exekutiver Funktionen in Kindergarten und Schule besonders hoch sind.

Wie oben dargestellt, besitzt der Sport höchstes Potenzial, die exekutiven Funktionen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu fördern. Die jüngste Forschung zeigt also: Wer Sport betreibt, tut nicht nur etwas für seinen Körper und seine Gesundheit, sondern stärkt auch seinen Geist, sein Gedächtnis und seine Konzentrationsfähigkeit.

Zusammengefasst: Sport macht uns nicht nur stark, sondern auch schlau. Sport – ein gesundes Doping fürs Gehirn!

Frieder Beck
ist Sportwissenschaftler, Hirnforscher und Gymnasiallehrer. Er war 13 Jahre lang Trainer der deutschen Nationalmannschaft im Ski-Freestyle. Beck promoviert derzeit am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Heidelberg, und ist Experte insbesondere zum Thema Förderung kognitiver Leistung durch Bewegung, und im Bereich Neurobiologe des Lernens. Er berät seit vielen Jahren Spitzensportler/innen und Trainer im Hochleistungsbereich.

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