10. Juni - Lienz/ Osttirol - 232 km, 5234 hm - Rennbericht
SuperGiroDolomiti: Eine echte Herausforderung...
Von Oliver Knott
Am Start | Foto: Oliver Knott
13.06.2018 |
So, jetzt muss ich erst einmal kräftig durchatmen, und wieder zu mir kommen, bevor ich das Erlebte zu Papier bringen kann – eine kleine Verschnaufpause war dringend nötig! Den offiziellen Bericht vom SuperGiroDolomiti konntet ihr hier ja schon am Sonntag lesen...
Zum dritten Mal war ich hier in Osttirol -
dem Teil Tirols, der nicht mit dem restlichen Bundesland verbunden ist, sondern an Salzburg, Kärnten und Italien grenzt. Die Stadt Lienz, im Schnittpunkt dreier Täler, umgeben von hohen Bergen, die allerdings nicht bedrückend eng stehen, sondern einen weiten Talkessel bilden, ist alljährlich Gastgeber der Dolomiten-Radrundfahrt und seiner Extrem-Variante SuperGiroDolomiti, der heuer sein fünfjähriges Bestehen feierte.
Mein letzter Super-Giro liegt schon wieder zwei Jahre zurück, es war die Ausgabe, die nicht auf der üblichen Route erfolgte, da diese wegen eines Erdrutschs unbefahrbar war. So kam ich überraschend zu meiner „Erstbefahrung“ des Monte Zoncolan – nochmal Dank an die Organisatoren, den Berg hätte ich sonst vermutlich bis heute noch nicht bezwungen!
Dieses Mal sollte es für mich nun über die „Originalstrecke“
gehen, 234 Kilometer und 5234 Höhenmeter, Zahlen ähnlich wie beim Ötztaler.
So schön die Osttiroler Bergwelt ist, so ungünstig verlief meine Vorbereitung. Nach dem Novecolli ereilte mich eine bakterielle Infektion, die die Behandlung mit Antibiotika erforderte.
Gerade noch rechtzeitig waren die Werte wieder im grünen Bereich, so dass mir mein Hausarzt am Donnerstag vor dem Rennen das OK für die Teilnahme gab. Für mich galt es damit nach gut zwei Wochen Radlpause, die Marathon-Distanz anständig über die Runden zu bringen; Höchstleistungen konnte ich von mir und meinem Körper nicht verlangen.
Vom Start geht es die ersten 20 Kilometer
bis Oberdrauburg leicht bergab. Dort heißt es an der Spitzengruppe und dem Führungsfahrzeug dranbleiben, um möglichst effizient am Fuß des ersten Anstieges anzukommen. Der Gailberg-Sattel mit seinen 350 zu überwindenden Höhenmetern stellt kein großes Hindernis dar, ein gleichmäßig zu befahrender Berg. Alle sind noch hoch motiviert und frisch, entsprechend zügig wurde die Sache angegangen, soll heißen in 23 Minuten war das Ganz erledigt.
Die Abfahrt nach Kötschach auf gut ausgebauter Straße lief wie geschmiert, so dass das kurze flache Stück bis Mauthen in einer kleinen Gruppe bewältigt werden konnte.
Der erste, auch in der Ausschreibung namentlich erwähnte Anstieg ist der Plöcken-Pass, der an seinem Gipfel den Übergang von Österreich nach Italien markiert - mit elf Kilometern und 700 Höhenmeter ebenfalls relativ leicht zu befahren ist.
Oder lag es einfach daran, dass ich mich
zu diesem Zeitpunkt noch einigermaßen frisch fühlte? Zugegeben, in der oberen Hälfte des Anstieges, der durch einige lange Galerien und zuletzt einen gut einen Kilometer langen Tunnel etwas an Attraktivität verliert, hatte ich etwas das Gefühl für die Steilheit der Strecke verloren. Dabei waren hier durchaus Rampen im zweistelligen Prozentbereich enthalten.
Oben angekommen, schnell Flaschen auffüllen, und dann ruck zuck in die Abfahrt. Die war wirklich traumhaft: Viele enge Kehren, teilweise in den Fels gehauen. Aber ich bin ja nicht zum Sightseeing hier, ich will Rennen fahren. Also überhole ich einige Radler im oberen Bereich der Abfahrt, in der Hoffnung, auf eine Gruppe auflaufen zu können.
Aber vergebens, weit und breit niemand in Sicht.
So kommt es, dass nach etwa Zweidrittel der Abfahrt erst ein Radler auf mich auffährt und dann am Ende der Flach-Passage eine kleinere Gruppe. So geht's anschließend in Höchstgeschwindigkeit hinunter bis Paluzza. Dort zweigt die Route
nach Osten ab, über die Forcella di Lius mit gut 400 Höhenmetern, bevor nach einer Abfahrt zur Ortschaft Paularo der Anstieg zum Lanzenpass beginnt.
Übersetzung 34/ 30, Trittfrequenz 36 bis 40
- das ist das, was sich vom Lanzenpass, neben den schmalen und wegen Waldarbeiten recht verschmutzten Straßen am nachhaltigsten in mein Hirn eingebrannt hat. Dieser Pass ist alles andere als einfach zu fahren. Hier musste ich zudem feststellen, dass es vermutlich keine so tolle Idee war, direkt nach einer Krankheit eine solche Monsterstrecke zu absolvieren.
Mein Befinden kann ich immer gut daran ablesen,
wie häufig ich die Seite meines Garmin mit dem Höhenprofil aufrufe, um mich immer wieder zu vergewissern, wie lange der Anstieg noch ist - um dann bei jedem Check enttäuscht zu werden: Fast wie das Kind auf dem Rücksitz, das schon nach einer halben Stunde Fahrzeit fragt, wie lange es noch dauert. Dummerweise befinde ich mich noch nicht einmal bei der Hälfte der Strecke, und der Berg wird und wird nicht flacher.
Irgendwann beginne ich also, in Schlangenlinien den Berg hinauf zu fahren. Da befinde ich mich in guter Gesellschaft: Ich bin nicht der einzige, der dem Anstieg damit etwas Steilheit nimmt. Nach der Verpflegung am Scheitelpunkt beginnt die Abfahrt, vor der bereits ein Fotograf in der Auffahrt warnte. Oben noch ohne Bäume, trocken, sauber, aber schmale Straße, dann kommt ein Schild, das in italienischer Sprache vor den schlechten Straßenverhältnissen warnt - was den vor mir fahrenden gleich zu einer gefühlten Vollbremsung animiert.
Der weitere Verlauf der Abfahrt ist gezeichnet
von schlechtem Teer, Rollsplitt, steilem Gefälle, scharfen Kurven, Feuchtigkeit, und dem schon bekannten feinen Überzug aus Erdreich, gern auch in Kombination aus mehreren der genannten Eigenschaften. Unten angekommen, schmerzen die Hände vom Bremsen, die in der Abfahrt Überholten schließen auch auf dem letzten, etwa acht Kilometer flacherem Teilstück bis zum Fuße des Nassfeld-Passes nicht mehr auf.
Bei etwa 30 Grad und schwülwarmer Luft wieder der Blick auf das Höhenprofil: Zu erkennen sind knapp 1000 Höhenmeter, verteilt auf die nächsten 13 Kilometer. Oje, bei meiner aktuellen Steiggeschwindigkeit eine Sache von deutlich über einer Stunde. Während des Anstiegs werde ich von den drei Burschen eines Teams überholt, die ich in der Abfahrt noch stehengelassen habe - aber nun keine Chance zu folgen.
Auf halber Höhe sehe ich, wie eine Teilnehmerin
in ein offizielles Auto des Veranstalters steigt. Kurz mache ich mir Gedanken, wie es aussehen würde, wenn in der Ergebnisliste vor meinem Namen ein „DNF“ stehen würde. Das wäre allerdings ein Novum. Nein, kommt nicht in Frage, weitertreten - ich bin ja noch längst nicht der letzte Teilnehmer im Fahrerfeld.
Oben, kurz vor der Passhöhe macht der Nassfeld-Pass seinem Namen alle Ehre, es beginnt nass zu werden - eigentlich erfrischend, und im Anstieg durchaus erträglich. Auch an diesem Gipfel ist eine Verpflegung aufgebaut. Ich versuche etwas zu essen, was mir zusehends schwerer fällt, mein Magen will nicht ganz so wie ich. Nachdem ich die Abfahrt einer etwa zehnköpfigen Gruppe verpasst hatte, musste ich mich sputen, den Sportlern hinterher zu hetzen. Zumindest blieb mir dadurch die Entscheidung erspart, ob eine Regenjacke sinnvoll wäre.
Mit einer Minute Rückstand und dem festen Willen,
bis unten aufgeschlossen zu haben, ging ich in die Abfahrt - wichtig, denn die nächsten 30 Kilometer sind eine der wenigen Flach-Passagen der Strecke.
Im belgischen Kreisel ging es Richtung Kötschach, effizient, aber auch keine Erholung - dazu sind die Leistungsunterschiede der bunt zusammengewürfelten Zweckgemeinschaft einfach zu groß.
So kam es dann auch, dass ich mit meinen Mitstreitern ab dem Moment, als es wieder mehr bergauf Richtung Kartitscher Sattel ging, nur noch unter größten Mühen mithalten konnte. Der Anstieg zieht
sich über 43 Kilometer, es geht immer wieder kurze Rampen hoch, um dann gleich darauf die Hälfte der eben gewonnen Höhe wieder zu verlieren. Ein wenig mein Glück, denn in den kurzen Abfahrten gelang es mir immer wieder zu meiner Gruppe aufzuschließen.
An einer Verpflegung beschloss ich, einen ganz kurzen Stop
einzulegen, um dann wieder richtig loszulegen. Meine Taktik war, möglichst weit zu kommen, um mich dann idealerweise kurz vor dem Sattel von meiner bisherigen Gruppe wieder einholen zu lassen. So machte ich mich zwei anderen an der Verpflegung vorbeikommenden Sportlern auf den Weg weiter Richtung Ziel.
Aber auch an diesem Berg lief es nicht so richtig, der Kopf wollte nicht mehr, was sich in dem gewohnten Blick auf das Höhenprofil und die 20-km-Vorschau auf dem Garmin bemerkbar machte. Schilder am Straßenrand verkündeten die noch zu fahrende Distanz.
Die Vorschau meines Garmin zeigte aber unerbittlich
weiterhin bergauf. Erst bei der 55-Kilometer-Marke konnte ich erkennen, dass es irgendwann auch länger bergab gehen wird. Also von hier an noch 20 Kilometer aufwärts. Zu allem Überfluss setzte dann auch noch Regen ein. Dies war der Zeitpunkt, an dem ich meine beiden Mitstreiter verlor.
Mit stoischer Ruhe fuhr ich einfach weiter. Es bringt ja auch nichts, sich über die Nässe aufzuregen, es wird ja deshalb nicht trockener. Nach zehn Kilometern trocknete die Straße plötzlich wieder ab. Der Himmel verdunkelte sich jedoch kurz vor dem Kartischer Sattel wieder, und nun war auch der Zeitpunkt gekommen, die Regenjacke nach knapp 200 Kilometer in der Trikottasche endlich an die frische Luft zu holen.
Es schüttete wie aus Kübeln, so dass in der Abfahrt
Schlaglöcher und Risse in der Straße kaum mehr zu erkennen waren. Leider ging mein Plan, mich von „meiner“ Gruppe wieder einholen zu lassen, nicht so ganz auf: Weit und breit war niemand zu sehen. Einsam ging es also auf die letzten leicht abfallenden 25 Kilometer in Richtung Lienz. Bei Gegenwind, ja genau, das wünscht man sich in solch einer Situation.
Um es kurz zu machen, meine Gruppe schloss doch noch zu mir auf, leider erst acht Kilometer vor dem Ziel. Ab da wurde es dann wieder leichter und natürlich auch schneller. Dann war es endlich geschafft...
Am Abend vor dem Rennen wurde ich gefragt,
was wohl härter sei, der Ötztaler oder der SuperGiroDolomiti. Da war meine Antwort ganz klar, dass viel von der Tagesverfassung abhängig sei.
Jetzt bin ich mir darüber im Klaren: Auch wenn das Timmelsjoch schon ein harte Nuss ist, der Super-Giro fiel mir deutlich schwerer. Das hat unter anderem damit zu tun, dass man hier aufgrund der deutlich geringeren Teilnehmerzahl viel mehr alleine unterwegs ist. Und die Durchschnittsgeschwindigkeit war auch deshalb langsamer, weil die Abfahrt vom Lanzen-Pass nur im gefühlten Schneckentempo ging, und die Auffahrt sehr, sehr mühsam ist.
Mein Fazit: Alles in allem ist der SuperGiroDolomiti für jeden,
der eine echte Herausforderung sucht, und entweder beim Ötztaler nicht zum Zug gekommen ist, oder vielleicht eine echte Vorbereitung für den "Ötzi" braucht, eine ausgesprochen anspruchsvolle Alternative.