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12.10.2023 | Tag vier: Der Wecker klingelt passenderweise um Vier. Zwei Bananen zum Frühstück, die Satteltasche ans Rad und dann los. Allerdings regnete es in Strömen. Die Wetter-App zeigt an, dass der Regen in ungefähr 30 Minuten nachlassen soll, also warte ich noch so lange im Hotel. Dann geht's über schmale Nebenstrassen nach Borderes; alles sehr ländlich und einfach, weit und breit kein Mensch. Im kleinen Ort Arrens einen Café au Lait und ein kurzes, zweites Frühstück - erst mit einem Kaffee kann der Tag für mich richtig losgehen.
Ich traf andere Mitfahrer und weiter ging es zum Col d’Aubisque (1709 m). Zwischenzeitlich kam die Sonne raus und es wurde ein angenehmer Tag. Die Landschaft hier oben ist ziemlich eindrucksvoll: Die Vegetation wie gemalt in unterschiedlichen Grüntönen, darüber die Felsen, mal heller, mal dunkler schattiert, dazwischen vereinzelte Schneefelder. Der Blick ins Tal wird allerdings durch eine dichte Nebelschicht verdeckt. Ein mystisches Panorama!
Es wird immer steiler und härter
- aber da muss man halt durch... Nach der Abfahrt schnell zum Supermarkt, um mich für den Rest des Tages mit Verpflegung einzudecken. Denn es warten heute - so war mein Plan - noch zwei richtig harte Brocken, zunächst mal der Col d’Issarbe mit 1425 Metern.
"Je näher wir dem Baskenland kommen, umso steiler wird es“, sagte ein Mitfahrer heute mittag, und er sollte Recht behalten. Ich hatte ich mir das Profil vorher auf Karten angesehen und recherchiert, dass öfters Rampen mit 14 bis 16 Prozent Steigung vorkommen. Allerdings hatte ich die Länge dieser Abschnitte doch ein wenig unterschätzt.
Auch wenn ich an meinem Rennrad eine 1:1-Übersetzung habe, reichte diese nun nur noch bedingt, vor allem wegen des das Gepäcks, auch wenn ich mich aufs Nötigste beschränkt hette. So quälte ich mich, nicht selten im Zick-Zack, hinauf - immer auch mit der Befürchtung, dass es später auf dem Weg zum nächsten Pass, dem Port de Larrau (1573 m) noch schlimmer werden sollte. Doet wurden die Abschnitte mit zwölf Prozent und mehr dann immer länger, auf knapp neun Kilometern ist der Larrau über zehn Prozent steil. Er dürfte zu den schwersten der Pyrenäen gehören.
Witzige Momente - trotz Quälerei
Ein runder Tritt war kaum noch möglich. Ich habe Schmerzen im Knie und vor allem im unteren Rücken. Ab und zu muss ich zum Lockern und Dehnen kurz absteigen. Meinen Mitfahrern geht es nicht besser, aber wir versuchen, uns gegenseitig aufzumuntern. Wie wohl ein VW Käfer mit 40 PS und vier Personen hier in den 60ern hochgekommen ist? frage ich. "Indem drei aussteigen und schieben“ kommt die Antwort... Es gab sie noch, die witzigen Momente, trotz all der Quälerei.
Auf den letzten 200 Höhenmetern kamen dann wieder die typischen dicken Nebelschwaden, gepaart mit heftigen, kalten Windböen, die einen fast vom Rad wehten. Selbst das Anziehen der Regenjacke wurde jetzt zur Herausforderung. Wie so oft war auf der anderen Seite des Bergs besseres Wetter und auf der Abfahrt belohnte ein toller Sonnenuntergang für die Anstrengungen des ganzen Tages.
Otxagabia: Am nächsten Ortsschild konnte man schon erkennen, dass wir im Baskenland angekommen waren. Ich fand hier in einem Hotel nur noch eine grosse Suite, aber man nimmt das, was man bekommt - viel Platz zum Regenerieren für die letzte Etappe.
Der letzte Tag
Nach etwas mehr als vier Stunden Schlaf ging es auf die letzten 200 km. Und wie so oft am Schluss wurde es noch richtig zäh. Nach einem grandiosen Sonnenaufgang, wie man ihn nur in den Bergen erlebt, zog bald wieder Bewölkung auf und es fing an zu regnen. Das Profil war anfangs sehr wellig und ging über kleine, schlecht asphaltierte Strassen auf den Col d’Arnostegi (1236 m). Es ist ein Teilstück des Jakobswegs, immer wieder kamen mir Pilger
entgegen.
Dann wurden die äusseren Bedingungen nochmal schwierig, die Sicht war durch Nebel und Regen gering. Man konnte selbst Kühe oder Ziegen mitten auf der Straße erst spät erkennen. Auf der Abfahrt Richtung Saint-Jean-Pied-de-Port war dann besondere Vorsicht angesagt: Nicht nur weil es hier teilweise bis 18 Prozent nach unten ging, der inzwischen starke Regen und der Kuhmist auf der Strasse sorgten zudem für sehr rutschige Verhältnisse.
Ich bin froh, ohne grössere Vorkommnisse durchzukommen; Scheibenbremsen sind da doch von Vorteil. Ein kurzer Stop im Ort, mit Sandwich, Kaffee und Cola; eine grössere Pause wollte ich bis zum Ziel nicht mehr machen. Es gab noch einen letzten längeren Anstieg auf knapp 1000 Meter und wieder sehr steile Passagen. Mehrmals rutschte mein Hinterrad weg.
Eine Mischung aus Nässe, Schlamm und Kuhmist hatte die Fahrbahn jetzt wie mit Schmierseife überzogen. Dass mein Rad danach aussah, als hätte ich an einem Cyclocross-Rennen teilgenommen, war jetzt fast Nebensache. Nach dem Col d’Ispeguy (672 m) und einem weiteren, kleineren Pass hatte ich dann nur noch den Alto de Jaizkibel (455 m) vor mir, drei Tage bevor auch die Tour de France kam.
Aufkommendes Race-Feeling
Als ich auf die Live-Tracking-Karte des Veranstalters schaute, entwickelte sich doch noch ein Race-Feeling bei mir... Da jede Fahrerin und jeder Fahrer hat einen GPS-Sender, und so kann man seine aktuelle Position und die aller anderen Teilnehmer live auf der Website verfolgen, als Punkte mit Name und Startnummer auf der Karte - "dotwatching" nennt sich das.
Aktuell waren auf dem letzten Anstieg einige dots kurz hinter mir und zwei vor mir.
Eigentlich war die Platzierung für mich zweitrangig - aber auf den letzten Kilometern wollte ich mich dann doch nicht mehr einholen lassen, aber eventuell noch überholen? Also ein letztes Mal pushen, bis die Oberschenkel brennen; beides gelang mir noch. Der Rest ist bekannt, siehe den Anfang meiner Geschichte …
Ein kurzes Fazit: Ein tolles Event, in einer der einsamsten, aber aufregendsten Regionen Europas. Fünf Tage, die mir viel länger vorkamen - durch das, was ich erleben durfte... Aber irgendwie ging es doch auch zu schnell, es gab so viele schöne, epische, aber natürlich auch harte Momente, physisch wie mental. Aber wie heißt es doch: Die härtesten Momente sind die besten Erinnerungen!
Marcus Ruchti ist seit vielen Jahren begeisterter Ausdauersportler - mit einem gewissen Hang zur Langstrecke. Was ihm an Ultracycling-Rennen gefällt: die Kombination aus sportlicher Herausforderung, Erleben der Natur, neuen Eindrücken, Begegnungen mit Menschen, aber auch das Unvorhersehbare - "Abenteuer halt..."
Hier geht's zu Teil eins und Teil zwei seines "TransPyrenees"-Rennberichts.
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