Zwei Massenstürze überschatten Tour-Auftakt

Alaphilippe tauscht das Regenbogentrikot gegen Gelb

Von Kevin Kempf

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Julian Alaphilippe (Deceuninck – Quick-Step) trägt das erste Gelbe Trikot der 108. Tour de France. | Foto: Cor Vos

26.06.2021  |  (rsn) – Auch von einem Sturz hat sich Julian Alaphilippe (Deceuninck – Quick-Step) beim Grand Départ nicht bremsen lassen. Mit einer blutenden Wunde am Knie setzte sich der Weltmeister auf der 1. Etappe der 108. Tour de France über 197,8 Kilometer von Brest nach Landerneau nach einem beeindruckenden finalen Solo bergauf mit acht Sekunden Vorsprung auf rund 20 Verfolger durch. Mit seinem sechsten Tour-Tagessieg eroberte er zudem das erste Gelbe Trikot der 108. Frankreich-Rundfahrt.

Im Sprint der ersten Gruppe holte sich der Australier Michael Matthews (BikeExchange) den zweiten Platz vor dem Slowenen Primoz Roglic (Jumbo – Visma), der bester der Klassementfahrer war und für Rang drei mit vier Bonussekunden belohnt wurde.

Als erster Weltmeister seit Bernard Hinault 1981 sicherte sich Alaphilippe den Auftakt der Grande Boucle. Der 29-Jährige attackierte bereits 2,3 Kilometer vor dem Ziel und hielt alle Konkurrenten souverän auf Distanz. “Im Finale wollte ich die Sprinter abschütteln. Das hat geklappt. Ich wollte eine Lücke aufreißen und als ich sie hatte, musste ich Vollgas fahren“, kommentierte Alaphilippe seinen Angriff, dem niemand folgen konnte.

Nur kurz sah es so aus, als würden Pierre-Roger Latour (TotalEnergie), Roglic und Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) die Lücke schließen können, letztlich konnte aber niemand mehr den Etappensieger stellen. “Es ist ein Szenario, von dem ich geträumt habe und das ich unbedingt haben wollte. Es ist ein wunderbares Gefühl. Meine Mannschaft hat einen tollen Job gemacht“, lobte Alaphilippe seine Teamkollegen.

Lefeveres Zweifel waren unbegründet

Der Franzose hatte zuletzt die Tour de Suisse am Schlusstag verlassen, weil seine Frau Marion die Geburt des ersten Kindes erwartete. Teamchef Patrick Lefevere hatte nach Alaphilippes 37. Platz bei der nationalen Meisterschaft noch Zweifel an der Form seines Stars geäußert - die waren völlig unbegründet, wie Alaphilippe bewies. “Es ist ein großartiges Gefühl, weil es einerseits schwierig ist, so weit weg von meiner jungen Familie zu sein. Andererseits ist es mein großes Ziel, solche Erfolge zu feiern“, schilderte er seine Gefühlslage.

Hinter Alaphilippe fanden sich die weiteren Favoriten zu einer größeren Gruppe zusammen. Wout Van Aert (Jumbo – Visma) opferte sich für Roglic auf, um dessen Rückstand auf Alaphilippe so klein wie möglich zu halten. Dadurch konnte der Belgische Meister selbst nicht in das Finale eingreifen. Auch Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix) war nicht in der Lage, mitzusprinten, nachdem er – wohl wegen eines Massensturzes kurz vor dem Finale - viel zu weit hinten in den Schlussanstieg gefahren war.

Die deutschen Fahrer fielen vor allem durch Sturzpech auf. Tony Martin (Jumbo – Visma) wurde von einer Zuschauerin zu Fall gebracht und riss schuldlos einen Großteil seiner Kollegen mit sich. Dieser Sturz wurde unter anderem Jasha Sütterlin (DSM) zum Verhängnis, der Freiburger musste das Rennen verletzt aufgeben. Auch Martin selbst zog sich Verletzungen zu, konnte das Rennen aber mit 16:29 Minuten Rückstand beenden. André Greipel und Rick Zabel (beide Israel Start-Up Nation) gingen beide jeweils zweimal zu Boden. Emanuel Buchmann (Bora – hansgrohe) verlor durch den zweiten Crash 1:49 Minuten auf den Tagessieger.

Bora kann zufrieden sein: Kelderman Fünfter, Schelling im Bergtrikot

Besser lief es für Buchmanns Teamkollegen Wilco Kelderman. Der Niederländer konnte nach einer starken Vorstellung die Etappe als Fünfter beenden. Sein Landsmann Ide Schelling war der stärkste Fahrer der Gruppe des Tages und nahm auf dem Podium strahlend das Bergtrikot in Empfang, nachdem er mit einem Solo seine Begleiter abgeängt hatte.

In der Gesamtwertung liegt Alaphilippe zwölf Sekunden vor Matthews, 14 Sekunden vor Roglic und 18 Sekunden vor den meisten anderen Favoriten. Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) büßte allerdings 23 Sekunden ein. Seinen Mannschaftskameraden Richie Porte (+2:26) sowie Miguel Angel Lopez (Movistar / +1:59), Guillaume Martin (Cofidis / +1:59) und vor allem Michael Woods (Israel Start-Up Nation / +8:59) erging es deutlich schlechter .

So lief das Rennen:

Um Punkt 12:00 Uhr wurde in Brest der Startschuss zur 108. Tour de France gegeben. Nach der erwartet hektischen Startphase, in der es schon zu frühen ersten Stürzen kam, holte sich nach zehn Kilometern Victor Campenaerts (Qhubeka NextHash) an der Côte de Trébéolin den ersten Bergpunkt, weil Georg Zimmermann (Intermarché - Wanty – Gobert) seinen Sprint etwas zu spät angesetzt hatte und den Belgier nicht mehr erreichen konnte.

Nach knapp 15 Kilometern setzte sich dann die Gruppe des Tages ab. Ide Schelling (Bora – hansgrohe), Anthony Perez (Cofidis), Connor Swift (Arkea – Samsic), Cristian Rodriguez (TotalEnergies), Danny van Poppel (Intermarché - Wanty – Gobert) und Franck Bonnamour (B&B Hotels – KTM) bekamen vom Feld aber nicht mehr als 3:45 Minuten Vorsprung zugestanden. An der Côte de Rosnoën zog van Poppel nach 27 Kilometern in der Bergwertung mit Campenaerts gleich.

Nach der hartumkämpften Côte de Locronan (3.Kat) übernahm Perez nach 61 Kilometern mit zwei Punkten die virtuelle Führung in der Sonderwertung. Schelling, der sich den letzten Punkt holte, änderte an der Côte de Stang ar Garront nach 115 Kilometern seine Taktik. Mit viel Schwung attackierte der Tour-Debütant seine Begleiter am Fuße der Steigung. Niemand konnte ihm etwas entgegensetzen, und nachdem er sich den Punkt gesicherte hatte, zog Schelling weiter durch und baute seinen Vorsprung schnell aus.

Schelling erreichte sein Tagesziel schon an der vorletzten Bergwertung

Während seine ehemaligen Begleiter 18 Kilometer später vom Peloton geschluckt wurden, sicherte sich der Niederländer 62 Kilometer vor dem Ziel den Zwischensprint, ehe kurz darauf Caleb Ewan (Lotto Soudal) im Sprint der Verfolger Peter Sagan (Bora – hansgrohe) und Michael Matthews (BikeExchange) auf die Plätze drei und vier verwies. Wenig später fuhr Schelling jubelnd über die Côte de Saint-Rivoal (3.Kat.), weil zu dem Zeitpunkt klar war, dass er sich das erste Bergtrikot dieser Tour geholt hatte.

Als das Feld die Stelle erreichte, prallte der weit vorne am rechten Straßenrand fahrende Tony Martin (Jumbo – Visma) mit hohem Tempo gegen ein Schild, das eine unvorsichtige Zuschauerin mit dem Rücken zum Geschehen in die Kamera schwenkte. Zahlreiche Fahrer kamen in der folgenden Kettenreaktion zu Fall, fast das gesamte Feld wurde aufgehalten. Bis auf Sütterlin, der verletzt das Rennen aufgeben musste, kehrten aber alle gestürzten und abgehängten Fahrer wieder ins Peloton zurück.

Das holte Schelling allerdings bereits 27 Kilometer vor dem Ziel wieder ein. Danach herrschte zunächst einmal Flaute im Peloton, erst auf den letzten zehn Kilometern wurde das Tempo wieder angezogen. Prompt kam es in der Hektik der Positionskämpfe drei Kilometer später zu einem erneuten Massensturz, in den bei hohem Tempo wieder ein großer Teil des Feldes verwickelt war.

Für Sütterlin ist die Tour schon am ersten Tag beendet

Schlimm schien es unter anderem den viermaligen Tour-Sieger Chris Froome (Israel Start-Up Nation) erwischt zu haben, der, umgeben von einigen Teamkollegen, zunächst keine Anstalten machte, das Rennen fortzusetzen, sich dann aber doch mit Rückstand ins Ziel kämpfte. Dagegen war für Ignatas Konovalovas (Groupama - FDJ) und Cyril Lemoine (B&B Hotels) die Tour wie für Sütterlin schon am ersten Tag beendet.

Im gut drei Kilometer langen und im Schnitt 5,5 Prozent steilen Schlussanstieg bereitete Dries Devenyns (Deceuninck – Quick-Step) mit einer kurzen, aber harten Tempoverschärfung Alaphilippes Attacke mustergültig vor. Niemand konnte dem Weltmeister folgen, als der 2,3 Kilometer vor dem Ziel an einer der steilsten Stellen attackierte. Alaphilippe fuhr sich schnell einen kleinen Vorsprung heraus und behauptete diesen souverän bis ins Ziel.

Hinter ihm versuchten mehrere Fahrer, darunter auch Mathieu van der Poel (Alpecin - Fenix) vergeblich, die Lücke zu schließen, so dass sich schließlich eine 20-köpfige Verfolgergruppe formierte, aus der Matthews den Sprint um Platz zwei vor Roglic gewann.

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