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11.03.2023 | (rsn) - Mit Tudor und Breitling finanzieren zwei prominente Uhrenmarken aus der Schweiz zwei neue ProTeams aus diesem Land. Nach dem größten Dopingskandal, der für immer untrennbar mit dem Namen einer anderen Uhrenmarke – Festina – verbunden ist, signalisiert der Sponsoreneinstieg von Tudor und Breitling einen Wandel. Radsportteams sind jetzt auch wieder für Luxusmarken interessant. Und die Schweiz rüstet sich, wieder zu einem Kernland des Straßenradsports zu werden.
Das eigentliche Schweizer Team ist natürlich Tudor. Acht der 20 Fahrer kommen aus der Schweiz, drei von ihnen direkt aus der Swiss Cycling Academy, dem Nachwuchsrennstall des Schweizer Verbandes, der auch die Basis dieses Teams ist. Und Chef ist der wohl größte Schweizer Fahrer der letzten zwei Jahrzehnte, Fabian Cancellara. "Er gibt nicht nur seinen Namen. Er ist wirklich mit Herzblut dabei“, versicherte Marcel Sieberg gegenüber radsport-news.com. Der einstige Sprintvorbereiter, vor allem als ‘Aus dem Wind-Nehmer‘ für André Greipel bekannt, ist seit dieser Saison Sportlicher Leiter bei Tudor. ___STEADY_PAYWALL___
In das tagesaktuelle Geschäft mische sich der Boss aus Bern nicht ein, stellte Sieberg klar, aber präsent sei er dennoch. "Die Taktik machen schon noch wir Sportlichen Leiter. Aber beim Zeitfahren hat er auch seinen Senf dazu gegeben. Das ist natürlich wichtig. Wenn man schon mal so einen mehrfachen Weltmeister im Zeitfahren dabeihat, muss man seine Erfahrung auch nutzen. Man hört dann auch zu und bekommt Tipps“, meinte Sieberg am Rande des Tirreno-Adriatico. Und bescheiden ergänzte er: "Ich war ja selbst nie gut im Zeitfahren.“
Hauptsponsor beim Schweizer Zweitligisten – Armbanduhrhersteller Tudor | Foto: Cor Vos
Präsent ist Cancellara tatsächlich. Bei Strade Bianche, dem Rennen, welches er drei Mal gewinnen konnte, war er selbst vor Ort. Und auch am Anfang des Tirreno-Adriatico war er am und im Teambus "Die Strade ist ja ein Rennen, was ihm quasi schon gehört“, meinte angesichts der Palmarès seines Landsmanns der neue Tudor-Profi Roland Thalmann voller Respekt. Cancellaras Wirken hält er vor allem wegen des Motivationsaspekts und der ungemein großen Erfahrung für wertvoll. "Bei der Teambesprechung lässt er immer mal was einfließen. Es sind weniger taktische Sachen, denn das ist die Angelegenheit der Sportlichen Leiter. Bei ihm sind es mehr die Motivationspunkte und Tipps, wie man im Feld auch mit dem Stress umgehen muss oder sich in einer gewissen Situation verhalten sollte. Da bringt er sehr viel ein.“
Spricht man mit Cancellara selbst, überrascht, wieviel Wert er auf menschliche und zwischenmenschliche Aspekte legt. "Die Fahrer sind keine Maschinen. Wir wollen Leistung, sicher, aber wir müssen auch für ausreichend Erholung sorgen“, sagte er. Für den Aufbau seines Rennstalls griiff er zur Hausbauer-Metapher. "Wir sind erst mal dankbar, dass wir bei den Rennen hier dabei sein können. Wir sind auf dem Weg, um dieses Haus zu bauen. Und wenn man ein Haus baut, dann fängt man unten an. Dazu gehören viele Lernprozesse. Es geht Stein um Stein. Und dann kommen die Fenster und Türen und alles, was man braucht“, erzählte er.
Aus den kleinen Dingen kann viel rausgeholt werden
Wo ist der Schweizer beim Hausbau angekommen? Noch im Keller oder schon in der Beletage? Irgendwo dazwischen. Cancellara: "Der Keller war ja das das Grundelement, damit das Projekt weitergeht. Jetzt sind wir schon weiter. Die Tour de Romandie sollte der nächste Baustein sein, nachdem man auch intern sagen kann: Wir haben vielleicht noch nicht alle Fahrzeuge, wir haben noch nicht alles, aber das ist auch egal. Denn was brauchen wir? Ein Fahrrad, eine Nummer am Rücken, Kleidung.“ Das klingt schwer nach Radsport an der Basis. Hat der Sekundentüftler Cancellara seinen Perfektionismus verloren? Natürlich nicht: "Wir haben ein World Tour-Mindset. Das ist ganz wichtig. Wir schauen auch auf die kleinen Dinge, denn da kann man ganz viel herausholen.“ Perspektivisch ist beim Team Tudor die WorldTour das Ziel. Das lässt jedenfalls Radprofi Thalmann durchblicken.
Fabian Cancellara, Leit- und Identifikationsfigur im Team | Foto: Cor Vos
Das ist beim zweiten Schweizer Rennstall nicht anders. "Ich denke, jeder, der ein Team mit solider Finanzierung und guten Partnern hat, träumt davon, zurück in die WorldTour zu kommen“, sagte Q36.5-Rennstallchef Doug Ryder im Gespräch mit radsport-news.com. Das Wörtchen "zurück“ stimmt vor allem in seinem Fall, war er doch der Gründer des Qhubeka-Rennstalls, später Dimension Data.
Die Qhubeka-Stiftung, die Fahrräder für Kinder in Afrika vergibt, damit diese leichter zur Schule kommen und überhaupt unabhängiger werden können, spielt weiter eine Rolle beim neuen Rennstall. "Qhubeka ist immer noch in unseren Herzen. Wir haben aber unsere Kampagne geändert, weg von den Rädern zum Motto Racing The Future. Das bedeutet, wir wollen als Team nachhaltiger agieren, grüner werden und die richtigen Dinge für unseren Planeten tun“, erläuterte Ryder. Zu den klimafreundlichen Aktionen gehören Solarpaneele auf dem Teambus und die Selbstverpflichtung, Reisestrecken unter 90 Minuten Flugzeit mit Bus oder Bahn zurückzulegen. Das kam, so beteuerte Ryder, gut bei den Fahrern an. "Vor allem die jungen Fahrer waren begeistert. Sie haben ein Bewusstsein dafür“, meinte er.
Vorboten einer neuen Ära
Von dem afrikanischen Engagement ist auch noch einiges übriggeblieben. Im Development-Team, das weiterhin im italienischen Lucca beheimatet ist, werden Fahrer aus Äthiopien, Eritrea, Algerien und Südafrika aufgebaut, damit sie in die Fußstapfen von Daniel Teklehaimanot, dem ersten afrikanischen Straßenprofi im Bergtrikot der Tour de France, treten können.
Nach wie vor die erste Anlaufstelle für Afrikas Radrohdiamanten | Foto: Cor Vos
Dass Breitling bei ihm eingestiegen ist – und Tudor aufs Zugpferd Cancellara setzt – hält Ryder gar für die Vorboten einer neuen Ära. "Es ist toll zu sehen, dass solche Qualitätsmarken zurück in den Radsport kommen. Für uns ist es ein Erfolg, dass sie bei aller Konkurrenz aus Fußball und Formel 1 vom Radsport angezogen wurden und mit diesem Sport, mit dieser Outdoor-Community assoziiert sein wollen“, sagte Ryder. "Ich hoffe, es kommen noch viele weitere“, meint er noch.
Nun machen zwei Sponsoren aus dem High End-Sektor des Uhrengewerbes noch keine Radsportrenaissance. Und die beiden ProTeams haben sportlich bisher auch noch nicht die Szene aufgemischt. Selbst bei der letzten Wild-Card-Vergabe für die Grand Tours gingen sie leer aus. Ryder zumindest hatte leise Hoffnungen auf einen Vuelta-Start, wie er radsport-news.com gestand. Aber zukünftige Erfolge werden unten gebaut, auf solidem Niveau. Die großen Teams, die in Petrodollars gebettet sind oder von Chemieriesen wie Ineos prächtig ausgestattet werden, müssen die Newcomer noch nicht fürchten. Aber eine breitere Sponsorenbasis, die jetzt auch Luxusmarken als Teamsponsoren einschließt, könnte tatsächlich eine neue Entwicklung einleiten. Es lohnt sich, diese beiden so unterschiedlichen Rennställe aus der Schweiz im Auge zu behalten.
Das neu formierte Q36.5 Pro Cycling bei Tirreno-Adriatico | Foto: Cor Vos
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