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03.09.2022 | Die Mut-Tour ist ein Projekt des 2020 gegründeten Vereins mut-foerdern.de, eine Selbsthilfe-Organisation zur Aufklärungsarbeit über psychische Erkrankungen. Die Tandem-Tour, die sich besonders an von Depression Betroffene richtet, führt jedes Jahr über vier bis zehn Etappen auf unterschiedlichen Strecken durch Deutschland.
Im Zentrum der Tour steht für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gemeinschaft, die körperliche Bewegung und der Austausch. Damit soll für mehr Offenheit, Wissen und Mut im Umgang mit Depression geworben werden. Im Interview erzählen Kerstin, zum ersten Mal dabei, und Peter (fährt schon seit 2014 mit) Alexander Giebler vom pressedienst-fahrrad von ihren Erfahrungen und dem Sinn der Mut-Tour.
pressedienst-fahrrad: Mut-Tour - ein interessanter Name. Wofür bedarf es Mut bei der Tour? Was genau soll gefördert werden?
Kerstin: Für mich persönlich steht Mut dafür, dass man mutig ist, über die Depression zu sprechen, mit Freundinnen, Bekannten, der Familie und dann auch im nächsten Schritt mit Ärztinnen - einfach um sich selber zu helfen. Und zum anderen bin ich jetzt auch mutig, weil ich mitfahre, dass ich mich körperlich bewege und mutig bin für andere Betroffene. Ja, das ist für mich persönlich fördernd.
Welche Bedeutung hat der Smiley, den ihr dabei habt?
Peter: Damit wollen wir alle Betroffenen repräsentieren, die es sich nicht erlauben können, ihre Depression öffentlich zu machen. Berufliche Benachteiligung, Mobbing… der Smiley ist Symbol für die Anderen.
Fahren ausschließlich von Depression Betroffene bei der Tour mit?
Kerstin: In unserer Gruppe sind ausschließlich Betroffene, aber es fahren auch Angehörige mit. Ich behaupte jetzt mal, dass die meisten Betroffene sind oder zumindest depressiven Erfahrungen gemacht haben.
Peter: Ich hänge noch was dran: Es sind in Deutschland sehr viele Leute von Depressionen betroffen, und es ist eben nicht so, wie man gemeinhin denkt: Man hat die Depression das ganze Leben lang. Es gibt auch Leute, die haben einmalig eine Depression und dann war’s das. Oder es kommt irgendwann wieder. Aber es ist nicht so, dass man Depression hat und dann bis zu seinem Lebensende in der akuten Phase ist. Das sind schwere Krankheiten mit individuellen Verläufen, die aber gut behandelbar sind.
Ihr macht heute Station in Göttingen. Wie lange seid ihr schon unterwegs und was sind die nächsten Ziele? Wo geht es noch hin?
Peter: Also ich bin heute quasi mit dieser Etappe eingestiegen, aber dieses Team ist in Aurich gestartet. Von Nordfriesland ging es erstmal nach Ludwigslust, nördlich von Berlin, dann über Berlin nach Glauchau, südlich von Leipzig. Und dann mussten wir leider aus Krankheitsgründen abbrechen, jetzt geht es in Göttingen weiter. Das Team fährt insgesamt ungefähr 1500 Kilometer. Es gibt auch ein Team, wo Menschen wandern und Pferde tragen das Gepäck.“
Worauf soll die Tour besonders aufmerksam machen? Was soll sie Betroffenen und auch Angehörigen von Betroffenen verdeutlichen?
Kerstin: Zum einen geht es darum, die Sichtbarkeit zu erhöht. Man sieht es auch in den Teams, dass alle möglichen Menschen betroffen sein könne. Also, das ein bisschen aufzubrechen, was sonst verborgen ist.
Peter: Bei den selbst Betroffenen geht es auch darum zu lernen, darüber zu reden. Weil das der Anfang ist, damit gut umzugehen. Bei denen, die nicht betroffen sind, soll Verständnis entwickelt werden. Und den Angehörigen das Leben zu erleichtern; viele denken: ‚Oh, was kann ich tun?‘ - und tun dann zu viel oder das Falsche. Wie bei einem Blinden: Der will auch nicht über die Straße gezogen werden. Wir wollen helfen, da was zu entwickeln, und natürlich auch sich zu informieren. Es gibt Selbsthilfe-Gruppen, wo man sich mit Betroffenen austauschen kann. Wir sprechen ganz wenig über die Erkrankung in unserer Gruppe. Wir haben es halt, können auch mal drüber sprechen. Aber es ist nicht so, dass wir uns permanent darüber unterhalten.
Wie läuft so ein typischer Tag auf Mut-Tour ab?
Peter: Mit dem Mut ist auch so: Wir übernachten zum Beispiel wild. Normalerweise haben wir immer nur Start und Ziel an einem festen Platz. Unterwegs fahren wir entlang einer vorgegebenen Route, die vor allem durch die Natur führt - also wenig Radwege, mehr Wald- und Feldwege. Und wenn wir dann fertig sind, suchen wir uns ein Quartier. Wir klingeln irgendwo, gehen auf einen Rasen und kochen jeden Abend schön. Also, das ist ja schon auch mutig. Und dann fragen manchmal die Leute: 'Wo ist denn der Motor? Was, das ist ein Bio-Bike? Das ist aber mutig!‘
Kerstin: Also, ich mache mich nach dem Aufstehen erst mal ein bisschen fertig. Ich schlafe nicht viel, bin eher ein Frühaufsteher. Dann packe ich meine Sachen zusammen und wir machen ein gemeinsames Frühstück.
Und was habt ihr alles dabei? Oder geht Ihr auch mal in ein Cafe?
Kerstin: Die Grundausstattung haben wir eigentlich immer dabei. Ansonsten gehen wir abends einkaufen und können uns morgens gut vorbereiten. Wenn es zwischendurch passt, gibt es eine kleine Kaffee-Pause. Heute ist zum Beispiel ein voller Tag, da dann eher nicht.
Wie kam es eigentlich zu der Idee mit dem Tandem?
Peter: Unser Motto ist: Einer trage des anderen Last. Man hat Verantwortung. Für manche ist das ganz schwer, das Tandem ist ein gutes Symbol und eine schöne Sache. Und man fällt natürlich auf! Wenn wir hier drei Autos stehen hätten, würden die nicht so auffallen.
Habt ihr das Gefühl, dass sich die letzten zwei Jahre mit der Corona-Krise bemerkbar gemacht haben? Also, in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung der Krankheit?
Kerstin: Ich denke, sowohl als auch. Ich kann mir vorstellen, dass durch die Pandemie die Zahlen Depressiver auf jeden Fall gestiegen sind, denn die Isolation führt auch zu mehr Einsamkeit. Und ich denke, es ist möglich, dass je mehr Menschen darüber sprechen. Gerade in meinem Umfeld sind viele junge Leute, da trauen sich mehr Menschen, sich zu öffnen.
Peter: Ja, darüber zu reden ist heute nicht mehr so schwer, weil es so viele haben und weil auch Prominente sich äußern.
Ist das eine Botschaft von euch? Wenn du betroffen bist, suche dir eine Gruppe, suche dir Kontakt zu Leuten, die selbst betroffen sind?
Kerstin: Hilfe zur Selbsthilfe, ja.
Peter: Das ist auf jeden Fall so. Aber man muss auch sehen, dass es immer noch viel zu wenige Therapeutinnen und Klinikplätze gibt. Das ist ein Missstand, auf den wir auch aufmerksam machen wollen.
Alexander Giebler ist Redakteur des Pressedienst-Fahrrad.
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