Niederländer gewinnt Mailand-Sanremo als Solist

Van der Poel nutzt am Poggio den richtigen Augenblick zum Sieg

Von Sebastian Lindner

Foto zu dem Text "Van der Poel nutzt am Poggio den richtigen Augenblick zum Sieg"
Mathieu van der Poel (Alpecin - Deceuninck) gewinnt in Sanremo | Foto: Cor Vos

18.03.2023  |  (rsn) – Etwas ungläubig schlug sich Mathieu van der Poel auf den Helm, als er die Ziellinie von Mailand-Sanremo überquerte, nachdem er die letzten Meter zuvor schon jubelnd genießen konnte. Der 28-Jährige entschied die 114. Austragung des Traditionsrennens als Solist für sich. Er ist erst der vierte Radprofi der Niederlande, der das erste Monument des Jahres gewinnen konnte - und der zweite Radprofi seiner Familie. Vor 62 Jahren hatte sein Großvater Raymond Poulidor in San Remo ebenfalls als Solist triumphiert.

Mit einer beherzten Attacke kurz vor der Kuppe des Poggios schüttelte der Cross-Weltmeister van der Poel seine Kontrahenten Filippo Ganna (Ineos Grenadiers), Wout Van Aert (Jumbo – Visma) und Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) ab, die in dieser Reihenfolge mit 15 Sekunden Rückstand die Plätze zwei bis vier unter sich ausmachten.

Als Fünfter führte der Teamkollege des Siegers, der Däne Sören Kragh Andersen, den Rest der Top Ten mit 26 Sekunden Rückstand ins Ziel. Weitere sechs Sekunden dahinter kamen der Österreicher Marco Haller (Bora - hansgrohe auf Rang 17 unf mit Nikias Arndt (18.) und Nils Politt (21.) die besten Deutschen an.

Zweitschnellstes Mailand-Sanremo aller Zeiten

“Das ist eines der Rennen, das ich unbedingt gewinnen wollte“, sagte van der Poel im Ziel. “Ich hatte aber nicht erwartet, dass es heute passieren würde“, so der Sieger nach knapp sechseinhalb Stunden im Sattel und der mit 45,77 km/h zweitschnellsten Austragung aller Zeiten.

“Ich sagte dem Team, dass sich meine Beine an der Cipressa noch richtig frisch angefühlt haben. Durch den Gegenwind dort sind wir auch nicht so hart raufgefahren wie in den letzten Jahren“, schilderte er die entscheidenden Momente im Rennverlauf. “Ich wollte am Ende des Poggio eine Attacke starten, habe dann eine Lücke gefunden.“ In der Abfahrt ließ er sich nicht mehr einholen.

Während sich Sieger van der Poel ausnahmslos glücklich zeigte, wandelte Ganna zwischen den Gefühlen. “Ich bin enttäuscht mit Rang zwei, aber glücklich über den Tag“, sagte der Italiener, der sich im Sprint gegen die vermeintlich höher eingeschätzten Van Aert und Pogacar behauptete: “Ich habe auf der Zielgeraden die besten Werte in meiner Karriere abgeliefert. Ich habe schon ein paar zweite Plätze geholt, aber der heute ist sehr speziell für mich.“

Der Drittplatzierte Van Aert konnte hingegen gut mit seinem Ergebnis leben. “Ich bedauere nicht, wie das Rennen gelaufen ist. Mathieu hat jedem gezeigt, wie stark er ist. Er hat im richtigen Zeitpunkt angegriffen.“

So lief Mailand-Sanremo:

Bei sonnigen Bedingungen und wenig Wind machten sich am Morgen 175 Fahrer auf den Weg aus dem Mailänder Vorort Abbiategrasso – erstmals wurde nicht direkt in der Mode-Metropole gestartet – zur legendären Via Roma in San Remo, wo das Rennen nach 294 Kilometern endete.

Neun Ausreißer, Alexandr Riabushenko (Astana Qazhaqstan), Mirco Maestri, Samuele Rivi (beide EOLO Kometa), Alessandro Tonelli, Samuele Zoccarato (beide Green Project - Bardiani CSF - Faizane), Negasi Haylu Abreha (Q36.5 Pro Cycling), Alexandre Balmer, Jan Maas (beide Jayco AlUla) und Alois Charrin (Tudor Pro Cycling) waren mutig genug, den größten Teil des Rennens an der Spitze zu bestreiten. Kurz nach dem Auftakt gestartet, waren aber nie mehr als gut drei Minuten Vorsprung drin. Kurz vor der Cipressa wurden die letzten Ausreißer gestellt.

Bis zu den drei Bergen Capi Mele, Cerve und Berta lag die Durchschnittsgeschwindigkeit bei mehr als 45 km/h und damit auf Rekordkurs. Am ersten der drei Anstiege zeigte die Spitzengruppe erstmals Zerfallserscheinungen. Die gab es bis dato nur am Passo del Turchino, da allerdings im Hauptfeld und verschuldet durch einen Sturz. Julian Alaphilippe (Soudal Quick-Step) zählte zu den Fahrern, die zu Fall kamen. Er kämpfte sich im Laufe der Kilometer aber zurück ins Feld.

In der Anfahrt zur Cipressa kam es zu weiteren Stürzen. So war für Sam Bennett und Cesare Benedetti (beide Bora – hansgrohe) das Rennen vorzeitig gelaufen, auch Michal Kwiatkowski, der Ineos-Grenadiers-Kapitän, kam zu Fall und spielte danach keine Rolle mehr. Der Ausfall von Boras Sprintkapitän bedeutete freie Fahrt für Nils Politt, der auf dem Flachstück nach der Cipressa eine Attacke lancierte, nachdem UAE Team Emirates im Anstieg keine Vorentscheidung herbeiführen konnte. Doch Bahrain Victorious setzte rechtzeitig nach, der Deutsche Meister konnte seine maximal 200 Meter große Lücke aber nicht entscheidend ausbauen. Deshalb ließ er sich wieder zurückfallen.

Bahrain Victorious war es auch, dass für Kapitän Matej Mohoric mit Tempo in den Poggio fuhr. Doch der Vorjahressieger hatte Mühe, sodass die Arbeit seines Teams verpuffte und stattdessen zur Vorbereitung für den Angriff seines Landsmannes wurde. Tim Wellens erledigte für seinen Kapitän Pogacar die Tempoarbeit, ehe der Slowene acht Kilometer vor dem Ziel selbst aus dem Sattel ging. Zunächst konnten sieben Fahrer folgen, neben van der Poel, Van Aert und Ganna waren das Kragh Andersen, Mads Pedersen (Trek - Segafredo), Mohoric und Neilson Powless (EF Education - EasyPost). Anderthalb Kilometer vor der Kuppe des Poggios halbierte sich die Spitze erneut.

Kurz vor dem Gipfel des Anstiegs ging van der Poel aus dem Sattel und riss eine kleine Lücke zu seinen ärgsten Verfolgern Pogacar, Ganna und Van Aert, die auf der Abfahrt größer wurde und bis ins Ziel Bestand haben sollte. Van Aert war es, der den Berg hinunter die Tempoarbeit für die Verfolger machte. Ganna hingegen, eigentlich schon am Limit, hielt sich lange im Windschatten und zog auf den letzten 200 Metern noch am Belgier und dem erneut geschlagenen Pogacar vorbei.

Results powered by FirstCycling.com

Mehr Informationen zu diesem Thema

16.03.2024Sobrero durfte kurz vom Sieg auf der Via Roma träumen

(rsn) - Wie ein Lausbub freute sich Matteo Sobrero am Ende dieser Primavera. Gut, das Ergebnis mit Platz zwölf beim 115. Mailand-Sanremo war keine Eilmeldung wert. Aber der italienische Neuzugang bei

16.03.2024Van der Poel lotst Philipsen auf den Primavera-Thron

(rsn) – Jasper Philipsen (Alpecin – Deceuninck) hat die 115. Ausgabe von Mailand-San Remo (1.UWT) gewonnen und seinen ersten Sieg in einem Monument gefeiert. Dabei profitierte der Belgier von der

14.11.2023Mohoric: Gravel-WM-Titel mehr wert als Sanremo-Sieg

(rsn) – Matej Mohoric (Bahrain Victorious) hat mit einer Aussage gegenüber dem britischen Magazin Rouleur den Straßenradsport-Romantikern mitten ins Herz gestochen. Der Slowene erklärte, dass er

21.03.2023Van der Poel klopfte vor seiner Attacke freundlich an

(rsn) – Mathieu van der Poels Angriff kurz vor dem Ortsschild von Poggio am gleichnamigen Anstieg war unwiderstehlich und bärenstark. Der Niederländer von Alpecin – Deceuninck ließ kurz vor der

19.03.2023An der Cipressa gingen bei den DSM-Rookies die Lichter aus

(rsn) – John Degenkolb (DSM) führte beim 114. Mailand-Sanremo (1.UWT) eine Rookie-Bande um Marius Mayrhofer ins Rennen – und erwies sich schließlich als der stärkste Fahrer eines Teams, das in

19.03.2023Van der Poels Traum-Szenario: Solo-Sieg wie einst der Opa

(rsn) – Nach einer erfolgreichen Cross-Saison mit sieben Siegen und dem fünften Elite-Weltmeistertitel verlief der Auftakt der Straßensaison nach einem Monat Rennpause für Mathieu van der Poel (A

19.03.2023Sagans Abschiedstournee wird wohl keine Erfolgstour

(rsn) – Mailand-Sanremo (1.UWT) ist kein Sprinterklassiker mehr. Das Fazit, das sich nach dem ersten Monument der Saison bereits in den vergangenen Jahren ziehen ließ, hat sich auch bei der 114. Au

18.03.2023Starker Politt frustriert: “Zur falschen Zeit am falschen Ort“

(rsn) – Marco Haller und Nils Politt sind ein starkes Mailand-Sanremo (1.UWT) gefahren, am Ende aber stand für den deutschen WorldTour-Rennstall Bora – hansgrohe beim ersten Monument der Saison t

18.03.2023Ganna die neue Hoffnung der Tifosi auf Primavera-Sieg?

(rsn) – Erstmals seit fünf Jahren konnte sich wieder ein Fahrer aus Italien auf dem Siegerpodium von Mailand-Sanremo präsentieren. 2018 siegte Vinzenzo Nibali, nun fand der Hai von Messina mit de

18.03.2023Van Aert: “Ich bedaure nicht, wie das Rennen gelaufen ist“

(rsn) - Die 114. Ausgabe von Mailand-Sanremo hat die Erwartungen erfüllt. Nach einem spannenden Finale entschied Mathieu von der Poel (Alpecin – Deceuninck) das erste Monument des Jahres in beeindr

17.03.2023Mohoric: “Ich habe noch ein paar Asse im Ärmel“

(rsn) - Mit Mailand-Sanremo steht am Samstag das erste Monument der Straßensaison auf dem Programm. radsport-news.com hat vor dem Start die Stimmen der Protagonisten zusammen getragen. Hier können

17.03.2023Degenkolb führt Rookie-Bande um Mayrhofer nach San Remo

(rsn) – Acht Jahre ist es her, dass John Degenkolb auf der Via Roma beide Arme in die Höhe riss und vor Titelverteidiger Alexander Kristoff mit Mailand-Sanremo (1.UWT) sein erstes Monument gewann.

Weitere Jedermann-Nachrichten

31.01.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum RSN-Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über d

30.01.2025Van der Poel peilt in Liévin de Vlaemincks Rekord an

(rsn) – Am Freitag beginnt in Liévin die Cyclocross-Weltmeisterschaft (31. Januar – 2. Februar). In sieben Rennen werden Regenbogentrikots ausgefahren und German Cycling könnte erstmals seit der

30.01.2025Warm-Up für den nächsten Dreijahres-Zyklus

(rsn) – Douglas Ryder fiel in der Vergangenheit nicht unbedingt durch Zurückhaltung und Bescheidenheit auf. Als er 2023 das Team Q36.5 Pro Cycling als Zweitdivisionär ins Leben rief, nachdem sein

30.01.2025Eekhoff stürzt bei AlUla-Tour gegen Laternenpfahl

(rsn) – Nach einem schweren Unfall im Finale der 3. Etappe der AlUla-Tour musste Nils Eekhoff (Picnic – PostNL) ins Krankenhaus gebracht werden, wo ein Kieferbruch und ein abgebrochener Zahn diagn

30.01.2025Van den Berg aus Blikras Windschatten zum ersten Saisonsieg

(rsn) – Marijn van den Berg (EF Education – EasyPost) ist perfekt in seine vierte Profisaison eingestiegen. Der 25-jährige Niederländer entschied am zweiten Tag der Mallorca Challenge die Trofeo

30.01.2025Merliers Beine drehen sich auch am Tayma Fort am schnellsten

(rsn) – Mit einer souveränen Vorstellung hat Auftaktsieger Tim Merlier (Soudal – Quick-Step) auch die 3. Etappe der 5. AlUla Tour (2.1) für sich entschieden. Der 32-jährige Belgier setzte sich

30.01.2025Die Strecke des Critérium du Dauphiné 2025

(rsn) – Das 77. Critérium du Dauphiné (2.UWT) führt vom 8. bis 15. Juni 2025 von Domérat im Departement Allier über acht Etappen zur finalen Bergankunft am Plateau du Mont-Cenis in den Savoier

30.01.2025Cadel Evans Road Race im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) – Seit mittlerweile acht Jahren gehört das 2015 erstmals ausgetragene Cadel Evans Great Ocean Road Race der WorldTour an. Bei den bisherigen sieben Austragungen gab es auch schon zwei deutsch

30.01.2025Auch mit kleinerem Kader vor einer weiteren Wundersaison?

(rsn) - Das belgische Team Lotto, seit dieser Saison ohne den bisherigen Co-Sponsor Dstny, ist so etwas wie der Effektivitätsweltmeister im Straßenradsport. Mit einem Etat unterhalb von 20 Millionen

30.01.2025Andresen fügt Welsford erste Sprint-Niederlage 2025 zu

(rsn) – Nach drei Etappensiegen bei der Tour Down Under (1. UWT) und zuvor auch drei Sprinterfolgen bei nationalen Kriterien in Australien hat Sam Welsford bei der Surf Coast Classic (1.1) knapp ein

30.01.2025Viel französischer Schlamm und ein bisschen Bieles

(rsn) – Zum ersten Mal seit 2004 (Pontchateau) findet die Cross-Weltmeisterschaft wieder in Frankreich statt. Austragungsort ist Liévin, eine 30.000-Einwohner-Stadt im Département Pais-de-Calais i

30.01.2025Kepplinger: “Ich bin zufrieden, wie es gelaufen ist“

(rsn) - Vor zwei Jahren begann für Rainer Kepplinger das Abenteuer WorldTour. Bei der damaligen Saudi Tour gab der Österreicher sein Debüt im Trikot von Bahrain Victorious. Nun steht Kepplinger bei

JEDERMANN-RENNEN DIESE WOCHE
  • Keine Termine