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18.05.2022 | (rsn) – Ein Bergfest war die 11. Etappe des Giro d'Italia am Mittwoch wahrlich nicht – und doch wurde gefeiert auf dem topfebenen Parcours durch die Emilia Romagna. Denn nach 93 Kilometern des elften Teilstücks, irgendwo auf gerader Strecke bei Ozzano dell'Emilia, hatte das Peloton die halbe Distanz der 105. Italien-Rundfahrt abgespult.
1.772,8 Rennkilometer lagen da hinter und 1.772,8 Rennkilometer noch vor den 165 verbleibenden Radprofis. Zeit, am Ende dieses Tages eine kurze Halbzeitbilanz zu ziehen – und zwar aus mehreren Blickwinkeln.
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Die deutsche Brille:
Lennard Kämna bei seinem Etappensieg am Ätna | Foto: Cor Vos
Nach Kämna gewann außerdem Jai Hindley für das deutsche Team Bora – hansgrohe auch die zweite Bergankunft am Blockhaus und auch Emanuel Buchmann steht nach elf von 21 Renntagen in der Gesamtwertung auf dem neunten Rang gut da. Die Etappen, die ihm so richtig liegen im Hochgebirge, kommen erst noch und ohne seinem Sturz im Zeitfahren von Budapest wäre der Ravensburger sogar noch näher dran am Rosa Trikot.
Kurz: Aus deutscher Perspektive war der Giro bisher ein voller Erfolg und dürfte es auch in der zweiten Hälfte weiterhin bleiben.
Einzige Wermutstropfen bislang: Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) fuhr in den Sprints zwar drei Top-Ten-Ergebnisse ein, war von einem Sieg bislang aber weit weg. Und auch der deutsche Sprintzug beim Team Lotto Soudal hatte in der ersten Giro-Hälfte mit Vollstrecker Caleb Ewan kein Glück.
Das Gesamtklassement:
Zwei Bergankünfte, eine schwere Mittelgebirgsetappe und ein interessantes Zeitfahren in Budapest mit Schlussrampe liegen hinter uns und wenn ein Fahrer bei diesem Giro der Konkurrenz überlegen wäre, würde er wohl bereits deutlich an der Spitze liegen.
Das starke Klettertrio bestehend aus Carapaz, Bardet und Landa | Foto: Cor Vos
Doch stattdessen liegen zur Halbzeit noch zwölf Mann innerhalb von 1:27 Minuten. Unter den Top-Favoriten reichte am Mittwoch sogar der Gewinn von drei Bonussekunden am Zwischensprint durch Richard Carapaz (Ineos Grenadiers), um sich vom vierten auf den zweiten Gesamtrang vorzuschieben. Enger kann es kaum zugehen.
Die bislang schwerste Bergankunft am Blockhaus suggerierte, dass Carapaz, Romain Bardet (DSM) und Mikel Landa (Bahrain Victorious) am Berg die Stärksten sein dürften. Doch das kann sich in den Alpen noch ganz anders darstellen. Bislang ist der Giro völlig offen und der Kampf um Rosa extrem spannend – und es gibt keinen Grund, zu glauben, dass das am Ende der zweiten Woche nicht immer noch so sein sollte. Einen wirklichen Gewinner der ersten Giro-Woche gibt es definitiv nicht – nur einige Verlierer, doch dazu unten mehr.
Die Sprints:
Unter den schnellen Männern hat sich bislang keiner als überlegen herauskristallisiert. Klar: Arnaud Démare (Groupama – FDJ) gewann in Messina und Scalea zwei Etappen und führt aufgrund des Ausfalls von Biniam Girmay (Intermarché – Wanty – Gobert) die Punktewertung sehr deutlich an. Doch der Franzose musste sich Mark Cavendish (Quick-Step – Alpha Vinyl) sowie Alberto Dainese (Team DSM) geschlagen geben.
Der bislang einzige Mehrfachetappensieger beim diesjährigen Giro: Arnaud Demare | Foto: Cor Vos
Vier echte Massensprints endeten mit drei unterschiedlichen Siegern, und mit Fernando Gaviria (UAE Team Emirates) sowie Ewan sind auch zwei andere schnelle Männer dicht dran gewesen am Erfolg. Die Frage ist, wie viele Chancen sie dafür noch bekommen: Am Donnerstag und Freitag in Genua und Cuneo könnten die Sprinter nochmal an der Reihe sein, beide Etappen haben aber auch Ausreißer-Potential. Und in der Schlusswoche gibt es nur noch in Treviso auf der 18. Etappe die Chance auf eine Sprintankunft.
Die Ãœberraschungen:
Dass Alberto Dainese (Team DSM) den Massensprint gegen Démare, Cavendish, Ewan, Gaviria und Co. gewinnt, war am Mittwoch wohl die größte Überraschung der bisherigen Italien-Rundfahrt – aber längst nicht die einzige. Denn ein Mann, mit dem an seiner derzeitigen Position vor dem Giro wohl überhaupt niemand gerechnet hätte, ist der Spanier Juan Pedro López (Trek – Segafredo). Der Fahrer mit dem Spanischsten aller Namen übernahm auf der 4. Etappe am Ätna das Rosa Trikot von Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix) und hat es seither nicht mehr abgegeben.
Zur Rennhalbzeit führt der 24-Jährige immer noch mit zwölf Sekunden Vorsprung vor Carapaz. Dass Lopez den Giro aber gewinnt, daran glaubt wohl kaum jemand. Am Blockhaus verlor der Spanier 1:46 Minuten auf die besten Kletterer und es ist damit zu rechnen, dass seine Zeit im Führungstrikot spätestens am Sonntag bei der neuen Bergankunft in Cogne endet. Dennoch: Lopez war eine erfrischende Überraschung an der Spitze der ersten Rundfahrt des Jahres und bisher wohl die Entdeckung des Giro. Seine starke Platzierung aus der Vuelta im Vorjahr, wo er Platz 13 in der Endabrechnung des Klassements belegte, wird er wohl hier bestätigen und möglicherweise sogar unterbieten können.
Die Verlierer und Pechvögel:
Der Kampf um den Gesamtsieg ist offen und auch unter den Sprintern sticht bislang keiner heraus beim Giro – und das könnte auch daran liegen, dass zwei potentielle Dominatoren zu den Pechvögeln der bisherigen Italien-Rundfahrt geworden sind: Simon Yates (BikeExchange – Jayco) und Ewan. Beide stürzten früh und leiden noch immer darunter.
Simon Yates und eine weitere Leidensgeschichte bei einer Grand Tour
Ewans Sturz aus dem Bergauf-Zielsprint der 1. Etappe behinderte den Australier tagelang und am Dienstag wäre er auf der 10. Etappe sogar um ein Haar aus dem Zeitlimit gefallen. Ein achter, ein zweiter und ein fünfter Platz stehen für ihn bislang zu Buche. Das ist nicht schlecht, aber auch bei weitem nicht das, was sich der 27-Jährige vorgestellt hatte.
Ganz ähnlich sieht es bei Yates aus. Der Brite beeindruckte in Budapest mit einem bärenstarken Zeitfahren und galt nach seinem etwas überraschenden Etappensieg dort als absoluter Top-Favorit auf den Giro-Sieg.
Doch es wäre nicht Yates, wenn dann nicht doch wieder etwas dazwischen gekommen wäre: In der Anfangsphase der 4. Etappe zum Ätna stürzte der 29-Jährige, und auch wenn er es dort auf Sizilien noch mit den Favoriten ins Ziel schaffte, so übermannten ihn seine Knieschmerzen am Blockhaus: Yates verlor dort elf Minuten und nach 2018 sowie 2019 einmal mehr all seine Gesamtsiegs-Chancen.
Zu den Verlierern des Giro gehören außerdem Miguel Angel Lopez (Astana Qazaqstan), der bereits früh auf der 4. Etappe mit Oberschenkelproblemen ausstieg, sowie die beiden Niederländer Tom Dumoulin (Jumbo – Visma) und Wilco Kelderman (Bora – hansgrohe).
Letzterer kam sehr gut in die Rundfahrt und sah wie der Stärkste unter den drei Bora-Kapitänen aus, wurde auf dem Weg zum Blockhaus dann aber durch einen Defekt gestoppt, ließ in der Aufholjagd viel Kraft liegen und konnte dann am Berg nicht mehr mithalten. Und Ersterer musste am Ätna auf der 4. Etappe einsehen, dass er im Jahr 2022 nicht mehr zu den besten Bergfahrern und Grand Tour-Favoriten gehört.
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