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17.05.2022 | (rsn) - Auf den letzten 300 Metern der 10. Etappe des Giro d’Italia etablierte sich Biniam Girmay (Intermarché – Wanty – Gobert) endgültig als neuer Stern am Radsporthimmel. Nach 196 Kilometern rang der Eritreer in einem furiosen Sprint den Niederländer Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix) nieder und gewann als erster Fahrer seines Landes eine Grand-Tour-Etappe.
Das Podium wurde vom Italiener Vincenzo Albanese (Eolo-Kometa) komplettiert. Der Schweizer Mauro Schmid (Quick-Step Alpha Vinyl) sprintete auf den zehnten Rang. Die Gesamtwertung wird unverändert von Juan Pedro Lopez (Trek – Segafredo) angeführt.
Der 22-jährige Girmay war im Spurt des auf knapp 30 Fahrer geschrumpften Feldes früh angetreten. Van der Poel war in seinem Windschatten und konnte gleichziehen. Doch mit einem zweiten Antritt machte Girmay dem Niederländer den Garaus. Van der Poel zollte auf der Ziellinie der unglaublichen Leistung seines Gegners Respekt, in dem er den Daumen in die Höhe reckte. Diese Geste kommentierte passend, mit welcher Verve Girmay diese Etappe für sich entschied.
"Wir alle wissen, dass er ein super guter Fahrer ist. Heute ist er wieder einen starken Sprint gefahren, weil er von sehr weit weg gestartet ist und es durchgezogen hat. Für einen Moment dachte ich, dass ich noch an ihm vorbekomme, aber er beschleunigte weiter und ich war doch ziemlich fertig", sagte van der Poel später anerkennend.
Girmay in Reichweite des Maglia Ciclamino
“Es ist unglaublich. Das Team hat super gearbeitet. Den ganzen Tag hatten wir die Kontrolle, ich habe keine Worte dafür, was es geleistet hat“, bedankte sich Girmay bei seiner Mannschaft, die nach dem letzten Anstieg die Spitzengruppe zusammenhalten konnte. “Jeder hat mitgearbeitet, auch die Klassementfahrer. Auf den den letzten 600 Metern hat (Domenico) Pozzovivo mir gesagt, ‘komm und folge mir‘. Das war der Wahnsinn“, fasste der strahlende Sieger das Finale zusammen.
“Wir sind hierhergekommen, wollten gute Resultate einfahren und wussten, dass wir die Möglichkeit für einen Sieg haben“, meinte Girmay abschließend. Nach mehreren vergeblichen Versuchen scheint für den U23-Vizeweltmeister der Bann endgültig gebrochen. Und die Überlegenheit seines heutigen Auftritts lässt darauf schließen, dass er seinem ersten Grand-Tour Erfolg schon sehr bald weitere folgen lassen könnte. In der Sprintwertung konnte Girmay zudem bis auf drei Punkte zum Führenden Arnaud Démare (Groupama – FDJ) aufschließen.
Schrecksekunde für Carapaz
An der Spitze der Gesamtwertung gab es zwar keine Veränderungen, der Tag war für die Favoriten jedoch alles andere als einfach. “Für die Zuschauer war das sicher ein tolles Finale, für uns Fahrer ein schwieriges. Dario Cataldo hat mir gesagt, ich muss bis zum Schluss aufmerksam bleiben. Das Team hat mir sehr geholfen. Als (Richard) Carapaz angetreten ist, dachte ich, ich würde das Trikot verlieren. Aber die Lücke konnte nochmals geschlossen werden", meinte Lopez, der weiterhin zwölf Sekunden Vorsprung auf Joao Almeida (UAE – Emirates) und 15 Sekunden auf Romain Bardet (DSM) hat.
Olympiasieger Carapaz musste eine Schrecksekunde überstehen, als er in einer Abfahrt stürzte. Seine Angriffslustigkeit im Finale lässt aber darauf schließen, dass der Sturz keine schlimmeren Blessuren zur Folge hatte. Das Bergtrikot bleibt weiterhin auf den Schultern von Diego Rosa (Eolo – Kometa). Lopez steht auch an der Spitze der Nachwuchswertung an. In der Teamwertung führt weiterhin Bora – hansgrohe.
So lief das Rennen:
166 Profis starteten nach dem Ruhetag in die zweite Giro-Woche, die mit einer welligen Etappe begann. Bei strahlendem Sonnenschein ließ das Feld nach rund 15 Kilometern bei hohem Tempo die Italiener Alessandro De Marchi (Israel – Premier Tech) und Mattia Bais (Drone Hopper – Androni Giocattoli) sowie den Belgier Lawrence Naesen (AG2R Citroën) ziehen. Auf der brettebenen Strecke die Adriaküste hinauf fuhren sich die drei Ausreißer mit Rückenwind einen Maximalvorsprung von etwas mehr als sechs Minuten heraus.
Im Feld überließ Trek – Segafredo den Sprintermannschaften wie Alpecin – Fenix, Lotto Soudal oder Intermarché die Führungsarbeit, wobei sich Thomas De Gendt (Lotto Soudal), der Etappensieger von Neapel, in den Dienst seiner Mannschaft stellte. Beim ersten Zwischensprint, der 97 Kilometer vor dem Ziel in Civitanova Marche anstand und von wo aus es ins Landesinnere ging, sicherte sich Bais kampflos die Maximalpunktzahl, 4:30 Minuten später holte sich Giacomo Nizzolo (Premier Tech) noch fünf Zähler vor Démare (4) und Girmay (3).
Gleich darauf wurde am Crocette di Montecosaro (4. Kat.), der ersten von drei Bergwertungen des Tages, die hügelige zweite Rennhälfte eingeläutet. Am Fuß des rund fünf Kilometer langen Anstiegs attackierte Christopher Juul-Jensen (BikeExchange - Jayco) aus dem Feld heraus, kurz darauf gewann De Marchi an der Spitze den Bergpreis, ehe auch Juul-Jensen wieder eingefangen wurde.
Alpecin und Intermarché hängen Ewan ab
Im Feld hatte sich mittlerweile Lotto Soudal aus der Verfolgung ausgeklinkt, weil Kapitän Caleb Ewan große Mühe hatte, dem von van der Poels und Girmays Helfern angeschlagenen Tempo zu folgen. Im bis zu 18-Prozent steilen Recanati-Anstieg wurde der Australier dann aber abgehängt, zwischenzeitliche Probleme hatten auch Mark Cavendish (Quick-Step Alpha Vinyl) sowie nach einem Sturz auch Olympiasieger Richard Carapaz (Ineos Grenadiers).
De Marchi gewann auch den zweiten Bergpreis, 55 Kilometer vor dem Ziel musste van der Poel das Rad wechseln, weil sich ein Gegenstand in der Kette verfangen hatte. Zusätzliche Zeit büßte der Alpecin-Kapitän ein, als er sich auf der Ersatzmaschine noch verschaltete. Nach einer kurzen Aufholjagd schaffte van der Poel allerdings wieder den Anschluss ans Feld, das 50 Kilometer vor dem Ziel nur noch etwas mehr als zwei Minuten Rückstand auf die Ausreißer hatte.
Am Bonussprint in Filottrano, wo 2017 Michele Scarponi bei der Rückkehr von einer Trainingsfahrt von einem unaufmerksamen Autofahrer umgefahren und tödlich verletzt worden war, holte sich Bais drei Sekunden Zeitgutschrift. Auf den letzten 32 Kilometern ließ De Marchi seine Begleiter stehen, zeitgleich versuchte es Juul-Jensen aus dem Feld heraus ein weiteres Mal und erhielt Begleitung von Dries De Bondt (Alpecin – Fenix) und Lorenzo Rota (Intermarché – Wanty – Gobert), die sich für ihre Kapitäne an den Dänen klemmten und dessen zweite Attacke neutralisierten.
Girmay versteuert sich zuerst und hat dann alles im Griff
25 Kilometer vor dem Ziel waren Bais und Naesen wieder im Feld verschwunden, vier Kilometer später war an der vorletzten Steigung des Tages zwei Tage vor seinem 36. Geburtstag auch der zweimalige Giro-Etappengewinner De Marchi gestellt. In der Anfahrt zum letzten Hügel des Tages schraubte Alpecin – Fenix an der Spitze das Tempo hoch und zog so das Feld in die Länge, wobei auch einige kleine Lücken entstanden. Vor dem Anstieg nach Monsano kamen aber auch die Teams der Klassementfahrer nach vorn, ehe dann wieder Alpecin das Kommando übernahm und eine Attacke des Norwegers Tobias Foss (Jumbo – Visma) vereitelte.
Als letzter van-der-Poel Helfer scherte der Stuttgarter Alexander Krieger aus, woraufhin Ineos Grenadiers durch Pavel Sivakov die Spitze übernahm. Neun Kilometer vor dem Ziel sprengte Alessandro Covi (UAE Team Emirates) mit seinem Antritt das Feld, aus dem heraus Domenico Pozzovivo (Intermarché – Wanty – Gobert) die Bergwertung gewann. In der Abfahrt vereitelte Teamkollege Jan Hirt eine Attacke von Vincenzo Nibali (Astana – Qazaqstan).
Am Ende der Abfahrt versteuerte sich Girmay, kam dank seiner Teamkollegen aber gemeinsam mit weiteren Fahrern wieder zur vierköpfigen Gruppe um van der Poel und Simon Yates (BikeExchange – Jayco) heran, die sich hatte lösen können. Kurz bevor die Verfolger wieder den Zusammenschluss herstellen konnten, trat der Auftaktsieger 4,5 Kilometer vor dem Ziel an, ehe die Verfolger kurz darauf auch van der Poel wieder einfingen. Gleiches widerfuhr Hugh Carthy (EF Education – EasyPost), dessen Versuch 1,5 Kilometer vor dem Ziel scheiterte.
Auf dem ansteigenden Schlusskilometer war es wieder Pozzovivo der für seinen Kapitän Girmay das Geschehen kontrollierte, bis der seinen Spurt früh mit van der Poel am Hinterrad lancierte. Der Sieger von Visegrad jagte aus dem Windschatten seines Gegners, doch so, wie Girmay zum Auftakt sich mit Rang zwei begnügen musste, gelang es van der Poel in Jesi nicht mehr, auf den letzten Metern an dem Gent-Wevelgem-Sieger vorbeizuziehen und hob schließlich kurz vor der Ziellinie anerkennend den Daumen und erkannte Girmays Überlegenheit an diesem Tag an.
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