22. Mai - Cesenatico - Rennbericht

Nove Colli: “Was für ein Tag...“

Von Oliver Knott

Foto zu dem Text "Nove Colli: “Was für ein Tag...“"
Am Start | Foto: O. Knott

08.06.2022  |  Erstmal ein Rückblick: 2019, Corona war noch nicht bei uns angekommen. Ich freute mich auf die Anmeldung zur 50. Ausgabe des Nove Colli und konnte etliche meiner Freunde überzeugen mitzufahren. Der Plan war, im Mai 2020 ein paar schöne Tage in Cesenatico zu verbringen und als Höhepunkt das „Neun Hügel“-Rennen zu bestreiten. Eine schöne Vorstellung, die dann leider nicht eintreten konnte: Erst die Verschiebung auf 2020 und dann noch einmal auf den September 2021. Aber wegen eines im März 2021 erlittenen schweren Rad-Unfalls war ich auch im September nicht dabei - ich konnte froh sein, diesen Crash überlebt zu haben...

Als im Dezember 2021 die Anmeldung für dieses Jahr öffnete,
saß ich wie die vergangenen Jahre in gespannter Erwartung vor meinem Rechner, zählte die Sekunden bis zum Meldestart. Ich hatte ein Ziel: Im Mai wieder so weit fit zu sein, um wenigstens die 130-km-Runde absolvieren zu können.

Die Pandemie hatte jedoch mehr verändert als gedacht: In den vergangenen Jahren waren die 12 000 Startplätze stets innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Nun war es kein Problem, sich anzumelden - im Gegenteil: Im Frühjahr wurde während einer Radsport-Übertragung auf Eurosport Werbung für das Jedermann-Rennen in der Emilia Romagna geschaltet.

Dann der 22. Mai in Cesenatico: Laut Veranstalter
waren gut 9000 Teilnehmeram Start, einer davon war ich. Wegen meiner früheren Ergebnisse durfte ich mich wieder im ersten Startblock einreihen. Dort warteten meine Vereins-Kameraden Mona, die im letzten September das erste Mal am Start war, und Andi, mit dem ich schon mehrere Ausgaben erlebt hatte. Die Aufregung vor einer solchen Herausforderung ist bei mir schon unter normalen Umständen groß - in diesem Jahr noch deutlich mehr, weil es mein erstes Rennen seit knapp drei Jahren und nach meiner sehr schweren Verletzung war.

Bürgermeister und Pfarrer hielten ihre Ansprachen, Mario Cipollini, der unter den Teilnehmer/innen war, wurde interviewt und drei Propeller-Flugzeuge färbten die Luft über dem Starterfeld in grün-weiß-rotem Rauch. Pünktlich um sechs Uhr fiel dann der Startschuss.

Und schwupps war Mona weg.
Noch vor dem Überqueren der Startlinie hatte ich sie aus den Augen verloren - bei ihr ist der Hebel in Sekundenschnelle umgelegt. Ich brauche schon mal ein paar hundert Meter, um mich einzugrooven und in das richtige Renn-Feeling zu kommen. Doch diesmal fühlte ich mich fast wie ein Fremdkörper in der Masse der Starter - mit der Folge, dass selbst Andi, ein eher bedachter Starter, davonzog.

Nach zwei Kilometer konnte ich zu Andi aufschließen und schließlich vorbeiziehen. Dann biegt die Strecke in einem Kreisverkehr nach rechts; dort war es dann so weit: Der erste Crash direkt hinter mir. Wie mir Andi nach dem Rennen berichtete, war wohl am rechten Fahrbahnrand nicht genügend Platz für die große Anzahl der Radler - und die Gehsteigkante wollte oder konnte nicht ausweichen...

Nach knapp zehn Kilometern konnte ich zu Mona
aufschließen, und so ging es gemeinsam zum ersten der neun Hügel, nur kurz ausgebremst von einem weiterem Sturz, dem Mona beinahe zu Opfer fiel. Mit Beginn des ersten Anstiegs war es dann erneut soweit: Mona war nicht mehr gesehen; am Berg ist sie eindeutig die bessere von uns beiden. Ich suchte weiter das richtige Gefühl, das einem offensichtlich abhandenkommt, wenn man eine komplette Saison nicht im Sattel sitzt. In meinem Tempo fühlte ich mich gut, ich schwamm im Feld mit.

Am zweiten Collo sehnte ich mich nach einem Startplatz im hinteren Teil des Felds. Ich war laut meinem Leistungsmesser ordentlich unterwegs - und wurde trotzdem laufend überholt. Ich kam nicht in die Position, wieder Plätze gut zu machen. Wie schön wäre es jetzt, so meine Gedanken, im hinteren Bereich des Felds unterwegs zu sein, um so wie früher auf der linken Spur vorbeizuziehen. So musste ich mich damit trösten, dass das Rennen noch lang ist, und ich mir wenigstens die Option auf die lange Runde offen halten wollte.

Ab Berg drei wartete ich auf einen Krampf
in der rechten Wade, sie fing allmählich an zu zwicken. So früh, zu früh - mit Krämpfen hatte ich beim Nove Colli schon oft zu tun, regelmäßig am Gorolo, dem neunten Berg, aber jetzt schon?! Nein, daran konnte ich mich nicht erinnern. Also auf die Abfahrt konzentrieren, erholen - und erst einmal genießen. Der nächste Hügel, der Barbotto mit seinen 18 Prozent wird gleich schwer genug.

Manchmal ist Streckenkenntnis nicht vorteilhaft, jedenfalls wenn man schon weiß, was gleich auf einen zukommen wird. Der Barbotto begrüßt die Sportler gleich am Anfang mit zweistelligen Steigungs-Prozenten. Bei mir kommen erste Zweifel auf, ob ich an der Streckenteilung auf die lange Runde abzweigen soll. Trotz Unsicherheit im Vorfeld hatte ich tief im Inneren eigentlich schon den Plan, alle neun Hügel zu absolvieren.

In der Auffahrt kam ich mit einem Italiener
ins Gespräch; auch ihm war es zu warm, auch er sah schon so erschöpft aus, wie ich es von mir vermutete. Beide machten wir uns dieselben Gedanken: Ob es eine gut Entscheidung wäre, auf die lange Runde abzubiegen? Aber es ist schon beruhigend, nicht alleine leiden zu müssen... An der Bergwertung des Barbotto feuerte der Streckensprecher die Teilnehmer/innen unermüdlich, und für mich war das erste ernsthafte Hindernis geschafft.

Also weiter über die verbleibenden Wellen bis zum Abzweig in Richtung Hügel fünf bis neun. Von einem Krampf in der rechten Wade war nichts mehr zu spüren, dafür brannte die Sonne am Monte Tiffi unerbittlich. Der ist Gott sei Dank einer der kleineren Hügel und nur der Vorbote auf den unrhythmischen Anstieg nach Perticara. Ich versucht mein Tempo zu fahren, so gut es eben ging und mit dem Feld so einigermaßen mitzugehen, meine Motivation daraus zu ziehen, dass anschließend eine lange Abfahrt mit großem Spaß-Faktor folgen würde.

Doch die Abfahrt endet in grobem Kopfsteinpflaster,
bergauf, innerorts - ein schönes Stadtbild, aber für jemanden wie mich nahezu tödlich, der nicht versteht, wie man Spaß an Kopfsteinpflaster haben kann. Mir fiel nichts Besseres ein, als auf dem großen Blatt mit allem was ich noch hatte, im Wiegetritt darüber hinwegzurauschen.

Die Rache folgte auf dem Fuß, mit Beginn des siebten Anstiegs. Wie aus dem Nichts ein Krampf – nicht rechte Wade, nein, der linke Oberschenkel. Und das vor einem der längsten Anstiege des Rennens. Also 40 Minuten im Schongang nach oben, deutlich unter den von mir so gerne anvisierten 200 Watt Leistung, trat ich vorsichtig in die Pedale, um ja nicht wieder dieses schmerzende Muskelverkrampfen hervorzurufen.

Spätestens jetzt hakte ich das Rennen ab.
Ankommen war mein neues Ziel – über eine mögliche Zeit, und ob diese dann für die Qualifikation in der zweiten oder ersten Startgruppe reichen würde, machte ich mir keine Gedanken mehr. Etliche Teilnehmer/innen zogen an mir vorüber, auch meinem Gesprächspartner von Berg vier konnte ich nicht mehr folgen.

Es gab aber auch Starter, denen es offensichtlich noch schlechter erging als mir. Ich sah die ersten im Straßengraben sitzenden Hitze-Opfer, die medizinisch versorgt werden mussten. Also einfach ruhig weitertreten, sich nicht aus der Ruhe bringen lassen - das war meine Devise. Am Gipfel eine Cola und eine Banane zur Stärkung und dann in rauschender Kurvenfahrt an San Leo vorbei. Mal wieder alleine, weil bis auf einen niemand meinem Tempo folgen konnte. Doch der hatte - mit einer hohen Startnummer ausgestattet - offensichtlich noch Großes vor, dass ich sein Hinterrad in der folgenden Flach-Passage nicht halten konnte.

Also neue Verbündete suchen und am achten,
also vorletzten Berg einigermaßen mit ein paar Leuten auf der Kuppe ankommen, und diese in der Abfahrt notfalls wieder einfangen. Das gelang so gut, dass ich nach der Abfahrt auf etliche warten musste, die mich am Berg noch abzuhängen drohten, um die nächsten flachen sieben Kilometer nicht alleine zu absolvieren. Cola und Banane zeigten offensichtlich Wirkung.

Am neunten Berg gelang es mir dann erstaunlich gut, mit meinen Mitstreitern zu klettern, ohne total in den roten Bereich gehen zu müssen. Kurz vor dem Gipfel war der Ruf „Gruppetto“ von den italienischen Teilnehmern zu hören - ein Übereinkommen, dass man die letzten gut zwanzig Kilometer gemeinsam in Angriff nehmen wollte. Allerdings kam es anders als erwartet: Eine "Zugmaschine" ohne Startnummer und Transponder war an der Wegstrecke positioniert, und so ging es recht entspannt Richtung Ziel. Damit blieben noch ein paar Körner für den Final-Sprint im Köcher.

Nachdem ich das Rennen in Sachen einer vernünftigen Zeit
am Berg sieben eigentlich schon abgehakt hatte, war mir dann dreißig Kilometer vor dem Ziel klar, dass es doch noch was werden könnte mit der Qualifikations-Zeit für die erste Startgruppe 2023. Es wurden 7:11,25 Stunden. Was für ein Tag, nach fast drei Jahren Pause, einer Corona-Pandemie und einem Crash, den man keinem Radfahrer wünscht.

Mona wartete im Ziel auf mich, sie brauchte dringend einen Fotografen, der die Siegerehrung im Bild festhielt. Sie war Gesamt-Dritte der Frauen geworden, und ihr Mann, ebenfalls auf der langen Strecke, hatte noch ein paar Kilometer vor sich...

Mein Fazit: Wer echtes italienisches Renn-Feeling
spüren will, für den ist der Rückgang der Teilnehmerzahlen eine große Chance: Tolles Ambiente, prima Verpflegung (von mir leider kaum genutzt) und eine herausragende Rad-Messe - Punkte, die für eine Anmeldung sprechen. Und nicht zuletzt: Seit der Giro vor zwei Jahren eine Etappe auf der Strecke des Jubiläums-Nove-Colli absolvierte, sind die Straßen in einem deutlich besseren Zustand...

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