Ra-Exklusiv-Interview mit dem Schweizer Fixie-Fahrer

Patrick Seabase: “Da ist schon viel Adrenalin dabei”

Von Wolfgang Preß

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05.06.2015  |  (Ra) - Vorgestern ist Patrick Seabase die erste Tour-Berg-Etappe von 1910 nachgefahren (Ra berichtete) - über 300 km und 6000 hm, mit nur einem Gang, und ohne Bremse. Derzeit erholt sich der der Berner “Free Cycler“ noch am Atlantik, von den für Normal-Rennradler kaum vorstellbaren Strapazen. Radsport-aktiv hat mit ihm telefoniert.

Radsport-aktiv: Patrick, wie geht's - einen Tag nach Deiner 16-Stunden-Marathon-Kurbelei?

Patrick Seabase: Ich hab mich schon gut erholt, liege hier am Strand, die Sonne scheint - alles bestens!

Was Radsportler natürlich am meisten interessiert: Welche Übersetzung bist Du gefahren?

Die, die ich immer fahre: 47 - 17.

Damit hast Du fünf Pässe getreten, mit bis zu 15 % Steigung. Welche Tritt-Frequenzen fährt man damit?

Im maximalen Steigungs-Bereich bis runter auf 24 Umdrehungen, und maximal 210. Das war in der nicht mal besonders steilen Abfahrt vom Col d 'Aspin; da hatte ich allerdings viel Rückenwind. Das war ein Gefühl, wie mit dem Seil gezogen.

Wie schafft man das, dass dann der Muskel nicht zumacht, bei dieser hohen Dauer-Frequenz?

Na ja, da steckt schon viel Training dahinter, auch auf der Rolle. Viel im mittleren Bereich, um die 150 Umdrehungen, für 60 bis 90 Minuten. Und um 300 Watt. Aber schwieriger als die hohen sind die niedrigen Frequenzen zu treten. Alles unter 50 braucht richtig viel Kraft. Trotzdem muss der Muskel locker bleiben.

Aber auch zum Bremsen hast Du viel Kraft gebraucht. Das geht auf dem Fixie ja nur, wenn man gegen die Kurbel arbeitet - oder indem man das Hinterrad blockiert. Die Bremswirkung hält sich in Grenzen, oder?
Wenn du das Pedal konterst, und möglichst weit hinten bleibst, das Hinterrad also gut belastest, hast du schon eine vernünftige Bremswirkung. Das Hinterrad blockiert dann, skiddet, wie's bei den Fixies heißt.

Dabei lässt Du ziemlich Gummi auf dem Asphalt. Wieviele Reifen hast Du vorgestern verbraucht?

In Bayonne hatte ich den vierten Hinterreifen drauf. Ich hab also dreimal wechseln müssen. Über die kleinen Pausen war ich nicht unglücklich…

Hattest Du Spezial-Reifen aufgezogen?

Ich fahr schon seit längerem den “Gator Skin” von Conti (Continental; d.Red.) auf dem Fixie. Der ist wirklich stabil, mit Pannenschutz und so. Ist mittlerweile ein bißchen ein Fixie-Reifen geworden, den viele fahren.

Nochmal zu den Kurven. Wie ist da Deine Technik, bergab?

Da wir mit vier Begleit-Motorrädern und mehreren Autos unterwegs waren, konnte ich ein bißchen riskanter fahren, als wenn ich alleine unterwegs bin. Mit den ganzen Begleit-Fahrzeugen war meine Strecke teilweise fast abgesperrt, und ich konnte die Kurven richtig schön schneiden.

Im Skidden die Kurven schneiden? Also gewissermaßen um die Kurve schleudern?
Manchmal schon; ich hab da ja eine gewisse Übung. Je nach Tempo fang ich so 30 Meter vor der Kurve zu bremsen an. Wenn ich dann noch zu schnell bin, skidde ich schon mal bis zum Scheitelpunkt der Kurve.

Was war eigentlich schlimmer zu fahren? Bergauf oder bergab?
Also bergab, beim Bremsen sammelst Du schon noch mehr Laktat an. Und zudem auch noch im Oberkörper, mit dem du dich dauernd in den Lenker stemmen musst. Vor allem wenn du müde bist. Dann kann ich das Gewicht nicht mehr so leicht nach hinten verlagern. Nach dem vierten Pass, nach 120 km bergab, da freust du dich auf jede Steigung.

Welcher Pass war der härteste? Der Tourmalet, mit fast 1300 Höhenmetern?
Du wirst lachen: Es war der kleinste, der Col d'Osquich, mit gerade mal 500 Höhenmetern, und nur 5 km lang. Allerdings war das auch der letzte. Und obwohl ich schon den Atlantik sehen konnte, hat er echt weh getan. Wie mein linkes Knie...

Und der Tourmalet?

Der ging gut, war viel rhythmischer, als ich gedacht hatte. Sehr konstant, im Schnitt neun Prozent. Der Tourmalet war von Anfang an mein Knackpunkt: Wenn ich da oben bin, schaun wir weiter, war der Plan. Und dann war ich oben, und wusste: Jetzt schaff ich's!

Hattest Du Zweifel, unterwegs?
Nein. Nicht groß nachdenken - das hat mir Danilo (Hondo, sein Rennleiter; d.Red.) dringend geraten. Auch im Training hatte ich eigentlich immer gedacht, ich schaff das. Erst so zwei, drei Tage bevor's losging, hatte ich ein paar Bedenken, ob ich genug trainiert habe.

Wie hast Du dich vorbereitet?
Wie gesagt: viel Rolle, aber auch Rennrad, bestimmt 90 Prozent des Trainings. Da hab ich gewissermaßen das Fixie simuliert, bin entscheidende Stellen in einem Gang gefahren. Und natürlich auch längere Etappen mit dem Fixie, über zwei Pässe, mit insgesamt 3000 oder 4000 Höhenmetern.

Aber nie über 300 km und 6000 hm?

Nein, tatsächlich nie. Bis ich losgefahren bin, wußte ich nicht wirklich, ob ich's schaffen werde. Wenn ich auch davon überzeugt war, dass ich's kann. Das Mentale war schon zentral. Und natürlich die Muskeln. Die mußten immer locker bleiben.

Wie kam's eigentlich zur Zusammenarbeit mit Danilo Hondo?
Wir kennen uns über einen gemeinsamen Freund, arbeiten seit gut einem Jahr zusammen. Als Ex-Profi kennt sich Danilo mit Motivation sehr gut aus - was für mich vorgestern extrem wichtig war. Und auch zur Ernährung kamen von ihm viele gute Tips. Da war ich bisher eher unbeleckt, das ging bei mir mehr nach dem Lust-Prinzip.
Ohne Danilo wär ich wohl nicht so weit gekommen. Ich hätte zu wenig gegessen, und wäre am Anfang zu schnell gefahren.

Stichwort schnell fahren: Was war vorgestern Deine Höchstgeschwindigkeit, bergab?

So um die 70 km/h. Aber da hab ich dann schon eine Tritt-Frequenz von gut 210. Im Training bin ich mal in der Ebene, hinter einem Land Rover, 83 km/h gekurbelt. Da mußte ich über 240 treten.

Unvorstellbar - das war sicher Dein Rekord, oder?
Nein, den hab ich mal im Studio auf einer stationären Rolle getreten: 251 Umdrehungen. Da fühlt man sich schon fast wie eine Nähmaschine. Das liegt gut hundert über dem, was ich sonst so kurble - das war schon ein Hammer.

Wie bist Du denn auf die Idee gekommen, gerade diese Tour-Etappe nachzufahren?

Letztes Jahr hab ich ein Buch über die Anfänge der Tour gelesen. Das ist ja unvorstellbar, was die Burschen damals gemacht haben: Ohne oder mit zwei Gängen Etappen von 300 bis 400 km gefahren, nachts um drei starten - und dann ab 1910 auch noch die Berge, weiter ohne Gang.
Das wollte ich nachspüren, aber mit meinen Mitteln. Eben mit dem Fixie. Um selbst einen Eindruck zu bekommen.

Aber Du hast es dir ja noch schwerer gemacht. Immerhin gab's damals schon einen Freilauf, und Bremsen sowieso…

Das ist für mich auch ein Spiel, das Spaß macht. Man muss ein Fahrgefühl entwickeln, voraussehen, die anderen beobachten, um zu sehen, wie man Kurven schneiden kann. Da ist schon viel Adrenalin dabei.

Was hältst Du von der Tour de France heute?
Das ist nicht meine Szene, obwohl ich auch viel Rennrad fahre. Aber ich respektiere das absolut, was da geleistet wird. Auch diese Fixie-Rennen wie Red Crit, die es jetzt seit einiger Zeit gibt. Das reizt mich nicht, aber offensichtlich die Jugend. Und das ist gut. Schließlich sind wir doch alle in einem Team: Wir haben zwei Räder unterm Hintern, wir tragen bunte Lycra-Klamotten. Ride on!

die Pässe

1.: Col de Peyresourde, 1569 m, 939 Höhenmeter, Distanz 15,2 km
2.: Col d’Aspin, 1489 m, 785 Höhenmeter, Distanz 12,3 km
3.: Col du Tourmalet, 2115 Höhenmeter, 1270 m, Distanz 17,2 km
4.: Col d’Aubisque, 1709 m, 1247 Höhenmeter, Distanz 30,2 km
5.: Col d’Osquich, 507 Höhenmeter, 290 m, Distanz 5,1 km
Ziel: Bayonne; Höhenmeter rund 1000, Distanz rund 80 km

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