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30.10.2021 | 9800 S-Pedelecs wurden laut Zweirad-Industrie-Verband im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft; 25 400 waren es in der Schweiz im selben Jahr (laut sportbiz.ch). Der Grund: Die deutsche Straßenverkehrsordnung bremst S-Pedelecs aus - und behindert so die Mobilitäts-Wende. So lautet seit langem ein Vorwurf aus der Fahrrad-Branche in Richtung Politik. Doch was ist dran an der Aussage - und welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Der pressedienst-fahrrad hat Antworten.
Optisch unterscheiden sich S-Pedelecs kaum von ihren langsameren Geschwistern, den Pedelecs. Es besteht jedoch ein gewaltiger Unterschied: Der Motor unterstützt nicht bis 25 km/h, sondern bis 45 km/h – wobei es für die Maximal-Unterstützung durchaus einiger Anstrengung bedarf. Der Vorteil: S-Pedelecs ermöglichen, längere Distanzen mit dem Rad problemlos und schnell zu absolvieren. Für Berufspendler/innen mit täglichen Strecken um zehn Kilometer oder mehr sind sie damit eine interessante Alternative zum Auto.
Auf der anderen Seite steht der große Nachteil: Rechtlich gelten S-Pedelecs nicht als Fahrräder, sondern als Kleinkrafträder – mit allen damit verbundenen Pflichten. Dazu zählen u. a. eine Helmpflicht sowie der Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse AM. Außerdem brauchen die Fahrzeuge ein Versicherungskennzeichen mit beleuchtetem Kennzeichenhalter, eine Hupe und einen Rückspiegel. In Österreich muss gar ein Verbandskasten mitgeführt werden.
Aufgrund dieser Anforderungen und länderspezifischen Regelungen bleibt der Marktanteil der schnellen Flitzer gering, obwohl die Räder einen wesentlichen Beitrag zur Mobilitätswende liefern würden. Um das in Zukunft zu erreichen, sprechen sich Verbände wie der Verkehrs-Club Deutschland (VCD) und der Bundesverband Zukunft Fahrrad (BVZF) für einige rechtliche Änderungen aus.
1) Radwege für S-Pedelecs frei gegeben
Der wichtigste Vorschlag ist, die Radwegenutzung für S-Pedelecs zu erlauben. Aktuell müssen die Räder auf der Fahrbahn fahren und sind sowohl auf Radwegen, Fahrradstraßen und Radschnellwegen verboten, falls diese nicht explizit für Kleinkrafträder bzw. Kraftfahrzeuge freigegeben sind. „S-Pedelecs können ihr Potenzial nur voll entfalten, wenn auch die vorhandene Fahrradinfrastruktur genutzt werden darf.
Gerade Radschnellwege und Fahrradstraßen sind dafür konzipiert, um mit dem Fahrrad über längere Distanzen schenll von A nach B zu kommen und damit prädestiniert für S-Pedelecs in der alltäglichen Anwedung, sagt Markus Riese vom E-Pedelec-Hersteller Riese & Müller, der selbst leidenschaftlich gerne mit dem S-Pedelec unterwegs ist. Besonders drastisch ist die Regelung an Landstraßen, denn hier ist die nominelle Differenzgeschwindigkeit zwischen S-Pedelecs und Autos deutlich höher als innerorts.
Wie es anders gehen kann, zeigt die Schweiz: Dort sind die Radwege für S-Pedelecs freigegeben und der Verkaufsanteil der Räder liegt bei ca. 20 Prozent des gesamten E-Bike-Marktes. Anja Knaus vom schweizerischen E-Bike-Hersteller Flyer kritisiert deshalb die deutsche Rechtslage: „Solange Themen wie die Radwegenutzung nicht gelöst sind, wird sich das S-Pedelec nicht durchsetzen können.“
Damit Radfahrer/innen, Fußgänger/innen und S-Pedelec-Nutzer/innen sicher nebeneinander unterwegs sein können, schlägt Markus Riese innerorts ein Geschwindigkeits-Limit für S-Pedelecs vor: „So wie man mit einem Rennrad auf dem Radweg langsamer fahren muss als man kann, könnte es auch für S-Pedelecs eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 25 km/h auf innerstädtischen Radwegen geben.“ Alexander Kraft von HP Velotechnik ergänzt: „Porsche-Fahrer/innen verbietet man ja auch nicht, durch die Tempo 30 Zone zu fahren.“ Die Durchschnittsgeschwindigkeit von S-Pedelec-Nutzer/innen liegt bei 23 km/h, was gegen Rasen mit den Rädern spricht.
Ein Beispiel, wie eine Regelung funktionieren kann, ist die Stadt Tübingen; Bürgermeister Boris Palmer nutzt selbst ein S-Pedelec, um zu Terminen zu fahren. In Tübingen sind seit Ende 2019 Teile des Radwegenetzes für S-Pedelecs freigegeben, insgesamt soll ein "S-Netz" mit rund 50 Kilometern entstehen. Ein bisher ungewöhnlicher Vorgang in Deutschland, der sogar ein eigenes Verkehrszeichen hervorbrachte. Verbunden ist diese Freigabe allerdings mit Regeln: So ist die maximale Geschwindigkeit an Knotenpunkten mit Fußverkehr auf 30 km/h begrenzt.
Der VCD schlägt vor, dass Radwege außerorts generell für S-Pedelecs freigegeben werden, innerorts eine Freigabe nur bei geeignet breiten Wegen erfolgen soll. Gemeinsame Rad- und Fußwege sollen grundsätzlich ausgeschlossen werden. In Belgien wurden diese Regelungen in einem Modell-Projekt bereits getestet. Fahrer/innen konnten innerorts wählen, ob sie auf dem Radweg oder der Fahrbahn fahren möchten, außerorts war die Nutzung von Radwegen Pflicht. In Folge stiegen die Verkaufs- und Nutzungszahlen von S-Pedelecs deutlich an.
2) S-Pedelecs auf Wald- und Feldwegen erlauben
S-Pedelecs dürfen in Deutschland bisher nicht auf Wald-, Feld- oder Wirtschaftswegen fahren, was im Alltag als echtes Hemmnis gesehen wird. „Ein wesentlicher Vorteil des Fahrrades ist es doch, auch einmal eine Abkürzung über Feldwege nutzen zu können oder auch in der Freizeit dem Straßenverkehr zu entkommen. Das ist mit dem S-Pedelec nicht möglich, was den zeitlichen Vorteil gegenüber dem Auto wieder zunichte macht“, so Knaus. Eine Freigabe würde die Akzeptanz gegenüber dem S-Pedelec sicher verbessern, jedoch auch zu weiteren Diskussionen führen, wenn S-Pedelec-Nutzer:innen in Konflikt mit anderen Erholungssuchenden, z. B. in touristischen Regionen, kommen.
3) Kindertransport ermöglichen
An Kleinkrafträdern ist es nicht gestattet, einen Anhänger zum
Kindertransport anzubringen. Diese Regelung zählt somit auch für
S?Pedelecs. Begründet wird das Verbot damit, dass es noch keine
Prüfroutine für eine Bauartsgenehmigungsprüfung gibt. Das betrifft die
seitlich angebrachte Kupplung sowie Sitze im Anhänger. „Solange keine
Prüfungsverordnung dafür aufgesetzt wird, kann es nicht geprüft und
somit natürlich auch nicht zugelassen werden“, sagt Natascha
Grieffenhagen vom Anhänger-Spezialisten Croozer. In der Schweiz ist
hingegen das Montieren eines Kinderanhängers erlaubt.
Grieffenhagen sieht das Thema in der Praxis allerdings schwierig: „Anhänger müssten auf das Fahren mit S-Pedelecs komplett neu ausgelegt werden. Es ist ein großer Unterschied, ob mit einem Anhänger 10, 25 oder 40 km/h gefahren wird – auch für die Sicherheit der Kinder.“ Vorschläge wie das Aufrüsten mit einer Auflaufbremse für Kinderanhänger, wie aktuell gefordert, findet sie interessant, aber noch nicht durchdacht genug.
Bei Lastenanhängern, zu denen auch Hundeanhänger zählen, ist die Situation im Übrigen ähnlich. Auch hier fehlt aktuell noch die Möglichkeit zur Zulassung für die seitliche Kupplung, wobei das Anbringen von Lastenanhängern an Kleinkrafträdern generell erlaubt ist. „Wir würden uns sofort für die Zulassung anmelden, aber die Möglichkeit besteht nicht. Das ist eine Sackgasse“, so Grieffenhagen. Ein Kind im Kindersitz auf dem S-Pedelec mitzunehmen, ist übrigens auch in Deutschland erlaubt: Allerdings muss der zusätzliche Sitz in der Zulassung vermerkt werden und das Kind einen Helm tragen.
4) Bessere Abstellbedingungen schaffen
Anders als Fahrräder dürfen S-Pedelecs nicht auf Gehwegen geparkt werden, was in der Praxis bedeutet, dass sie nur am Fahrbahnrad oder auf Kfz-Parkplätzen offiziell stehen dürfen – auch Parkausweise und Parkscheibenpflicht sind theoretisch nötig. „Richtig“ abgestellte Räder sind darum jedoch besonders diebstahlgefährdet, weil auf einem Kfz-Parkplatz ein Anschließen des Rades an einem festen Gegenstand nicht möglich ist.
Zudem wissen andere Verkehrsteilnehmer/innen oft nicht, dass das Rad dort eigentlich ordnungsgemäß steht, und stellen das S-Ped einfach weg. „Das bedeutet für die Nutzer/innen eine anstrengende Parkplatzsuche, weil sie in Konkurrenz zum Auto und Motorrad stehen. S-Pedelecs sollten deshalb beim Parken genauso behandelt werden wie normale Räder“, sagt Andreas Hombach vom Parksystem-Anbieter WSM.
5) Mitnahme von S-Pedelecs im ÖPNV gestatten
In vielen Regionen ist es nicht gestattet, S-Pedelcs in die öffentlichen Verkehrsmittel mitzunehmen. Ein Manko, das nach Ansicht von Branchen-Expert/innen schnell geändert werden sollte, um die Attraktivität von S-Pedelecs vor allem für Pendler/innen zu erhöhen, die größere Entfernungen zu überwinden haben.
6) Schulung anderer Verkehrsteilnehmer/innen
Um die breitere Akzeptanz von S-Pedelecs zu fördern, müssen andere Verkehrsteilnehmer/innen besser über diese Fahrzeuge informiert werden – so eine weitere Forderung von Branchen-Vertreter/innen. „Viele Menschen wissen nicht, dass S-Pedelec-Fahrer/innen nicht auf dem Radweg fahren dürfen. Das sorgt immer wieder für Konflikte. Es wäre deshalb wünschenswert und sinnvoll, wenn mehr Aufklärung in Sachen S-Pedelecs betrieben würde“, findet Alexander Kraft von von HP Velotechnik. Dabei geht es um Schulungen in den Fahrschulen, aber auch um Kampagnen für jene, die bereits seit Jahren im Verkehr unterwegs sind. „Verkehr ist auch Wandel – und der ist aktuell stark ausgeprägt, weil neue Fahrzeuggruppen auf den Markt kommen“, so Kraft.
7) Helmpflicht übersichtlicher gestalten
Für das Fahren mit S-Pedelecs gilt grundsätzlich eine
Helmpflicht. Allerdings spricht der Gesetzgeber allgemein von einem
„geeigneten Schutzhelm“, ohne darauf einzugehen, wie dieser gestaltet
sein soll. „Einige unserer speziell für Pedelec-Fahrer/innen
entwickelten Helme erfüllen die niederländische Norm NTA 8776. Diese
orientiert sich an den Anforderungen für Fahrradhelme, basiert
allerdings auf höheren Sicherheits-Standards für höhere
Geschwindigkeiten und ermöglicht somit das Tragen auf S-Pedelecs“,
erklärt Torsten Mendel vom Helmhersteller Abus. Eine europaweite
Normierung für S-Pedelec-geeignete Helme wird deshalb gefordert, um eine
bessere Übersichtlichkeit zu schaffen.
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