19. Mai - Cesenatico - Rennbericht
Nove Colli: Erst “sinistra“ - dann “kaputt“...
Von Oliver Knott
| Foto: novecolli.it
25.05.2019 | Am vergangen Samstag war es wieder so weit, das lange Warten hatte eine Ende. Nach der Anmeldung Ende Oktober des vergangen Jahres, bei der die 12.000 Startplätze, wie in den Vorjahren auch, bereits nach wenigen Minuten vergriffen waren, ging's nun endlich nach Cesenatico.
Beim RSV Moosburg konnte ich zehn weitere Club-Kameraden überzeugen,
die die Herausforderung über neun Hügel in der Region Emilia Romagna anzunehmen. Manch einer hatte anfängliche Bedenken, da 3800 Höhenmeter auf 210 Kilometer im Mai noch nicht jedermanns Sache sind.
Die Prognose für das Wetter, das im Mai noch recht durchwachsen sein kann, war super - leider für unsere Heimat-Gefilde in Oberbayern. In Cesenatico sollte ee nach Wetterbericht entweder zum Start schon regnen, oder in der harmloseren Variante, erst irgendwann im Verlauf des Rennens.
Wer schon mal auf den Straßen im Hinterland
Cesenaticos unterwegs war, der weiß, dass das Unterfangen, seine Bestzeit zu unterbieten, dadurch nicht einfacher wird.
Nachdem wir uns am Frühstücks-Buffet gestärkt hatten, und die Klamotten-Frage individuell geklärt wurde, ging es pünktlich um 5.15 Uhr los, in Richtung Start.
Der örtliche Pfarrer gab seinen Segen mit auf den Weg, die Nationalhymne wurde gespielt, begleitet von einem grün-weiß-rotem Feuerwerk. Der Startschuss folgte pünktlich um sechs Uhr, und wir wurden auf die Strecke geschickt.
Bereits nach 4,5 Kilometern war des Pfarrers Segen für drei Teilnehmer leider nicht mehr ausreichend - Sturz. So kam es zum totalen Stillstand, was ich bei zehn Teilnahmen bisher nicht erlebt hatte.
Drei Radsportler hatten sich verhakt,
zwei lagen unter ihren Rädern begraben auf der Straße, der dritte fand sich im Straßengraben wieder. Nach dem Passieren der Unfallstelle ging es wie an einer Perlenkette aufgefädelt in Richtung erster Anstieg. Locker wollte ich es angehen – Fehlanzeige. Das geht einfach nicht, wenn alle schnell fahren, da muss ich einfach mit. Aber das Vorhaben, die Berge zügig, aber nicht in einem überhöhten Pulsbereich zu absolvieren, gelang erst mal ganz gut.
Die Abfahrt vom ersten Collo, die teilweise 15 Prozent und genau in diesem Bereich eine S-Kurve hat, war noch trocken, so dass sich das gewohnte Vertrauen in die fahrerischen Fähigkeiten wieder einstellte. Irgendwie war ich von dem Start-Crash doch noch ein wenig beeindruckt...
Oben am vierten Collo, dem Barbotto, herrschte das übliche
Hallo: Zuschauer am Straßenrand, laute Musik und anfeuernde Rufe des Streckensprechers über die Lautsprecher peitschten die Teilnehmer über die kurze 18-Prozent-Rampe am Ende des Anstieges. Dank kleinerer Übersetzung verbreitet diese Passage bei mir jedoch kein Angst und Schrecken mehr, das war bei meinen ersten Teilnahmen noch ganz anders.
Keine besonderen Vorkommnisse bis zum Abzweig auf die lange Runde. Dort allerdings überraschte mich die Abwesenheit der eingeplanten Verpflegungsstelle. Diese war um sieben Kilometer verlegt worden - so lange musste der letzte Schluck in meiner Flasche noch ausreichen.
Ab Berg fünf, dem Teil der Strecke der ausschließlich von den Startern der Langstrecke absolviert wird, stellte ich fest, dass die Anzahl derer, die mich überholten, deutlich nachließ. Bergauf und erst recht bergab.
So machte ich Position um Position gut,
erst noch im Trockenen, ab dem siebten Hügel im Regen, und
einen später gar im strömenden Regen, dessen Tropfen fast schmerzhafte Ausmaße annahm.
Zwischen dem Passo del Grillo und dem Gorolo, also Berg acht und neun, folgt die Strecke über eine Länge von gut zwölf Kilometern einer leicht abfallenden, talauswärts führenden Straße.
Das ideale Terrain, um in einer Gruppe Geschwindigkeit zu machen. Ich setzte mich mit aufforderndem Blick an die Spitze eines versprengten Haufens von Radlern, die sich im Starkregen den Weg bahnten. Nach einem knappen Kilometer ging ich aus der Führung, und ein italienischer Goldhelm übernahm.
Mir wurde allerdings schon an dritter Stelle
wieder die Lücke zum einfädeln aufgemacht. Jedes Jahr das gleiche Spiel, denke ich mir. Ich würde mir auch mal gerne die Körner für den letzten, zweitsteilsten Hügel sparen. Kaum war der Gedanke beendet, geht Goldhelmchen aus der Führung, und der Fahrer auf Position zwei folgt ihm unvermittelt.
Ich fand mich also direkt wieder an der Spitze - wo ich eigentlich nicht so schnell wieder hinwollte. Leider konnte mein einziger Mitstreiter seine Landsleute nicht überzeugen, die eine oder andere Führung mitzugehen. Was habe ich in einem bekannten deutschen Radsport-Magazin vor ein paar Jahren mal über den Nove Colli gelesen? Bis zum ersten Berg geht es vor allem darum, "bella figura" zu machen...
Hier im prasselnden Regen des Hinterlandes
von Cesenatico spielte "bella figura" allerdings keine Rolle mehr, da mimte man eher den "sterbenden Schwan". Zumindest schafften wir es wenigstens auf halber Wegstrecke, zu zweit die Gruppe an eine vorausfahrende heranzuführen, so dass doch noch ein wenig Zeit zum Luft holen blieb.
Im letzten Berg musste das Gefühl herhalten, denn mein alter Garmin zeigte mir mal wieder, was er gar nicht mag - Regen! Die Höhenmessung funktioniert dann leider nicht, und demzufolge auch nicht die Anzeige der Steiggeschwindigkeit, die normalerweise mein Anhaltspunkt ist.
Am Ende des letzten Anstiegs war auf alle Fälle
von der Gruppe nichts mehr zu sehen. Ob ich meine Mitstreiter nach vorne oder nach hinten verloren habe, vermag ich nicht zu sagen, so beschäftigt war ich mit meiner eigenen Treterei. Ein Schweizer Sportler, den ich schon am achten Berg getroffen hatte, begegnete mir am Gipfel.
Ein kurzer Augenkontakt reichte aus, um uns zu verständigen, und stillschweigend die Absprache zur gemeinsamen Fahrt Richtung Ziel zu treffen. Wir jagten das kupierte Gelände hinab, schlängelten uns, nach dem Zusammentreffen der beiden Strecken, durch die Masse von langsameren Teilnehmern der kurzen Ausgabe, bis wir endlich auf eine schnelle Gruppe auffuhren.
Von dieser Gruppe hatten wir leider nicht viel,
denn just in dem Moment übetrholte die Spitze ein Auto, und bog links ab. Der erste und der zweite Radler krachten in das Fahrzeug, bzw. ineinander. Mich, an etwa fünfter Position fahrend, überholte ein Radsportler, der offensichtlich den Crash zu spät bemerkte, und schlitterte in einen der beiden am Boden liegenden, wobei sein Rad hochgeschleudert und in meine Fahrlinie katapultiert wurde. Reflexartig wich ich aus und entkam knapp der schmerzhaften Szene.
Ein kurzer Blick nach hinten ergab, dass zumindest keine weiteren Teilnehmer in Mitleidenschaft gezogen wurden. Nach ein paar hundert Meter schloss der Schweizer Sportskamerad wieder zu mir auf und wir zogen den Rest der Truppe in Richtung Cesenatico. Als ich nach einer Führungseinheit die mir an zweiter Stelle angeboten Lücke nicht nutzen wollte und stattdessen die anderen zur Mitarbeit aufforderte bekam ich nur zu hören: "kaputt!"
Dann erreichten wir endlich das Ziel -
nicht jedoch ohne dass mein Schweizer Mitstreiter an der vorletzten Straßenüberführung die Gruppe gesprengt hatte. Offensichtlich waren die anderen tatsächlich "kaputt"...
Aber immerhin: Ziel erreicht, ohne Sturz angekommen, die Qualifikationszeit für die erste Startgruppe bestätigt. Wenn es auch diesmal, unter anderem aufgrund der Witterungsverhältnisse, nicht möglich war, mein letztjähriges Ergebnis zu
verbessern, war unser Ausflug nach Cesenatico ein voller Erfolg. Auch und gerade weil alle unsere Vereinsmitglieder ohne Blessuren ins Ziel kamen und jeder einen Sieg über sich, das Wetter, die Strecke und einiges mehr feiern konnte.
Übrigens verrate ich jedem, den ich erstmals
zum Nove Colli mitbringe, ein italienisches Zauberwort: Sinistra, italienisch für links. Wenn man es bergauf von hinten hört, dann will jemand auf der linken Seite vorbei fahren. Wenn ich selber überholen möchte, dann sollte ich das Zauberwort benutzen.
Im Ziel dachte ich mir, vielleicht lernen italienische Radsportler auch ein deutsches Wort – „kaputt“ zum Beispiel... Aber Spaß beiseite - unsere "Anhänger" waren faire Sportsleute, und einige bedankten sich im Ziel bei uns, für die Arbeit als "Zugmaschine".