Nibali gewinnt dramatische Giro-Königsetappe

Dumoulin verteidigt trotz eines Zwischenstopps sein Rosa Trikot

Von Lorenz Rombach

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Tom Dumoulin (Sunweb) verteidigte sein Rosa Trikot auf der Königsetappe des Giro, hatte aber im Ziel wenig zu lachen. | Foto: Cor Vos

23.05.2017  |  (rsn) - Am Ende der denkwürdigen Königsetappe des 100. Giro d‘Italia konnte Tom Dumoulin (Sunweb) sein Rosa Trikot zwar knapp verteidigen, trotzdem erlebte der Niederländer einen denkbar schwierigen Tag. Bis gut 30 Kilometer vor dem Ziel der 16. Etappe lief noch alles nach Plan, doch dann musste Dumoulin in der Anfahrt zum Umbrail-Pass rechts ranfahren und seine Notdurft verrichten.

Die darauf folgende Aufholjagd war nicht von Erfolg gekrönt. 2:18 Minuten verlor er am Ende auf  Vincenzo Nibali (Bahrain-Merida), der seine Abfahrtskünste nutzte, um den ersten italienischen Etappensieg beim Jubiläums-Giro einzufahren. Der Titelverteidiger bezwang im Zielsprint knapp den Spanier Mikel Landa (Sky), Dritter wurde Nairo Quintana (Movistar), der nun auf Platz zwei der Gesamtwertung nur noch 31 Sekunden hinter dem Rosa Trikot liegt.

"Ich musste kacken, ich konnte es nicht mehr halten und musste anhalten. Ich habe dann als Solist gekämpft ohne Ende. Ich habe viel Zeit verloren, es war schrecklich. Ich bin einfach enttäuscht", sagte der verärgerte Sunweb-Kapitän  im Ziel den wartenden Journalisten. Berücksichtigt man jedoch, dass Dumoulins  "Notdurft-Pause“ schon eine Minute gekostet haben dürfte, wird deutlich, welch erneut starkes Rennen der 26-Jährige fuhr, um sein Rosa Trikot zu retten.

Nach Dumoulins Missgeschick übernahm in der Favoritengruppe der erfahrene Franco Pellizotti die Tempoarbeit für seinen Kapitän Nibali. Nachdem der 39-jährige Italiener zur Hälfte des Anstieges zum Umbrail passen musste, ritt Nibali seine erste Attacke. Kurz vor dem Gipfel verschärfte er erneut das Tempo und setzte sich mit Quintana ab. In der Abfahrt fuhr er in gewohnter Manier allen davon und schloss zum Führenden Landa auf, den er im Zielsprint knapp schlug.

"Es war eine große Etappe, ein großes Spektakel, das wir geliefert haben. Auf der Abfahrt habe ich alles versucht. Der Zielsprint war sehr schwierig. ich wollte schon vorher an Landa vorbei, aber er war sehr stark. Die einzige Möglichkeit war für mich, die Kurve weiter innen zu nehmen", sagte der Sizilianer nach dem Zieleinlauf im italienischen Fernsehen.

Dagegen schlug der nur hauchdünn auf Rang zwei verwiesene Landa wütend mit den Händen auf dem Lenker, nachdem er realisierte, wie knapp am Etappensieg er  vorbeigefahren war. Im Interview zeigte sich der Spanier jedoch als guter Verlierer: „"Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. Heute habe ich verloren. Das ist Radsport. Mna kann auch nicht alles kontrollieren. Ich bin ja noch jung und kann einiges erreichen.“ Der 27-Jährige konnte sich immerhin mit der Cima Coppi-Wertung und dem Trikot des Bergbesten trösten.

Die Etappe begann wie erwartet furios. 50,3 Kilometer legten die Fahrer in der ersten Rennstunde zurück und in der Anfahrt zum ersten Anstieg des Tages, dem Mortirolo, formierte sich eine knapp 20 Fahrer starke Spitzengruppe um Winner Anacona (Movistar) und Chad Haga (Sunweb), die im Anstieg jedoch von Bahrain-Merida zurückgeholt wurde. Luis Léon Sanchez (Astana) sicherte sich am Mortirolo die Sonderwertung zu Ehren seines verstorbenen Teamkollegen Michele Scarponi.

Auch in der nächsten Gruppe, die anfangs 25 Fahrer stark war, war die Movistar-Mannschaft wieder vertreten – dieses Mal mit gleich drei Fahrern: Andrey Amador, erneut Anacona und José Herrada. Dementsprechend zufrieden zeigte sich Kapitän Quintana mit seinen Mannen: "Die Mannschaft hat hervorragend gearbeitet. Natürlich hätte ich heute gern fünf Minuten gewonnen, aber zwischen Wollen und Können besteht eben auch ein Unterschied. Das Tempo war heute extrem hoch, die Körper waren alle erschöpft, es war schwer, zu attackieren."

In der Tat verlief die Etappe turbulent, auch nachdem sich die große Gruppe, in der unter anderem auch Landa mit drei Teamkollegen, Pierre Roland (Cannondale-Drapac), Steven Kruijswijk (LottoNl-Jumbo) und Laurens ten Dam (Sunweb) fuhren, abgesetzt hatte. Im ersten Aufstieg zum legendären Stelvio war es lange der routinierte Vasil Kiryienka (Sky), der für Tempo sorgte, bis zur Mitte des Anstiegs sein Teamkollege Philip Deignan übernahm. Doch die Gruppe bekam keinen allzu großen Vorsprung zugestanden, maximal nur 3:15 Minuten, wohl auch weil sowohl Amador als auch Kruiswijk vor dem Start in den Top Ten der Gesamtwertung lagen.

Im Feld der Favoriten hatte Sunweb zu diesem Zeitpunkt noch alles unter Kontrolle und bekam zunächst von Trek-Segafredo und im oberen Teil des Feldes sogar Hilfe von Quick-Step Floors, nachdem Dumoulin mit Simon Geschke seinen letzten verbliebenen Helfer eingebüßt hatte. An der Spitze setzten sich auf den letzten der 22 Kilometer hinauf auf den 2758 Kilometer hohen Stelvio sieben Fahrer ab: Deignan, Landa, Amador, Anacona, Kruisqijk, Sanchez und der scheche Jan Hirt (CCC Sprandi Polkowice), der einen sehr starken Tag erwischte und am Ende auf Platz elf fuhr.

Die Cima Coppi auf dem Dach des Giro sicherte sich Landa, der sich auf der Abfahrt mit Amador absetzte. In der Anfahrt zum Umbrail wurden die Beiden jedoch wieder gestellt. Dagegen lies sich ten Dam zurückfallen, um Dumoulin zu unterstützen, und Orica-Scott und Katusha-Alpecin sorgten dafür, dass der Vorsprung der Spitzengruppe bis zum Beginn des 13,5 Kilometer langen Anstiegs auf unter zwei Minuten sank. Gut 30 Kilometer vor dem Ziel, kurz vor dem Beginn der zweiten Überquerung des Stelvio - diesmal von Schweizer Seite aus -, erwischte es dann Dumoulin, der rechts ranfuhr und im Straßengraben verschwand.

Derweil attackierte Kruiswijk an der Spitze und nur Hirt und Landa konnte dem Niederländer folgen. Weiter hinten war Dumoulin auf sich alleine gestellt, nachdem sein Edelhelfer ten Dam schnell zurückfiel. Lange konnte der Mann aus Maastricht den Rückstand auf rund eine Minute begrenzen, auch weil die Favoriten für einige Minuten die Füße still hielten. Doch spätestens, als Nibali seinen stärksten Helfer Pellizotti an die Spitze beorderte, verlor das Maglia Rosa langsam, aber sicher an Boden.

An der Spitze war schnell klar, dass Landa der Stärkste der ursprünglichen Ausreißer war. Etwa zur Hälfte des Anstiegs setzte er sich alleine ab, jedoch nur noch mit einem Vorsprung von einer guten Minute auf die Gruppe um Quintana, Nibali und den anderen Favoriten. Fünf Kilometer vor dem Gipfel setzte Nibali seine erste Etappe und konnte sich mit Quintana, Ilnur Zakarin (Katusha-Alpecin) und Domenico Pozzovivo (Ag2r) absetzen. Schnell holten diese vier die verbliebenen Ausreißer – bis auf Landa – ein. Kurz vor dem Gipfel verschärfte Nibali das Tempo erneut und überquerte gemeinsam mit Quintana 15 Sekunden hinter Landa den Gipfel des Umbrail, wo auch Zakarin und Pozzovivo aufschließen konnten.

Dahinter hatte sich eine Gruppe um Thibaut Pinot (FDJ) und Bauke Mollema (Trek-Segafredo) sowie Bob Jungels (Quick-Step Floors) formiert, die gut eine Minute hinter dem Spitzenreiter den Gipfel passierte. Derweil hatte das Rosa Trikot im oberen Teil des Anstieges sichtlich zu kämpfen und handelte sich bis zum Gipfel knapp 2:30 Minuten Rückstand auf Landa ein. Derr bekam in der Abafhrt schnell Gesellschaft von Nibali, der seine Downhill-Künste nutzte, um Quintana abzuhängen.

Im Zielsprint wählte der Sizilianer in der letzten Kurve die bessere Linie und siegte knapp vor Landa. Quintana verlor auf Platz drei zwölf Sekunden. Vierter wurde Pozzovivo mit 24 Sekunden Rückstand, zehn Sekunden vor Zakarin. Davide Formolo (Cannondale-Drapac) verlor auf Platz sechs bereits 1:26 Minuten. Neun Sekunden dahinter führte Mollema die nächste Gruppe über die Linie, in der auch Adam Yates (Orica-Scott), Thibaut Pinot (FDJ), Kruiswijk und Hirt dabei waren.

Dumoulin fuhr derweil auch auf der Abfahrt couragiert und verlor am Ende lediglich 2:18 Minuten. Damit liegt er in der Gesamtwertung noch 31 Sekunden vor Quintana und 1:12 Minuten vor Nibali. Die Bergwertung übernahm Landa, Führender der Nachwuchswertung bleibt Jungels, sein Teamkollege Fernando Gaviria (Quick-Step Floors) führt weiterhin die Sprintwertung an.

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