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07.07.2021 | (rsn) – Hätte man vor dem Start der Tour de France 2021 prognostiziert, dass Wout Van Aert (Jumbo – Visma) die zweimal über den Mont Ventoux führende 11. Etappe als Solist gewinnen würde, wäre man vielleicht für verrückt erklärt worden. Doch bei der Frankreich-Rundfahrt ist in diesem Jahr alles ein bisschen anders und so setzte sich der dreimalige Cross-Weltmeister bei der zweiten Überfahrt des Provence-Riesen aus einer Ausreißergruppe heraus ab und verteidigte einen Vorsprung von 1:14 Minuten auf den Franzosen Kenny Elissonde (Trek - Segafredo) und den dessen niederländischen Teamkollegen Niederländer Bauke Mollema, beides ausgewiesene Kletterer.
"Mir fehlen die Worte. Das klingt komisch, aber das habe ich gar nicht erwartet vor der Tour", rang der Belgische Meister nach den extrem schweren 199 Kilometern von Sorgues nach Malaucène nach Luft und auch nach Worten. Nach Platz zwei im Massensprint der 10. Etappe folgte der Sieg auf einer extrem harten Bergetappe. Doch der kam gar nicht so ungeplant, wie Van Aert betonte: "Gestern habe ich daran geglaubt und das Team um die Freiheit gebeten, die Gruppe zu besetzen."
Vor fast genau zwei Jahren stand seine Karriere fast vor dem Aus. Im Einzelzeitfahren rund um Pau zog der Belgier sich schwere Verletzungen zu, kämpfte lange um seine Rückkehr an die Weltspitze. Schon bei der letztjährigen Tour konnte er zwei Tagessiege erringen, wurde Vizeweltmeister im Zeitfahren und im Straßenrennen. Doch mit seinem Erfolg auf der Bergetappe durch die Provence katapultierte sich der 26-Jährige aus Herentals in eine neue Sphäre.
"Es ist einer der bekanntesten Anstiege im Radsport. Das ist vielleicht der beste Sieg meiner Karriere", analysierte Van Aert. Als er auf den letzten zehn Kilometern des Ventoux-Anstiegs attackierte, schüttelte er starke Gegner wie Elissonde, Mollema und Weltmeister Julian Alaphilippe (Deceuninck - Quick-Step) ab. "Ich hatte gute Kletterer an meiner Seite, aber sie haben auch gelitten und viel Kraft verloren", so Van Aert, der immer an die Möglichkeit eines Sieges glaubte.
Vingegaard bringt Pogacar in Schwierigkeiten
In der Gruppe der Favoriten sorgte dann sein Teamkollege Jonas Vingegaard für Furore. Der 23-Jährige attackierte auf den letzten beiden Kilometern der zweiten Ventoux-Überfahrt und brachte erstmals bei dieser Tour den Leader Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) in Probleme. Mit der Hilfe von Rigoberto Uran (EF Education - Nippo) und Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) konnte er den ausgebüxten Dänen aber wieder bis zum Ziel stellen, das der Slowene als Tagesvierter mit einem Rückstand von 1:38 Minuten erreichte.
“Als Vingegaard attackierte, konnte ich nicht folgen. Danach habe ich mit Carapaz und Uran zusammengearbeitet, um ihn wieder einzuholen. Ich wusste, dass die Abfahrt ein gutes Terrain ist, um ihn zurückzuholen. Mich hat es nicht überrascht, dass Vingegaard einer der besten Kletterer des Pelotons ist“, kommentierte Pogacar seine erste Schwäche bei dieser Tour.
Alexey Lutsenko (Astana – Premier Tech) und Wilco Kelderman (Bora – hansgrohe) büßten 18 Sekunden auf das Quartett ein und folgten auf den Plätzen acht und neun “Es war letztlich ein guter Tag, kein herausragender, aber ich bin mit meiner Vorstellung zufrieden“, sagte Kelderman, der im Gesamtklassement eine Position gut machte und jetzt Sechster ist.
Bester deutschsprachiger Fahrer war Jonas Rutsch auf Rang 34 mit einem Rückstand von 14:28 Minuten auf den Tagessieger. Auch Patrick Konrad und Emanuel Buchmann (beide Bora – hansgrohe) befanden sich in dieser Gruppe.
In der Gesamtwertung führt Pogacar nun 5:18 Minuten vor Uran und 5:32 Minuten vor Vingegaard. Carapaz liegt als Vierter eine Sekunde hinter dem Dänen. Ben O’Connor (AG2R Citroën Team) verlor fast drei Minuten auf dieses Quartett und büßte seinen zweiten Platz ein. Er liegt mit 5:58 Minuten Rückstand auf dem fünften Rang vor Kelderman und Lutsenko.
So lief das Rennen:
199 Kilometer von Sorgues nach Malaucene standen im Programm der 11. Etappe der diesjährigen Tour de France. Mit dem zweifachen Anstieg hinauf zum Mont Ventoux, zuerst von Sault aus, danach von Bédoin, wartete ein Monsterprogramm auf die Teilnehmer. Viele Fahrer versuchten sich früh abzusetzen, da sie damit rechneten, dass der Tagesabschnitt auch etwas für Ausreißer sein könnte.
Nach knapp 25 Kilometern kam es dann zu einem Sturz im Feld, durch den Tony Martin (Jumbo – Visma) als insgesamt dritter deutscher Profi die Rundfahrt verlassen musste. Unter den Ausreißern befand sich unter anderem Weltmeister Julian Alaphilippe (Deceuninck – Quick-Step), der zu Beginn als Solist imponierte und sich die erste Bergwertung der 4. Kategorie sowie den Zwischensprint sicherte. Dort sammelten zwar auch Sonny Colbrelli (Bahrain – Victorious) und Michael Matthews (BikeExchange) einige Zähler ein, aber dadurch konnten sie nur wenig vom Vorsprung von Mark Cavendish (Deceuninck – Quick Step) abknabbern.
100 Kilometer vor dem Ziel schlossen sich dann zwei Ausreißergruppen zusammen, neben Alaphilippe fand sich in dieser Gruppe unter anderem auch Van Aert und der Hürther Nils Politt (Bora - hansgrohe). Die insgesamt 16 Fahrer starke Gruppe erarbeitete sich einen Vorsprung von knapp fünf Minuten auf das kleiner gewordene Feld. Als es das erste Mal über den Ventoux ging, verkleinerte sich die Spitze nach einer Attacke Alaphilippe, der sich auch diese Bergwertung sicherte, auf sieben Fahrer.
Nach der Highspeed-Abfahrt und der ersten Fahrt durch den Zielort ging es von Bedoin aus über die klassische Route hinauf auf den kahlen Giganten der Provence. 37 Kilometer vor dem Ziel attackierte dann Elissonde als erster Fahrer der Spitzengruppe. Ihm folgte Van Aert, während Alaphilippes Kräfte aufgebraucht waren.
Zehn Kilometer vor dem Gipfel lässt Van Aert alle stehen
Wenig später zog Van Aert davon und fuhr die letzten zehn Kilometer im Alleingang hinauf zum Gipfel. Dahinter schlossen sich die Teamkollegen Elissonde und Mollema zu einem Verfolgerduo zusammen. Im Feld hatte derweil das Team von Ineos Grenadiers kräftig ausgesiebt. Schon in der ersten Auffahrt erwischte es den Gesamtzehnten David Gaudu (Groupama – FDJ), der dem hohen Tempo nicht folgen konnte. Als es das zweite Mal den Ventoux hochging, mussten sich zuerst die bergfesten Helfer der Konkurrenzteams verabschieden, ehe es Kapitän um Kapitän erwischte.
Als der letzte verbliebene Helfer von Carapaz, der frühere Weltmeister Michael Kwiatkowski , ausscherte, waren nur noch Pogacar, Uran und Vingegaard am Hinterrad des Ecuadorianers. Schon vorher hatte es den Australier O’Connor erwischt. Der Tour-Debütant, zuletzt Tagessieger in Tignes, verlor bis zum Ziel über vier Minuten auf die Gruppe des Gelben Trikots und fiel vom zweiten auf den fünften Rang der Gesamtwertung zurück.
Auf den letzten Kilometern attackierte dann überraschend Vingegaard. Der Däne schüttelte zuerst Uran und Carapaz ab, dann konnte auch Pogacar ihm nicht mehr folgen. Erstmals wirkte der so souveräne Leader angeschlagen. Doch Pogacar spannte dann in der Abfahrt mit den beiden Südamerikanern zusammen und holte so den jungen Dänen wieder ein, der am Ventoux fast 40 Sekunden auf das Trio rausgefahren hatte.
Die Freude bei Jumbo – Visma konnte dies aber nicht trüben, denn Van Aert fuhr ungefährdet zum vierten Tour-Etappensieg seiner Karriere und zum ersten seiner Mannschaft in diesem Jahr.
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