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28.10.2023 | Off-Season ist wohl das derzeit bei Radrennfahrer/innen am meisten genutzte Wort. Doch viele verbinden es fälschlicherweise mit Ruhe und Müßiggang, nicht nur mit dem Ende der Wettkampf-Saison. Aber eigentlich ist jetzt die beste Zeit, um wieder ins Training einzusteigen. Im Winter wird die Basis gelegt, das wusste schon der fünffache Tour-Sieger Bernard Hinault: "Im Winter gewinnt man, nicht im Sommer."
Jetzt werden einige widersprechen und sagen, die Profis machen ja auch Pause. Stimmt, aber Radfahren ist ihr Job und sie machen den Break auch, um den Kopf frei zu bekommen – so wie andere Menschen ihren Jahres-Urlaub nehmen. Ein Profi hat am Ende der Saison 30 000 Kilometer abgespult, verteilt auf fast alle Kontinente, und war im schlimmsten Fall gerade mal 40 Tage zuhause. Bei Hobby-Fahrer/innen ist das anders: Man fährt Rad zum Zeitvertreib...
Pause vom Trainingsplan
"Ein klassischer Hobbysportler sollte sich hier nicht mit den Weltklasse-Athleten vergleichen. Zudem: Deren Pause ist mittlerweile auch nur noch drei bis vier Wochen“, erklärt Björn Geesmann, Sportwissenschaftler vom Trainings-Institut HYCYS:
"Entscheidend ist, eine Pause vom Trainingsplan zu machen und ein wenig Abstand zu bekommen vom durchstrukturierten Training.“
Wer also tatsächlich bis vor kurzem streng nach Vorgaben gefahren ist, kann nun zwei bis drei Wochen auf dem Rad machen, was er will. Für alle anderen, die in den vergangenen Wochen die Saison locker haben ausklingen lassen, ist es eigentlich höchste Zeit, wieder ins Training einzusteigen - wenn sie 2024 was reißen oder einfach nur mit besserer Form in die neue Saison starten wollen.
In der Theorie hat das Beine hochlegen durchaus Sinn. Aber oft genug gibt es schon während des Jahres Pausen im Trainings-Zyklus: Urlaub mit der Familie, Schlechtwetter-Perioden, zu viel Arbeit, Geschäftsreisen... Der gemeine Hobbysportler kann also weitertrainieren - und tut dabei sogar noch Gutes. Björn Geesmann: "Er baut ganz einfach auf dem vorhandenen Leistungsvermögen auf und wird, wenn er es beibehält, von Jahr zu Jahr besser."
Keinen Formverlust riskieren
Wer dagegen rastet, der rostet – in Sachen Leistungsfähigkeit. Schon nach zwei, drei Wochen des sportlichen Nichtstuns sinkt die Form drastisch. Und auch der Stoffwechsel spielt verrückt: Nicht selten laufen die Sättigungs-Hormone Amok, die Gewichtszunahme ist programmiert.
Aber keine Angst, es muss aber nicht mit demselben Umfang wie im Sommer trainiert werden – außer auch dieser Plan war schon sehr "zeitoptimiert". Wer es schafft, sich dreimal pro Woche für insgesamt sechs bis acht Stunden in den Sattel zu schwingen und dabei bestimmte Schwerpunkte zu setzen, der kann mit einem Formgewinn rechnen.
Mit Struktur trainieren
Allerdings sollte das Training auch in Herbst und Winter eine gewisse Struktur haben - nach "gut Wetter" zu fahren wie im Spätsommer funktioniert gar nicht. Deshalb sollte umgestiegen werden: auf die Rolle und/ oder das Geländerad. Egal ob Cross-, Mountain- oder Gravel-Bike – entscheidend ist, dass es gut auf rauem Untergrund fährt. Fahrten abseits des Asphalts, durch den Wald sind besser vor Wind und Wasser geschützt - und es rollt nicht wirklich. Man muss praktisch permanent pedalieren, Roll-Phasen wie auf der Straße, und speziell beim Gruppe-Fahren reduzieren sich drastisch.
Das gilt übrigens auch für das Rollentraining. "Das steigert ungemein die Effizienz des Trainings, weil immer Zug auf der Kette ist", erklärt Björn Geesmann - was physiologisch übersetzt bedeutet: Es wird eine größere Menge an Sauerstoff und Energie umgesetzt, was wiederum der Verbesserung der aeroben Ausdauer zugute kommt.
Die besten Trainings-Einheiten
Ein Fahrtspiel im Gelände mit einer Länge von 90 bis 120 Minuten, eine kurze, knackige Rollen- oder Cross-Einheit mit Schwellen-Intervallen wie vier mal vier Minuten und eine längere, zwei- bis dreistündige Gelände-Tour am Wochenende – das reicht schon, um die Leistungsfähigkeit zu verbessern. "Wer dann noch Zeit für eine vierte Einheit hat, kann eine sehr intensive 30-30-VO2max-Indoor-Session integrieren“, empfiehlt Geesmann.
Vom stundenlangen Grundlage-Fahren auf der Straße rät Geesmann im Winter ab, auch wenn viele Winter-Training mit langen und lockeren Einheiten verbinden. "Der Körper kühlt hier stark aus, das stresst den Organismus zusätzlich. Zudem braucht ein normaler Hobbysportler lange Fahrten zu dieser Jahreszeit nicht wirklich."
Profis sollte man sich hier nicht zwingend zum Vorbild nehmen, denn sie müssen schon im Januar wieder in sehr guter Form sein. Die langen Einheiten können Freizeit-Fahrer dann im Frühjahr bei gutem Wetter oder im Trainingslager nachholen – dann aber gezielt und als Block.
Kontinuität ist Trumpf
Neben den Inhalten ist die Kontinuität sehr wichtig, sagt Geesmann: "Also nicht eine Woche trainieren, dann wieder zwei Wochen nicht." Das fällt zwar bei den nasskalten Bedingungen in unseren Breitengraden von November bis April schwer, und es ist verständlich, mal die Lust zu verlieren, um bei diesem Wetter freiwillig vor die Tür zu gehen – vor allem weil das Saison-Highlight in weiter Ferne liegt.
Da liegt der Gedanke nahe, dass es doch reicht, sich erst ab April so richtig auf die im Spätsommer stattfindende Challenge vorzubereiten - zumal oft kolportiert wird, dass drei Monate Vorbereitung reichen. "Das ist alles eine Frage der Zielsetzung“, sagt Geesmann: "Natürlich reichen drei Monate, aber wer kontinuierlich an sich arbeitet, wird mit einer vielen größeren Leistungsfähigkeit am Start stehen. Die Frage ist immer: Was will ich - und bin ich bereit, dafür größere Zugeständnisse zu machen."
Clever Ziele setzen
Zurück zur Motivation: Wie lässt sich diese über eine lange Zeit aufrechterhalten? Um durchzuhalten und auch bei schlechtem Wetter vor die Tür zu gehen, gibt es zwei entscheidende Faktoren: Mit Kumpels fahren (vor allem die längere Wochenend-Tour), und eine clevere (Zwischen-) Zielsetzung.
Die Kumpels – da sind sich Sport-Psychologen einig – vergrault man ungern. Allerdings sollte die Gruppe nicht zu groß sein, denn sonst bleibt das unentschuldigte Fehlen unentdeckt. Der zweite Punkt muss taktisch angegangen werden: Ein großes Ziel, noch dazu ein dreiviertel Jahr entfernt, reicht für viele Hobbysportler nicht aus, um hier und heute aufs Rad zu steigen. Hier gibt es momentan zu viele Dinge, die in Konkurrenz dazu stehen.
Björn Geesmann: "Wer seine Saison-Planung macht, sollte immer wieder Rennen einbauen, auf deren Teilnahme man sich freut und auch bereit ist, dafür zu trainieren." Das können im Frühjahr die Jedermann-Rennen der "Ronde van Vlaanderen" sein, die der "Strade Bianche", oder auch eine Country-Touren-Fahrt (CTF) im Winter, wo man fit am Start stehen will. "Auch wenn diese Tourenfahrten keine Wettkämpfe im klassischen Sinn sind, so will man doch dafür gewappnet sein - und ist dann auch bereit zu trainieren“, erklärt Geesmann.
Auch die Physiologie trainieren
Wer das Winter-Training noch etwas strategischer angehen will, setzt sich auch physiologische Zwischenziele, zum Beispiel die Verbesserung der individuellen anaeroben Schwelle oder das Verringern des Körpergewichts - lohnenswerte Ziele, mit denen aber nicht erst kurz vor der Wettkampf-Saison begonnen werden sollte. Hier lohnt es, professionelle Unterstützung durch Trainer, Sport- und Ernährungswissenschaftler zu haben: Die können gut einschätzen, welches Ziel realistisch ist und wie der Weg dorthin aussehen muss.
In diesem Sinn: Auf eine erfolgreiche Saison 2024!
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