Tour total / Tag 6

Gegenwind und andere Tücken

Von Marco Ruhl

23.07.2008  |  Ein Nachtrag zum Col der Portel auf der 11. Etappe muss noch sein. Guido hatte „keine Lust”, das Rad zu wechseln. Sein eigentliches Bergrad war ja wegen Schaltproblemen nur eingeschränkt einsetzbar. Also setzte er zu einem 1.432 m hohen Pass mit 39:25 als kleinster Übersetzung an. Grundlage seiner Entscheidung waren ein Schild, das den Pass für „in 11 km” ankündigte, mit einigen Steilstücken jenseits 10 %, wie es aus dem Begleitfahrzeug mit dem Federn-Oßwald-Schriftzug hieß.

Was dann folgte, würde der Chronist als einen Triumph des Willens bezeichnen, wenn der Ausdruck nicht schon anderweitig besetzt wäre. Als neuer Berg im Tourprogramm waren seine Kenndaten nicht „automatisch” geläufig, und außerdem besteht der Col de Portel eigentlich aus drei Pässen. Viel verwirrender kann's nicht werden. Die 11 km beziehen sich nämlich auf den Col de Creuzelles, wo es bis zu 12 % hoch geht. Oben angekommen, darf man sich 5 km lang am Col de Péguère, bis zu 16 % vergnügen, und auf dem Péguère sieht man dann ein Schild „Col de Portel, 3 km”.

Der dritte Pass ist allerdings nur ein Häubchen auf dem Rest. Doch Guido drückte mit 39:25 über alles drüber. Auch bei den steilsten Kanten holte er aus schierer Willensleistung jedesmal irgendwo noch Kraft aus den Oberschenkeln, bevor er umfiel. Erstmals erlebte das Begleitteam ihn aber ungehalten: „Können die nicht unten anschreiben, wie lang das Teil ist, damit man weiß, woran man ist?!”

Am sechsten Tag von Tour total standen die Etappen 12 und 13 der Tour de France auf dem Programm, 168 km von Lavelanet nach Narbonne und 182 km von Narbonne nach Nîmes. Nach dem unlustigen Abenteuer am Portel führte Guido neue Frühstücksmodalitäten ein: Auf Tour wurde für frisches Baguette und Kaffee in einer Bäckerei gestoppt, und frisch gestärkt ging es weiter. Die erste der beiden Überführungsetappen aus den Pyrenäen in die Alpen ging vielfach mit gut Rückenwind hinab ans Mittelmeer, verlief aber unspektakulär. Ein wenig Erholung von den Anstrengungen in den Pyrenäen tat denn auch gut, zumal sich auch der Sattel immer mal wieder bemerkbar macht und Rollen dann einfacher ist als Treten.

Unterdessen war der Voraustrupp in Narbonne mit der Reparatur der Schaltung am Bergrad beauftragt, denn am Horizont der Marschtabelle drohen die Alpen, die nicht weniger als sechsmal HC und einmal Cat. 1 in Folge bieten. Da sollten dann die Übersetzungen passen. Die am Mittelmeer aufgetanen Radwerkstätten agierten allerdings nach dem Motto „Vorsicht, Kunde droht mit Auftrag”, so dass die Reparatur einem neuen Voraustrupp für Nîmes mit auf den Weg gegeben wurde. Der wechselte die Taktik, parkte unser Grabe-Mobil direkt vor dem Radgeschäft, fiel dort mit drei Leuten im Teamshirt ein, machte als Team Guido Kunze-Garmin richtig Betrieb und verlangte eine Notoperation am offenen Herzen. Welche umgehend erfolgte. Operation gelungen, Patient lebt und ist genesen. Herzlichen Dank an die Jungs von Cycle Rebour in Nîmes. Die Alpen können also jetzt kommen.

À propos Garmin: Wir haben jetzt alle Navigationsgeräte, die mitunter eine Passstraße erfinden, wo gar kein Berg ist, mit sekundären Funktionen belegt. Die lebenswichtigen Funktionen überlassen wir Geräten mit dem blauen Dreieck, die sich mit so was auskennen. Seither könnten wir sogar unfallfrei Bernards Rinder besuchen.

Zur gleichen Zeit, wie Team Guido Kunze-Garmin aus der Taufe gehoben wurde, hatte sich Guido selbst zwischen Narbonne und Nîmes mit ganz anderen Tücken auseinanderzusetzen. Der auf dem Weg nach Narbonne noch eher günstige Wind war ihm auf dem Weg nach Nîmes nicht mehr hold. Er blies kräftig ins Gesicht, und leider war diesmal auch an Windschattenfahren nicht zu denken. Denn als erst einmal Béziers passiert war, verlief die Etappe fast ausnahmslos auf viel befahrenen Straße ohne jeden Radweg oder Randstreifen - aber leider mit vielen, vielen rücksichtslosen Pkw- und Lkw-Fahrern. Gerade angesichts der durch den Wind sowieso geringeren Fahrstabilität wurde die Sache zusehends gefährlicher, als der Berufsverkehr näherrückte.

Als Guido zum vierten Mal beinahe von einem Transporter oder Lkw von Rad gefegt worden war, entschied er im Einvernehmen mit dem Begleitteam, dass es jetzt reichte und dass die Etappe abgebrochen und auch auf die ca. 30 flachen bis welligen Kilometer verzichten würde, die nicht über viel befahrene Straßen gehen.

Zum Ausgleich wurde die 14. Etappe, Nîmes - Digne-les-Bains, gleich angefahren, mit ein paar zusätzlichen Schlenkern. Es fehlen Guido so ca. 60 km an der „echten” Tour-Strecke. Wann und wie die nachgeholt werden, wird noch entschieden. Es soll uns ja keiner nachsagen, Guido drücke sich. Aber zunächst konzentrieren wir uns auf die Alpen, die ab morgen auf dem Programm stehen.

Am 17. Juli startete Guido Kunze seine „Tour total“. Der 42-jährige Extremsportler will die komplette Strecke der 95. Tour de France abfahren und am 27. Juli, kurz vor dem Tour-Tross, in Paris auf den Champs-Elysées eintreffen. Kunze hat sich ein gewaltiges Programm vorgenommen. Weil er nur zehn Tage Zeit hat, muss der Extremsportler pro 24 Stunden umgerechnet etwa 2,2 Etappen bewältigen. In einem Tagebuch berichtet Marco Ruhl, einer von Kunzes Begleiter, von dessen Erlebnissen in Frankreich.

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