RSNplusD-Tour-Ausbau, Bürokratie, Frauenrennen

Pietsch: “Priorität muss sein, uns zu konsolidieren“

Von Felix Mattis

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Matthias Pietsch ist der Projektleiter der Deutschland Tour und des Eintagesklassikers Eschborn-Frankfurt. | Foto: Gesellschaft zur Förderung des Radsports

13.04.2022  |  (rsn) - Die Deutschland Tour wird in diesem Jahr einen Tag länger sein als bisher. Mit dem Prolog in Weimar wird das einzige deutsche Profi-Etappenrennen der Männer zum ersten Mal seit seiner Rückkehr in den Rennkalender 2018 einen für die Öffentlichkeit auf den ersten Blick sichtbaren Wachstumsschritt vollziehen.

Klar: Die das Rennen und auch den Frühjahrsklassiker Eschborn-Frankfurt organisierende Gesellschaft zur Förderung des Radsports (GFR) ist hinter den Kulissen bereits in den vergangenen Jahren gewachsen, hat sich immer besser aufgestellt und das Rennen stieg in Sachen UCI-Kategorie auf. Doch das ist nach außen schließlich kaum sichtbar - der Schritt von vier zu fünf Renntagen nun hingegen schon. Ein guter Anlass, um mit GFR-Projektleiter Matthias Pietsch über weitere mögliche Wachstumsschritte und Veränderungen sowie Herausforderungen zu sprechen – und auch über Gleichberechtigung.

Herr Pietsch, ist der Prolog in diesem Jahr der Anfang von weiteren Ausbauschritten der Deutschland Tour?
Matthias Pietsch: Auch die vier Tage waren für uns wunderbar und wir haben unseren Platz im Kalender gefunden. Der Prolog ist jetzt eine tolle Möglichkeit, den Sportlern noch mehr Wettkampf zu bieten, aber man muss ehrlicherweise auch sagen: Jeder Tag mehr kostet mehr Geld und wir brauchen mehr Unterstützung. Deshalb machen wir jetzt erstmal das.

Aber das Ziel bleibt ein weiterer Ausbau?
Pietsch: Sicher bleibt ein Rennen von Wochenende zu Wochenende der Traum. Aber vorerst ist das nur ein Traum. Es gibt noch keine konkreten Überlegungen dazu. Wir sind so, wie wir es jetzt haben, sehr zufrieden.

Wie viel Mehraufwand würde eine 5. Etappe bedeuten?
Pietsch: Eine volle Etappe ist teurer als ein Prolog. Es kommen mehr administrative Dinge hinzu, um die Strecke genehmigen zu lassen. Dann entstehen pro Etappe zwischen 100.000 und 150.000 Euro allein an Streckensperrkosten. Dafür bräuchten wir, ehrlicherweise, noch den einen oder anderen Partner mehr. Aktuell sind wir ganz gut aufgestellt, aber auch nicht übervermarktet.

Der Streckenplan der Deutschland Tour 2022. | Foto: Gesellschaft zur Förderung des Radsports (GFR) / ASO

Das heißt das Modell mit Prolog und vier Etappen ist auch für die kommenden Jahre die Idee?
Pietsch: Aktuell sollte man davon ausgehen. Es ist ja auch für die Start-Stadt ein schönes Konzept, weil das Rennen dort eben nicht nur wegrollt, sondern auch schon richtig Wettkampf stattfindet. Die Idee kam auch ein wenig durch den Start 2019 in Hannover, wo am Vorabend ja das Kriterium gefahren wurde. Das kurze Zeitfahren bietet sich für solch ein Innenstadt-Event an, sportlich ist es, finde ich, auch ein Tüpfelchen auf dem i und medial ist es gut darzustellen sowie relativ leicht fürs Fernsehen zu produzieren.

Die TV-Übertragung spielt dabei eine wichtige Rolle?
Pietsch: Wie bei allem ist das immer Teil der Abwägung, ja. Und dazu muss man ja erklären: Die ganze TV-Produktion machen fast vollumfänglich ja wir als Veranstalter. Die Sender übernehmen dann das Bild.

In Weimar, Meiningen, Marburg, Freiburg, auf dem Schauinsland, in Schiltach und Stuttgart macht die Deutschland Tour 2022 Station – Marburg und Stuttgart sind "Wiederholungstäter". Wie groß ist der Andrang möglicher Etappenorte inzwischen – muss die GFR mühselig suchen?
Pietsch: Wir kriegen schon auch Anfragen – gerade auch von Städten, die schon mal Etappenort waren und dadurch das Potential erkannt haben. Aber es ist nicht so, dass jeden Tag das Telefon klingelt. Wir sind bekannt und können etwas vorzeigen, wenn wir uns vorstellen. Aber ich würde mir wünschen, dass wir natürlich noch etwas präsenter wären.

Bei der Tour de France zahlen Etappenorte teilweise horrende Summen, damit die Tour zu ihnen kommt. Wie ist das bei der Deutschland Tour?
Pietsch: Die Städte sind Partner. Es gibt Verträge über Leistungen, die wir bieten, und natürlich auch über die entsprechenden Gegenleistungen.

Die Deutschland Tour endet 2022 wie schon 2018 in Stuttgart - die Landeshauptstadt Baden-Württembergs steht Radrennen offensichtlich sehr offen gegenüber, wie auch die Austragung der DM 2021 zeigte. | Foto: Cor Vos

Die Start- und Zielorte der Etappen bilden die Eckpfeiler der Deutschland Tour. Inzwischen ist auch die Streckenführung dazwischen bekannt, die jedes Jahr Fabian Wegmann und Albrecht Röder ausarbeiten. Wie kompliziert ist die Streckenfindung?
Pietsch: Wenn die Start- und Zielorte sowie eine Grundidee stehen, wie dazwischen gefahren werden könnte, fängt für die Beiden die Arbeit richtig an: Dann finden diverse Informationstermine statt. 2018 hatten wir die Strecke ungefähr mit 60 Behörden abzuklären – ein langer Prozess. Erst wenn da alles klar ist, stellen wir den offiziellen Genehmigungsantrag. Als Außenstehender kann man sich kaum vorstellen, was das mit dem föderalen System in Deutschland bedeutet.

Inwiefern?
Pietsch: Zum Beispiel gibt es auf dem Schauinsland einen Parkplatz, den wir benutzen, der jeweils zur Hälfte zu zwei Landkreisen gehört – und schon muss man beide an den Tisch holen. Solche Dinge machen natürlich alles aufwändiger und die Komplexität dieser Thematik ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum kleinere Veranstalter und Vereine Probleme haben, Rennen zu veranstalten. Diesen bürokratischen Aufwand kannst Du nicht mehr stemmen, wenn Du es nicht hauptberuflich machst.

Die Deutschland Tour ist ein reines Männerrennen – wieso gibt es kein Frauenrennen?
Pietsch: Das ist für uns als deutsche Veranstalter und auch für die französischen Kollegen bei der ASO natürlich ein Thema - ehrlicherweise schon seit Jahren. Aber es muss halt alles zusammenpassen. Aktuell haben wir als Team mit unseren beiden Veranstaltungen (Deutschland Tour und Eschborn-Frankfurt, (d. Red.) das ganze Jahr zu tun. Wir müssen erstmal daran arbeiten, diese beiden Veranstaltungen so aufzustellen, dass sie für die nächsten zehn, 15 Jahre konsolidiert sind. Für ein Frauenrennen bräuchten wir zusätzliches Personal und Unterstützung durch Sponsoren – und das ist der Hauptpunkt: Wenn ein Partner aus der Wirtschaft kommt und sagt, er findet das interessant und hat das Budget, dann können wir das gerne machen.

Fehlt da auch ein deutliches Signal der Etappenorte, dass sie ein Frauenrennen wollen?
Pietsch: Daran liegt es weniger. Es braucht einfach ein Unternehmen, das Interesse daran hat. Und gerade bei Radrennen kommt da ein schwerwiegender Punkt dazu: Um für Sponsoren interessant zu sein, brauchst Du die TV-Übertragung. Und das gilt dann natürlich auch speziell für ein Frauenrennen: Es braucht auch da, genau wie damals für das Männerrennen, ein vom Fernsehen ausgehendes, positives Signal.

Inwiefern ist es schwieriger, ein Frauen-Eliterennen auszutragen als das Juniorinnen-Rennen namens "Newcomer Tour" im Rahmen der vorletzten Etappe?
Pietsch: Das Juniorinnen-Rennen ist regional begrenzt, wie etwa 2019 auf einem Rundkurs in Eisenach. Es ist eine tolle Möglichkeit, hauptsächlich an einem Samstag, in das Programm am Zielort noch etwas einzubauen. Aber wenn man über ein Eliterennen nachdenkt, das dem aktuellen Frauenradsport auch würdig ist, muss man eine Schippe drauflegen und das größer machen.

Das größte Frauen-Eliterennen in Deutschland ist derzeit die Lotto Thüringen Ladies Tour, die Ende Mai ausgetragen wird. | Foto: Cor Vos

Bei Eschborn-Frankfurt gibt es neben dem Profirennen der Männer und den auf dem Innenstadt-Rundkurs fahrenden Nachwuchsklassen sowie dem großen Jedermann-Event traditionell auch das U23-Männerrennen, das ebenfalls in den Taunus hinausfährt – dieses Jahr leider nicht, aber es soll 2023 wiederkommen, heißt es. Niemand will die U23 absägen, aber wäre es im Sinne der Gleichberechtigung nicht korrekt zu sagen: Bevor wir den Männern noch ein zweites Rennen bieten, sollten wir erstmal den Frauen überhaupt eines bieten – zumal das U23-Rennen ja auch nicht durch Live-TV getragen wird?
Pietsch: Das ist sicher ein Gedanke, den wir auch haben. In Frankfurt ist generell das Thema, dass der Tag so vollgepackt ist, dass man sich entscheiden müsste und einen Part wegnimmt, um etwas anderes hinzuzufügen. Das ist natürlich ein Abwägen. Und ehrlicherweise hat es mich dieses Jahr besonders betroffen gemacht, dass wir das U23-Rennen nicht haben werden, weil ich gesehen habe, wer dort alles gestartet wäre und wie wenig U23-Rennen es sonst gibt. Wir mussten das im Januar entscheiden, weil wir Platz im Ablaufplan schaffen mussten, um möglichen Restriktionen aus dem Weg zu gehen. Das war super bitter. Aber natürlich ist es richtig, dass es auch überlegenswert ist, den Tag mehr in Richtung Gleichberechtigung zu lenken, ja.

Es gibt in Deutschland eine traditionsreiche große Frauen-Rundfahrt: Die Lotto Thüringen Ladies Tour. Gibt es Kontakt mit der dortigen Chefin Vera Hohlfeld, um gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen und eventuell dort vermarktungstechnisch zu helfen?
Pietsch: Wir tauschen uns natürlich mit Vera aus – ist ja klar: Wir kennen uns alle und machen auch hin und wieder etwas zusammen. Aber, wenn man über Vermarktung spricht, ein Beispiel: Unser Rotes Führungstrikot hat noch keinen Partner. Ehrlicherweise fehlt es uns an dieser Ecke eigentlich selbst! Unsere Priorität muss sein, dass unsere beiden Rennen gut vermarktet sind. Wir sind eine Randsportart und müssen zeigen, was wir können – auch wenn das sehr viel ist! Wir können Partnern ganz individuell Möglichkeiten bieten, präsent zu sein. Aber ausgerechnet beim Roten Trikot haben wir das noch nicht geschafft. Wir sind also definitiv nicht übervermarktet!

Nils Politt (Bora - hansgrohe, Mitte) gewann 2021 die Deutschland Tour. Das Rote Trikot des Gesamtsiegers ist derzeit aber noch ohne Titelsponsor. | Foto: Cor Vos

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