29. Juli bis 2. August - Nottwil/ Schweiz - Rennbericht Hans-Peter Durst

Paracycling-WM: Siegerehrung ohne den Sieger

Von Hans-Peter Durst

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| Foto: hans-peter-durst.de

05.08.2015  |  Die Paracycling-Weltmeisterschaft 2015 in Nottwil - mein erklärter Saison-Höhepunkt - ist Geschichte. Eine lebendigere Geschichte, als ich mir dies erhofft und vor allem gewünscht hatte... Die Vorbereitung auf dieses Event, die WM vor den Paralympics in Rio 2016, war aus meiner Sicht nicht zu toppen.

Sowohl mein Stützpunkt-Trainer
vom Radsport-Verband NRW, Robert Pawlowsky, als auch Bundestrainer Patrick Kromer stellten mich perfekt ein. Die vom Deutschen Behinderten-Verband genehmigten Trainingsmaßnahmen wurden konkret darauf abgestimmt.

So konnten wir geduldig und ausdauernd Grundlage auf Mallorca im Frühjahr trainieren, nach Leistungs-Diagnostik die Form für die zwei frühen Rennen in erarbeiten, um dann die Spitzen im oberschwäbischen Ummendorf für die beiden Weltcup-Wettbewerbe in Maniago/ Italien und Yverdon/ Schweiz herauszukitzeln.

Dabei wurde nie das Saison-Ziel Titel-Verteidigung

in Nottwil aus den Augen verloren. Zwischen den beiden Weltcups wurde die WM-Strecke trainingstechnisch seziert - bis ich sie lieben gelernt hatte;-).

Und dazu psychologisch aufgearbeitet, mit der "Unmittelbarkeit des Erlebens"-Technik: Für mich hieß das,  die einzelnen Streckenabschnitte in mentale Bilder zu malen, um sie somit leichter in meiner Wahrnehmung aufnehmen zu können; meine Mental-Trainerin Grit Moschke ist seit Jahren darauf spezialisiert.

Durch meine beiden Siege im Heim-Weltcup

in Elzach, eine Woche vor der WM in Nottwil, war meine Favoritenrolle auch nicht mehr wegzureden. Ich habe sie aber gerne angenommen, und sie mir zum Freund gemacht.

Davor stand noch die Vorbereitung im Höhentrainingslager. Am vergangenen Donnerstag war es dann soweit: Nach der verregneten Eröffnungsfeier und der Team-Staffeln am Mittwoch Abend schien für uns Athleten die Sonne am Sempacher See.

Mein Start im Einzelzeitfahren war auf 10:12 Uhr terminiert
- als letzter Starter meines Feldes T2 Dreirad - meine Lieblingsposition... Unser Co-Trainer Jan Ratzke folgte mir auf der Strecke im Begleitfahrzeug. Wir hatten ausgemacht, dass er mich motivierend anhupt, wenn ein Rückstand auf einen vor mir gestarteten Athleten entsteht.

Da ich die Strecke in Bildern im Kopf, und per SRM Meter für Meter abrufen konnte, startete ich sehr zuversichtlich und genau nach Vorgabe: 305 Watt nicht überschreiten, bis eben ein Hupzeichen kommt. Kurz vor den letzten zwei angezeigten Kilometern konnte ich dann in die Übersäuerung gehen, und meine Beine getretene Wattzahlen über 400 angedeihen lassen.

So benötigte ich für die erste Runde 12:41 Minuten,
und für die zweite 12:19 Minuten - was für die gefahrenen 14 Kilometer 25 Minuten und Platz eins ergab, mit einem Schnitt von 35:58 km/h. Mein Freund Giorgio Farroni aus Italien, und der stets starke Amerikaner Ryan Boyle komplettierten das Podium.

Der Freitag wurde zur aktiven Erholung und Regeneration genutzt, auch zur mentalen Vorbereitung auf das von mir noch nicht so perfekt beherrschte Straßenrennen. Die Rennerfahrung wird zwar besser und besser - aber...

Dann der Samstag Morgen, elf Uhr:
Startaufstellung im Leichtathletik-Stadion von Nottwil - eine ganz besondere Kulisse. Es gab leider wieder im Regen, was meiner Motivation aber nicht geschadet hat. Durch die schnellen, engen und recht schrägen Kurven war die Taktik klar: Möglichst schnell eine Lücke reißen, und mit wenigen Fahrern diese Passagen angehen.

Das gelang Giorgio Farroni, Nestor Ayala und mit recht gut. Leider wollte dann am Berg aber keiner die Nase in den Gegenwind strecken, und Ryan Boyle fuhr die dezimierte Verfolgergruppe wieder heran. In der dritten Runde wollte ich die Vorentscheidung am Berg erzwingen und attackierte. Nur Giorgio und Nestor konnte an meinem Auffahrschutz bleiben.

Somit war klar: Die Stadionrunde, mit der schnellen Abfahrt

vom Bühl musste die Entscheidung bringen, wahrscheinlich sogar der Sprint. So kam es dann: Nestor attackierte auf der letzten Geraden vor der superschnellen Rechtskurve hinein ins Stadion.

Ich konnte dagegenhalten, und als erster in die Kurve fahren, hinunter ins Stadion, und auf der roten Bahn in die Stadionkurve links. Dann verliert sich meine Erinnerung...

Von Patrick Kromer und Jan Ratzke wurde mir das Finale
so berichtet: Giorgio ist links von mir offensichtlich zu schnell in die Kurve, und driftete nach rechts aussen. Offensichtlich hat er mit seinem Vorderrad in mein hinteres linkes Laufrad eingefädelt und ist gestürzt.

Nestor und ich kommen unbeschadet auf die Zielgerade, und nach dem 50-Meter-Schild parallel gesprintet. Mit vier Hundersteln oder etwa zehn Zentimetern Vorsprung konnte ich meinen ersten Straßenweltmeistertitel verteidigenund war Weltmeister 2015!

Leider hat mich der Kolumbianer dann -

wohl durch schwindende Kräfte - unmittelbar nach der Ziellinie mit ca. 48 km/h von der linken Seite ungebremst in die massive Absperrung geschoben. Dabei prallte mein Kopf - gut behelmt von Abus - zweimal an die Eisenabsperrung. Ich verlor das Bewusstsein, und musste mit Gehirnerschütterung in die Paraplegiker-Klinik Nottwil.

Somit fand die Siegerehrung ohne mich statt; die deutsche Nationalhymne wurde trotzdem gespielt. Im erfolgreichen DBS-Paracycling-National-Team - wir konnten die Nationen-Wertung mit 21 Medaillen vor den USA mit 18 und Italien mit 15 Medaillen gewinnen - konnte ich als erfolgreichster Einzel-Athlet zwei Goldmedaillen zu unseren sechs Platzierungen beitragen.

Der Pechvogel der WM ist für mich mein italienischer Freund

Giorgio: Viel Arbeit geleistet im Straßenrennen, gestürzt in aussichtsreicher Position, aber wieder aufgerappelt, und die 50 Meter mit dem Rad ins Ziel gelaufen. Aber kurz vor der Ziellinie überholt vom Ryan Boyle, der sich hinter Nestor Ayala die Bronzemedaille sicherte.

Eine wunderbare, perfekt organisierte Paracycling-WM ging zu Ende. Die beiden Titel als Einzelzeitfahr- und Straßen-Weltmeister darf ich nun bis Ende 2017 tragen, denn paralympischen Jahr gibt es keine WM.

Anfang September geht es ja  noch zum Weltcup-Finale

nach Pietermoritzburg in Südafrika. Ein schöner Abschluß für mich - konnte ich dieses Trikot doch noch nie am Ende der Saison überstreifen.

Mit sportlichem Gruß,
hoffentlich bis bald,
und vielleicht auf ein Glas Rotwein oder Bier
(auf das ich mich eigentlich am Samstag Abend so gefreut hatte:-)
Euer
Hans-Peter

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