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15.10.2017 | Zusammen mit Aarhus in Dänemark ist Paphos auf Zypern europäische Kulturhauptstadt 2017. Dass es auf der Mittelmeerinsel aber nicht nur reichlich Kultur, sondern auch vorzügliche Trails zum Biken gibt, haben pressedienst-fahrrad-Gründer Gunnar Fehlau und sein langjähriger Tourenbegleiter Walter Lauter auf einer Bikepacking-Tour herausgefunden. Hier Teil zwei ihrer Reise-Reportage.
Am Grenzübergang Yegilarmak fahren wir erstmals in den türkischen
Teil Zyperns. Binnen weniger Meter wandelt sich die Atmosphäre komplett. Kirchen weichen Moscheen, und die Mienen der Menschen ändern sich. Aufrecht, stolz und zufrieden blicken uns die meisten an.
Geblieben sind die Beulen der Autos, sichtbarer Leerstand und spärliche Auslagen in den Shops. Doch hier im türkischen Teil wirkt es wie ein langsam gewachsener Lebensstandard, mit dem sich die Menschen arrangiert haben, dessen punktierte Vorzüge und Fortschritte sie zu würdigen wissen. Ganz anders als im griechischen Teil Zyperns, denn dort hat es in den letzten Jahren einen herben Niedergang des Lebensstandards gegeben.
Wir rollen nach Güzelyurt, dessen historischer Stadtkern uns beim späten zweiten Mittagessen verzückt. Auf der Fahrt aus der Stadt heraus machen wir Bekanntschaft mit Horden frei streunender Hunde - und diese mit unseren Sprinterfähigkeiten: Kittel-gleich haben wir uns den ganzen Tag unauffällig verhalten, um im entscheidenden Moment alle Körner rauszuhauen. Die Waden sind kurz danach alle, aber immerhin nicht von Hundezähnen perforiert.
Auf unserem sonntäglichen Weg nach Nikosia überholen uns auf einer riesigen Einfallstraße erstmals andere Radfahrer. Und die Velo-Grußzeichen, aber auch die Konkurrenz-Spielchen funktionieren über alle kulturellen und sprachlichen Grenzen hinweg: Walter zieht an, ich gehe mit und – was soll ich sagen – das Ortsschild ist meins!
Damit hat sich’s aber auch schon mit den schönen Seiten
von Nikosia. Die Vorstadt ist von Autowerkstätten, Bordellen und Brautmodegeschäften gesäumt. Und je näher wir dem Zentrum kommen, desto mehr wähnen wir uns in einer mediterranen Version des Berlins der 1980er-Jahre: Nikosia ist eine geteilte Stadt.
Wir sehen mehr Armee-Patrouillen als Radfahrer, mehr Maschinengewehre als Kinderwagen, und wann immer wir vom Hauptverkehrsfluss abbiegen, stehen wir unversehens vor der Mauer, die die beiden Teile der Stadt voneinander trennt. Hier, in der nachmittäglichen Hitze, an einem für die Weltgeschichte völlig unbedeutenden September-Sonntag, wird mir die Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung klarer als je zuvor.
„Walter, ich muss hier weg, dieses Gockel-Getue mit scharfer Munition halte ich nicht länger aus!“, schreie ich durch den Verkehrslärm. Wir suchen einen Velo-tauglichen Hinterausgang aus einer Stadt, deren Haupteingänge verrammelt sind. Alles ist besser als in die Mündung der Grenzer-Waffen zu schauen.
Unsere Flucht aus Nikosia bringt uns auf kleinen Pfaden
durch das Mia-Milia-Industriegebiet. Wir ignorieren hier ein Schild, dort einen winkenden Fußgänger, um uns schließlich in der ländlichen Einsamkeit wieder wohler zu fühlen. Mit Karte und Navi manövrieren wir entlang der innerzypriotischen Grenze ostwärts. Durstig und hungrig gelangen wir über staubige Pisten in eine Ortschaft.
Die erste Theke wird unsere sein, denke ich mir, oder die erste Tanke, da hat Walter schon einen Freisitz entdeckt. Der Kellner guckt verdutzt, als wir Radler zwei Bier und Kebab bestellen. Wir schieben das auf die ungewohnte Sport-Optik, und unsere verdreckten Arme und Beine.
Kurze Zeit später, von den Speisen fehlt noch jede Spur, fährt mit quietschenden Reifen ein Militär-Jeep vor. Ihm entspringt die türkische Ausgabe von Colonel Lynch aus dem A-Team. Wie von der Tarantel gestochen, rennt er auf unseren Kellner zu. Zwar verstehen wir kein Wort, aber anschließend ist die Rangordnung klargestellt, und der Kellner schaut mächtig zusammengefaltet aus. Er kommt zu uns rüber und bringt nichts als ein „No!“ heraus.
Wir verstehen nur Bahnhof, und harren des Kebabs.
Ein feinerer Militärwagen fährt vor, und ihm entsteigen zwei Angehörige der Militär-Polizei. Sie kommen direkt auf uns zu: „Where do you come from?“, „How did you get into the military base?“, „Why are you sitting here?“ fragt der Größere uns in bestem Englisch, aber nur semi-freundlichem Tonfall. Das ist kein Theken-Talk, sondern ein Verhör.
Mir schwant Böses. Kein Mensch auf dieser Welt weiß, dass wir hier entlang fahren wollten, dass wir hier sind. Ich schaue mich unauffällig um. Nur unsere an den Zaun gelehnten Räder zeugen von uns. Doch etwas beruhigt mich: Auf meiner Satteltasche blinkt der Spot-Tracker grün. Er sendet unsere GPS-Koordinaten.
Sollte unser Gespräch in einem feuchten Kellergefängnis bei Wasser, altem Brot und Elektroschocks enden, so werden diese Signale der internationalen Diplomatie den Weg weisen. Wir müssen dann nur durchhalten, bis die Hilfe uns erreicht. „Your passports, please!“, werde ich von Colonel Lynch aus meinen Gedanken geweckt.
Der Militärpolizist lässt sich unsere Pässe geben,
und greift zum Mobiltelefon. Sein Mienenspiel in den nächsten Minuten schwankt zwischen Kellerverlies und Ehrenbankett. Er steckt das Handy weg, reicht uns die Ausweise, und bedeutet uns, zügig weiterzufahren.
Schnurstracks lassen wir die beiden Biere halbvoll und unbezahlt stehen, und schwingen uns auf die Räder. Noch immer beschleunigend nähern wir uns dem Ausgang der Militärbasis und beobachten, wie einfahrende Autos durchsucht und mit Bodenspiegeln kontrolliert werden. Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Bike-Tour eine Sicherheitslücke in der Grenzsicherung aufdecken könnte...
So recht einschlafen kann ich an diesem Abend nicht. Walter hat zwar in weiser Voraussicht beim Verproviantieren an der Tankstelle die abendliche Bier-Ration eigenmächtig und beträchtlich erhöht. Hilft aber nichts. Die Gedanken im Kopf kreisen wie ein Keirin-Fahrer auf der Bahn. Haben wir heute schlicht eine Menge Schwein gehabt, oder haben unsere Ängste eine im Grunde belanglose Situation einfach nur hochgeschaukelt?
Ich komme in der Sache zu keiner Entscheidung,
komme lange nicht zur Ruhe und gleite irgendwann dann doch in den Schlaf. Dass wir am nächsten Tag auf dem Weg zum Flughafen an zwei nicht besetzten Grenzübergängen unser Glück vergeblich versuchen, eine Reifenpanne haben, und ich wegen eines entzündeten Mückenstichs noch kurz in der Notaufnahme vorbeischaue, bevor wir gen Heimat fliegen, verdauen wir irgendwie besser als den nicht einmal servierten Kasernen-Kebab...
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