Überholen, abbiegen, parken, nebeneinander fahren
Was ist in der neuen StVO für Radfahrer/innen anders?
| Foto: BMVI
15.03.2020 | Mitte Februar hat der Bundesrat der neuen Straßenverkehrsordnung (StVO) zugestimmt, und in Kürze wird sie mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten. Der pressedienst-fahrrad und radsport-news haben alle wichtigen Fakten für Radfahrer/innen herausgesucht.
1. Überholabstand
Es wird ein Mindest-Abstand beim Überholen verankert: Innerorts müssen Kraftfahrer in Zukunft wenigstens 1,5 Meter zum Radfahrer einhalten, außerorts sogar zwei Meter. Die Regelung gilt übrigens auch für Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer, zB mit Handwagen. Diese präzise Festlegung ist neu; bislang stand in der StVO, dass es sich um einen „ausreichenden Seitenabstand“ handeln müsse.
Die Anpassung folgt bestehenden Gerichtsurteilen, die diesen Mindestabstand bereits seit den 80er-Jahren empfahlen (z. B. OLG Saarbrücken, Az. 3 U 141/79). Das gilt auch, wenn man einen Radfahrer mit Anhänger überholt: Dann muss entsprechend mehr Platz einkalkuliert werden. Fährt man auf einem Radstreifen, gilt die Neuregelung übrigens nicht, dann bleibt es beim „ausreichenden Seitenabstand“.
2. Erweiterung des Parkverbots an Kreuzungen
Das Parkverbot für Kfz an Kreuzungen mit Radweg wird erweitert: von fünf auf acht Meter vom Fahrbahnkreuzungspunkt aus. Damit sollen Sichtbehinderungen und daraus resultierende gefährliche Situationen minimiert werden.
Ein Problem bleiben aber die Kreuzungen ohne Radweg. Speziell Kinder bis acht Jahre, die auf dem Gehweg fahren müssen, werden weiterhin schlecht von Autofahrern wahrgenommen. Sie müssen deshalb laut Gesetz bei jeder Fahrbahnquerung absteigen und schieben – auch wenn sie von ihren Eltern begleitet werden.
„Wir raten deshalb weiterhin, das Kinderrad mit einem hoch herausragenden Sicherheitswimpel auszustatten, damit die Kinder von den Autofahrern besser wahrgenommen werden“, sagt Guido Meitler vom Kinderradhersteller Puky.
3. Abbiegen von Lkw
Ein weiteres großes Problem sind Abbiege-Unfälle von Lkw und Radfahrern. Für mehr Sicherheit soll nun sorgen, dass Lkw ab 3,5 Tonnen mit Schrittgeschwindigkeit abbiegen müssen, wann immer mit Radfahrern und Fußgängern zu rechnen ist. Ein Verstoß kann 70 Euro und einen Punkt im "Fahreignungs-Register" kosten.
„Das ist zumindest ein Teilerfolg, der für mehr Sicherheit sorgen kann“, beurteilt Alexander Kraft von HP Velotechnik den neuen Gesetzestext. Allerdings schränkt er ein, dass die Schrittgeschwindigkeit laut Bundesverkehrsministerium mit „bis zu elf Stundenkilometer“ definiert wird. „Das ist ungefähr das Tempo eines flotten Joggers, und damit eindeutig zu schnell“, so Kraft.
4. Rechtsabbiegende Radfahrer
Radfahrer dürfen ab sofort die Ampel-Grünpfeile nutzen, wenn sie von einem Radfahrstreifen oder baulich angelegten Radweg nach rechts abbiegen. Außerdem können Kommunen extra Grünpfeile für Radfahrer einführen.
An vielen Kreuzungen können Radfahrer gefahrlos rechts abbiegen, wenn sie weiterhin auf dem Radweg bleiben. Allerdings ist derzeit noch unklar, ob vor dem Abbiegen angehalten werden muss oder nicht. Außerdem muss ein neuer Grünpfeil für jede Kreuzung extra angeordnet werden.
5. Nebeneinander fahren
Radfahrer dürfen nebeneinander fahren, wenn der übrige Verkehr dadurch nicht behindert wird. Das wurde durch die neue StVO gestärkt. Faktisch ist allerdings das keine Änderung gegenüber der vorherigen Regelung, die besagt, dass Nebeneinanderfahren ohne die oben genannte Rücksichtnahme erst in Verbänden ab 16 Radfahrer/innen möglich ist.
6. Fahren auf dem Gehweg
Wer auf vorschriftswidrig auf Gehwegen, oder in der falschen Richtung auf Radwegen fährt, muss nun statt bis zu 25 Euro mit bis zu 100 Euro Geldbuße rechnen.
7. Beförderung von Erwachsenen
Die Mitnahme von Erwachsenen auf geigneten Fahrrädern wird wieder zugelassen. Dem bisher gültigen Verbot ging nämlich ein Fehler voraus, denn in der StVO-Fassung von 1937 stand: „Auf einsitzigen Fahrrädern dürfen Radfahrer Personen nicht mitnehmen“. Ausnahme: Kinder unter sieben Jahren. Bei der Neufassung 1970 wurde das Wort „einsitzig“ schlicht vergessen.
Dieser Fehler wurde jetzt korrigiert, und somit sind Rikschas oder Lastenräder mit Beförderungsmöglichkeiten im Straßenverkehr wieder legal zu fahren. Der Fahrer muss mindestens 16 Jahre alt sein.
„Die Regelung ist ein wichtiger Schritt hin zur Verkehrswende. So können auch Jugendliche oder ältere Personen auf dem Rad gesetzeskonform transportiert werden. Ich bedanke mich, dass mein Hinweis aufgenommen und eine falsche Formulierung korrigiert wurde“, freut sich Markus Riese vom E-Bike-Spezialisten Riese & Müller, auf dessen Einwand die Änderung zustande kommt.
Auf eine Eischränkung verweist Riese: „Man darf nicht einfach jemanden auf dem Gepäckträger mitnehmen. Das Fahrrad muss für das Mehrgewicht zugelassen sein und über eine spezielle Sitzvorrichtung verfügen.“
8. Verkehrszeichen "Radschnellweg"
Das Verkehrszeichen „Radschnellweg“ wird in die StVO aufgenommen. Bei Radschnellwegen handelt es sich um Radfahrbahnen, die ein schnelles und sicheres Befahren durch Radfahrer über größere Entfernungen ermöglichen sollen.
„Die Wege werden gerne auch als ‚Radautobahnen‘ bezeichnet und bekommen aktuell gerade in Ballungsräumen eine hohe Attraktivität, weil sie als dezidierte Trassen für Pendler auf den Haupt-Routen zum Radfahren, und zum Verzicht auf das Auto einladen“, sagt Volker Dohrmann vom Hamburger Fahrrad-Hersteller Stevens.
9. Einführung von Fahrrad-Zonen
Analog zu Tempo-30-Zonen sollen in Zukunft auch Fahrrad-Zonen eingerichtet werden können. Wie bei Fahrradstraßen gilt dort Tempo 30, und der Radverkehr darf nicht gefährdet oder behindert werden. Durch die Gesetzesänderung sollen die Möglichkeiten zur Einrichtung durch die Straßenverkehrsbehörden erleichtert werden. Allerdings ist bislang unklar, unter welchen Voraussetzungen eine Fahrrad-Zone eingeführt werden darf.
10. Parken
Für Lasten-Fahrräder können die zuständigen Straßenverkehrsbehörden Parkflächen und Ladezonen
mit dem neuen Bild „Lastenfahrrad“ ausweisen.
Das geplante Fahrrad-Parkverbot am Fahrbahnrand wurde im Bundesrat verhindert. „Eine andere Lösung wäre auch nicht zielführend gewesen. Um die Verkehrswende zu schaffen, müssen mehr Parkmöglichkeiten für Räder anstelle von Autoparkplätzen am Fahrbahnrand geschaffen werden“, sagt Andreas Hombach vom Stadt-Möblierer WSM.
Für Kraftfahrzeuge werden beim Parken auf Geh- und Radwegen sowie beim unerlaubten Halten auf Schutzstreifen und beim Parken und Halten in zweiter Reihe die Geldbußen von derzeit ab 15 Euro auf bis zu 100 Euro
erhöht. Bei schwereren Verstößen gibt's
einen Punkt im "Fahreignungs-Register" - wenn durch das verbotswidrige Verhalten andere
Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden, eine
Sachbeschädigung erfolgt ist oder das Fahrzeug auf dem Geh- oder Radweg
länger als eine Stunde parkt.
11. Tempo 30
Die Forderung, flächendeckend Tempo 30 in Innenstädten einzuführen, wurde in der neuen StVO nicht aufgegriffen. Dabei zeigen Beispiele aus Helsinki oder Oslo, dass dadurch die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer wesentlich verbessert wird. „Das ist unser großer Wunsch an die nächste Novelle, die schon in diesem Jahr kommen soll“, hofft Hombach.