20. Mai - Cesenatico/ Emiglia Romana – Rennbericht

Nove Colli: Mit Basso und Cipollini über neun Apennin-Hügel

Von Oliver Knott

Foto zu dem Text "Nove Colli: Mit Basso und Cipollini über neun Apennin-Hügel"
Süß nur als Kuchen: die neun Hügel des Granfondo Nove Colli | Foto: Oliver Knott

23.05.2018  | 

Polenta - Pieve di Rivoschio - Ciola - Barbotto - Monte Tiffi - Perticara - Monte Pugliano - Passo delle Siepi - Gorolo
Das sind sie, die neun Hügel, die es zu bezwingen gilt, wenn man die lange Runde des Granfondo Nove Colli bestreiten will. Neben diesen Anstiegen, die es in Summe auf 3840 Höhenmeter bringen, wären dann noch 210 km Strecke erwähnenswert.

Start für die wohl prominenteste Veranstaltung
im italienischen Granfondo-Kalender ist immer am vorletzten Sonntag im Mai, und pünktlich um 6 Uhr, im Küstenort Cesenatico in der Emiglia Romana . Rund 12 000 Teilnehmer verteilen sich auf neun Startgruppen, die entlang des Kanals und in einigen Seitenstraßen gebildet werden.

Für mich war es die zehnte Teilnahme - damit gehöre ich wohl zu den alten Hasen in Sachen Nove Colli, von denen manche behaupten, sie kennen jede Kurve bergab persönlich...Unser Verein, der RSV Moosburg, ist mit fünf Teilnehmern vertreten, der sechste Gemeldete musste wegen Verletzungspech passen.

Obwohl ich aufgrund der im letzten Jahr erzielten Fahrzeit
in der ersten Gruppe vertreten war, kann ich nicht bestätigen, ob Ivan Basso und Mario Cipollini tatsächlich am Start waren – ich habe sie schlicht nicht gesehen. War aber auch egal, denn ich vermute, es wäre nur ein kurzes Vergnügen mit den beiden gewesen: Selbst als „Fahrrad-Rentner“ sind Basso und Cipollini wohl immer noch deutlich schneller als ich.

Das Thema Geschwindigkeit war dann auch das erste Problem der vordersten Startgruppe. Die dort vereinten Fahrzeiten reichen von rund sechs Stunden - der Siegerzeit des Vorjahres - bis zu sieben Stunden dreißig. Auf den ersten 35 flachen Kilometern bedeutete das für mich: Stress, und eine deutlich zu hohe Drehzahl für einen mit einer Qualifikationszeit von 7:13 h in die erste Startgruppe gerutschten ambitionierten Fahrer. Da merkt man ganz schnell, dass man halt doch zum letzten Drittel zählt.

Aber immerhin: Heil am ersten Berg angekommen.
Nun war die Devise – erstmal durchschnaufen! Mit flotter Steiggeschwindigkeit (Wattmesser habe ich keinen, darum ist das meine Maßeinheit), aber nicht mit zu hohen Pulswerten wollte ich alle neun Hügel angehen. So geschehen am ersten Berg... Mein Kumpel Andi zog davon; vereinbart war, dass wir dieses Jahr nicht aufeinander warten, wenn er mir bergab nicht würde folgen können, andersherum in den Passagen bergauf.

Zwischen der Abfahrt von der ersten Collina bis zum eigentlichen Anstieg des zweiten Hügels stehen rund 14 Kilometer welliges Terrain; in der Gruppe lief es ganz ordentlich. Dann am Straßenrand erst ein Sportler, dann ein weiterer - Reifen wechseln. Kommt schon mal vor, bei den oft eher schlechten Straßenverhältnissen.

Aber plötzlich standen alle paar Meter Radler,
die als Monteure tätig waren - auf den nächsten drei Kilometern waren es sicher 80 bis 100 Defekte. Sabotage? Irgendwie ein ungutes Gefühl, wenn man sich vor dem geistigen Auge Reifenwechseln sieht, und die Zeit verrinnt. Offensichtlich spürte nicht nur ich dieses ungute Gefühl: Das Tempo in der Gruppe fiel deutlich ab. Aber ich blieb verschont.

Es gibt eben Tage, da läuft es einfach – zumindest bergab. Ich würde mich schon als guten Abfahrer bezeichnen, wenngleich ich manchmal das Gefühl habe, in dieser oder jener Kurve hätte ich es etwas besser machen könne. Aber heute nicht: Von der ersten bis zur letzten Abfahrt lief es wie geschmiert, und das auf oft schlechtem italienischem Straßenbelag.

Leider lief es nicht bei allen von uns: Am Barbotto
war es um meinen Kumpel Andi geschehen. Also nicht um ihn, sondern um seine Schaltung. Die Kette verließ den größten Zahnkranz in die falsche Richtung, was ihn zu einer größeren Reparatur zwang. Verheddert zwischen Ritzelpaket und Speichen, musste die Kette erst mal wieder befreit werden.

Für mich ging es weiter hinauf, bis zur Bergwertung. Auf den letzten 300 Metern standen die Zuschauer Spalier, und ohrenbetäubende Musik aus Lautsprechern peitschte die Teilnehmer nach oben. Am Abzweig zur langen Runde, etwa bei Rennhälfte, gab es den obligatorischen Stop zum Füllen der Flaschen.

Der Monte Tiffi, durchgängig mit über zehn Prozent,
ließ sich recht gut fahren, der anschließende Perticara zog sich dafür wie Kaugummi in die Länge. Die giftigen Wellen, die sich auf den ersten Kilometern bis zum eigentlichen, gleichmäßigen Anstieg sammeln, schienen heute nicht enden zu wollen. Ob die Veranstalter seit letztem Jahr noch ein paar zusätzliche kleine Anstiege in die Landschaft gebaggert haben?

Der Monte Pugliano ist nicht nur die höchste Erhebung des Nove Colli, es ist gleichzeitig auch der längste Anstieg. Da meine Flaschen noch hinreichend gefüllt waren, verzichtete ich auf einen Halt an der Verpflegung oben auf dem Gipfel, und stürzte mich direkt in die Abfahrt, vorbei am netten Dorf San Leo.

Dann die große Frage: Kommen sie, oder kann ich
sie noch irgendwie verhindern, die Krämpfe - die sich diesmal schon am achten Hügel andeuteten. Jetzt also nicht zu viel drücken, die schnelleren aus meiner Gruppe lieber ziehen lassen und versuchen, in der Abfahrt wieder Boden gut zu machen.

Immerhin: Die Krämpfe konnte ich verhindern und das Tempo im zweiten Gruppenteil bestimmen. Die Aussichten für das nach der Abfahrt bevorstehende Flachstück waren also gar nicht so schlecht, denn dort ist es sehr wichtig, nicht alleine zu fahren.

In den ersten Metern des Gorolo, der in der Spitze
noch einmal  17 Prozent Steigung hat, merkte ich allerdings, dass ich auch hier den Schongang einlegen muss. Meine Gruppe zog, mit Ausnahme von ein paar wenigen, an mir vorbei, konnte sich allerdings auch nicht entscheidend absetzen, so dass es mir in der ersten etwas flacheren Passage gelang, den Anschluss wieder herzustellen.

Im oberen Drittel des Anstiegs zog ein Fahrer mit blauer Startnummer, also aus der dritten Startgruppe, an uns vorbei und riss ein, zwei aus unserer Gruppe mit. Sofort rief ein Italiener „Gruppetto“; damit war klar, wir bleiben zusammen und nehmen die Abfahrt und die darauf folgenden 20 flachen Kilometer gemeinsam in Angriff.

In einem Höllentempo ging es hinab, über Borghi
nach Savignano. Die vereinzelten Wellen wurden weggedrückt, zwei, drei Leute wechselten sich mit der Führungsarbeit ab, wobei ich den Part des Zugpferds in den steileren Abschnitten und Wellen übernahm. Für die flacheren Stücke hatten wir auch Spezialisten in der Gruppe.

Auf den letzen gut 25 Kilometer Wegstrecke finden sich die Fahrer der Marathon-Distanz und die 130er wieder vereint. Hier heißt es, bei jedem Überholvorgang aufpassen, denn der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den Langen und den Kurzen ist eklatant. Immer wieder versuchen Fahrer der kurzen Runde den schnelleren Windschatten zu nutzen, meist jedoch ohne oder nur mit kurzzeitigem Erfolg.

Auf die letzten, flachen 15 Kilometer ging es ab
Savignano. Noch vor dem großen Kreisverkehr – die werden übrigens durch Streckenposten abgesperrt, wenn sich auch nur ein einzelner Radler nähert – schafften wir den Anschluss an eine Gruppe. Die hatten wir zur Hälfte überholt, dann war klar, der Spitze besteht aus Fahrern, die auf der 200er Runde unterwegs waren.

Mit vereinten Kräften schossen wir trotz Gegenwind dem Ziel entgegen. Ich konnte nicht einschätzen, wie groß unsere Gruppe letztendlich war, und wie viele wir auf der Strecke verloren haben, da ich stets im vorderen Teil unterwegs war.

Nach sieben Stunden zehn Minuten erreichte ich das Ziel,
leicht verbessert gegenüber dem letzten Jahr, und mit einem persönlichen Rekord. Anstrengender war die 2018er Ausgabe allemal - oder ist meine Erinnerung in den letzten 365 Tagen schon wieder so verblasst?

Bis zum nächsten Rennen wünsche ich euch allen immer einen Fingerbreit Luft unter der Felge, und allzeit unfallfreie Fahrt!
Euer Oliver
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