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30.08.2022 | (rsn) - Mit Michel Heßmann ist bei der am Sonntag zu Ende gegangenen Tour de l`Avenir erstmals seit 2009 wieder ein Deutscher auf dem Podium gelandet. Radsport-news.com sprach mit dem 21-jährigen Profi von Jumbo-Visma über dessen dritten Gesamtrang bei der wichtigsten U23-Rundfahrt des Radsportkalenders.
Glückwunsch zum dritten Platz und zu zwei Tagen in Gelb bei der Tour de l`Avenir. Haben Sie mit einem solch guten Abschneiden gerechnet?
Heßmann: Im Höhentrainingslager mit dem Team habe ich noch spaßeshalber gesagt, dass ich bei der Tour de l`Avenir auf Gesamtwertung fahre und noch zum Bergfahrer werde. Da haben alle gelacht. Aber im Ernst: Der Plan war, auf den flacheren Etappen etwas zu probieren und späte Attacken zu setzen, um so zum Erfolg zu kommen.
___STEADY_PAYWALL___So begann die Tour de l`Avenir ja auch. Sie fuhren offensiv, wurden auf der 4. Etappe Dritter und am Tag darauf übernahmen Sie mit dem Sieg im Mannschaftszeitfahren das Gelbe Trikot. Wann haben Sie daran geglaubt, im Gesamtklassement ganz vorne zu landen?
Heßmann: Eigentlich jeden Tag ein bisschen mehr. Ich habe schon auf den ersten hügeligen Etappen gemerkt, dass meine Beine sehr gut sind. Auf der 3. Etappe war ich im Finale schon in einer Ausreißergruppe, die fünf Kilometer vor dem Ziel gestellt wurde. Am Tag darauf beim Sieg von Thomas Gloag bin ich schon weggefahren und im Mannschaftszeitfahren noch einen Tag später lief es dann richtig super. Und auf der hügeligen 6. Etappe merkte ich, dass auch berghoch vielleicht was möglich ist. Ich drehte mich zwischenzeitlich um, da waren wir nur noch 20 Mann.
Auf der 7. Etappe stand die erste Bergankunft an. In Saint Francois Longchamp musste ein Berg der Ehrenkategorie bezwungen werden, eigentlich nicht Ihr Terrain. Sie wurden aberTagesdritter und blieben an der Spitze der Gesamtwertung. Hat das Gelbe Trikot Ihnen Flügel verliehen?
Heßmann: Ich kann jetzt definitiv bestätigen, dass das Gelbe Trikot einem Flügel verleiht. Ohne das Trikot lässt man vielleicht reißen, wenn sich die Kräfte dem Ende entgegen neigen. In Gelb zieht man bis zu Ende durch, egal, wie weit man schon zurückliegt.
In Saint Francois Longchamp hatten Sie zunächst Gelb an Etappensieger Cian Uijtdebroeks verloren, der dann aber eine Zeitstrafe wegen zu später Verpflegung erhielt. So blieben Sie dann doch noch vorn. Wie haben Sie das erlebt?
Heßmann: Ich wusste an diesem Tag relativ schnell, dass ich Gelb loswar. Ich war im Ziel aber dennoch euphorisch wegen meiner Leistung. Ich fuhr immerhin mit den allerbesten Kletterern mit und hatte die Erwartungen bei Weitem übertroffen. Dann kamen aber die Betreuer und sagten mir, dass ich noch warten solle, da es wohl eine Zeitstrafe gegen Uijtdebroeks geben würde. Als dann klar war, dass ich Gelb behalten würde, war ich überglücklich. Es ist natürlich nicht die Art und Weise, wie man Gelb verteidigen will. Aber die Regeln sind nun mal so wie sie sind.
Auf der vorletzten Etappe ging es über den Col de la Madeleine und schließlich hinauf zur Bergankunft in La Touissure. Sie hatten noch elf Sekunden Vorsprung auf Uitjdebroeks. Hatten Sie trotz dessen Sieg am Vortag noch Hoffnung, Gelb zu verteidigen?
Heßmann: Insgeheim hofft man ja immer, dass man es irgendwie schafft. Aber es standen eben auch zwei lange Anstiege an, so dass es am Ende nicht überraschend war, dass ich Gelb abgeben musste. Das Tagesergebnis (Heßmann wurde Siebter., d. Red) war dennoch gut, ich war wieder unter den besten Bergfahrern. Ich muss aber auch gestehen: Ich war schon auch kurz enttäuscht, Gelb verloren zu haben.
Wie sind Sie in die Schlussetappe gegangen? Sie lagen auf Rang drei, hofften Sie noch, Gelb zurückzuholen oder ging es nur darum, den Podiumsplatz zu verteidigen?
Heßmann: Ich habe gehofft, dass die Beine noch so gut sind wie an den Tagen zuvor. Ich war ja im Gegensatz zu meinen Podiumskontrahenten schon die ganze Rundfahrt offensiv gefahren und habe nie Körner gespart. Ich habe gehofft, dass ich gut über den L`Iseran zur Rennhälfte komme. Ich kannte aber auch die nachfolgende Abfahrt und wusste, dass ich da, selbst wenn ich ich berghoch zurückfalle, wieder aufschließen kann. Das hat mich schon mal beruhigt. Ich wollte am L`Iseran noch nicht in den roten Bereich und habe dann auch kurz vor der Kuppe eine Lücke aufgehen lassen, die ich dann auf der Abfahrt wieder schließen konnte. Im letzten Anstieg wollte ich dann vor allem Platz drei verteidigen, aber auch für Konterattacken bereit sein.
Sie haben letztlich Rang drei ins Ziel gebracht, auch dank einer starken Teamleistung...
Heßmann: Ja, das Team war unglaublich. Vor allem Felix Engelhardt ist auf einem beeindruckenden Niveau gewesen. Er war am letzten Tag auch am L`Iseran an meiner Seite. Er und Hannes Wilksch haben an solchen längeren Anstiegen mehr Erfahrung. Dass Felix da an meiner Seite war, das war Gold wert. Er war auch ein absoluter Ruhepol, hat dafür gesorgt, dass ich ruhig bleibe. Das hat mir sehr geholfen.
Das Team war am Schlusstag nach dem Aus von Georg Steinhauser und Luis-Joe Lührs arg dezimiert, dazu fuhr Hannes Wilksch in der Ausreißergruppe. Hatten Sie nicht Sorge, dass das zu riskant sein würde, nur Engelhardt an Ihrer Seite zu haben?
Heßmann: Den Anstieg zum L`Iseran wären wir auch in voller Mannschaftsstärke nicht anders hochgefahren. Hannes hat seine Freiheiten bekommen und sollte um den Etappensieg mitfahren. Wir haben aber auch gesagt, dass er sich zurückfallen lassen sollte, wenn ich in eine Notsituation kommen würde. Hätten wir an dem Tag aber das Gelbe Trikot noch gehabt, wäre eine solche Fahrweise natürlich nicht möglich gewesen.
Sie haben, selbst als Sie in Gelb fuhren, betont, dass Hannes Wilksch der Mann für die Gesamtwertung sei. Dann jedoch tauschen Sie die Rollen. Wie lief das im Team?
Heßmann: Wir haben gesagt, dass ich auch ein geschützter Fahrer bin, so lange ich Gelb habe. Wir hatten ein starkes Team, das auch zwei Fahrer hätte beschützen können. Aber Hannes ist dann auf der ersten Bergetappe nach dem Ruhetag etwas eingebrochen. Er hat dann auch gleich signalisiert, für mich fahren zu wollen, da seine Klassement-Ambitionen begraben waren. Am Anfang der Rundfahrt war aber tatsächlich keine Rede davon, dass ich auf Gesamtwertung fahren würde.
Sie Sind der erste Deutsche seit Sergej Fuchs 2009, der bei der Tour de l`Avenir auf das Podium gefahren ist. Fuchs kam nie über den Status eines Kontinental-Fahrers hinaus und beendete früh seine Karriere. Sie sind ja schon in der WorldTour angekommen...
Heßmann: Ich hoffe, dass das für mich kein schlechtes Vorzeichen ist. Ich fühle mich aber aktuell sehr wohl, entwickle mich Schritt für Schritt weiter, auch wenn meine Entwicklungsgeschwindigkeit sich während der L`Avenir gefühlt verdreifacht hat. Aber wer weiß: Vielleicht bin ich in zwei Jahren Taxifahrer und auch nicht mehr im Radsport. Es kann alles so schnell gehen, in alle Richtungen.
Sie gehören seit diesem Jahr der WorldTour-Mannschaft von Jumbo-Visma an. War dies der entscheidende Vorteil gegenüber der Konkurrenz bei der Tour de l`Avenir, die ja hauptsächlich noch bei U23- oder Kontinental-Teams unterwegs ist?
Heßmann: Ich glaube nicht, dass das nur der Faktor WorldTour war. Natürlich bin ich dadurch längere Rennen gewöhnt und konnte so bei der l`Avenir härter fahren, ohne ans Limit zu kommen, weil die Etappen dort recht kurz waren. Entsprechend habe ich mich auch sehr frisch gefühlt. Gerade auf der ersten Bergetappe waren andere schon müde und ich habe dadurch unter den Bergfahrern noch durch Frische hervorgestochen. Ansonsten bin ich auch einfach ein Jahr älter, habe mehr Erfahrung und bin vor allem entspannter geworden. Ich habe mir dann einfach zugetraut, am Berg mitzufahren. Und wenn man weiß, dass man auch unter den besten Fünf mitfahren kann, dann tut das Treten weniger weh, als wenn man ständig vor sich Lücken schließen muss.
Wer bei der Tour de l`Avenir auf das Podium fährt, der hat zumeist auch eine große Karriere als Rundfahrer vor sich. Wie ist das bei Ihnen?
Heßmann: Ich habe auf jeden Fall gesehen, dass ich auch bei den Profis ein richtiger Rennfahrer sein kann und nicht nur ein Zeitfahrer, der sich dann auf den Etappen als Helfer vor das Feld spannt. Ich habe gemerkt, wie viel Spaß es macht, auf eigene Rechnung zu fahren und in den Finals vorne dabei zu sein. Früher oder später wird auch ein Sieg folgen. Ich hoffe, dass ich bei den Profis nicht nur Helfer sein werde. Ich wäre glücklich, wenn ich bei kleineren WorldTour-Rundfahrten mit einem Zeitfahren vorne mitfahren könnte. Mir ist bewusst, dass ich mit meinem Gewicht bei der Tour de France nie vorne landen werde. Diese Vorstellung wäre völlig überzogen. Aber ein Rohan Dennis könnte mein Vorbild sein. Er ist in einer ähnlichen Gewichtsklasse wie ich zu Hause, kann aber an guten Tagen am Berg mit den Besten mithalten. Ich bin aber auch gespannt, wie ich mich bei den Klassikern schlagen werden. Vielleicht wird ja auch das mein Ding.
Werden Sie im nächsten Jahr wieder zur L`Avenir gehen, es wird dann ja auch ihr letztes U23-Jahr sein?
Heßmann: Das habe ich mich auch schon gefragt. Aber aktuell denke ich eher nicht. Ich würde im nächsten Jahr in einer völlig anderen Position zur Rundfahrt gehen, die Erwartungen wären andere und ich weiß nicht, ob ich so einen großen Lerneffekt wie in diesem Jahr erzielen würde. Man sollte dann den Platz eher an einen jüngeren Fahrer vergeben.
Bei der Tour de l`Avenir sind WorldTour-Profis eher die Ausnahme. War es für Sie von vorne herein geplant, teilnzunehmen oder hat sich das im Saisonverlauf so ergeben?
Heßmann: Es war geplant. Die L`Avenir im letzten Jahr verlief für mich mit den ganzen Stürzen nicht so wie erhofft. Ich habe meine Saison darum aufgebaut und wollte die Chance nutzen, um mich zu zeigen.
Daran, dass WorldTour-Profis bei U23-Rennen teilnehmen, scheiden sich die Geister. Wie sehen Sie das?
Heßmann: Ich war lange ein Verfechter davon, dass man das trennt. Mittlerweile hat sich meine Meinung aber geändert. Heutzutage werden viele Fahrer schon sehr jung Profi. Vor 15 Jahren war das noch die Ausnahme. Heutzutage würde es, wenn man bei der L`Avenir etwa auf Profis verzichten würde, die Leistungsstärke verwässern. Für die U23-Fahrer ist es ja auch schön, sich mit WorldTour-Profis zu messen, sie haben den direkten Vergleich, sehen, wo sie stehen und stellen dann vielleicht fest, dass gar nicht mehr so viel fehlt. Letztlich hilft es jedem, wenn man das Niveau der L`Avenir hochhält. Fahrer wie Remco Evenepoel sollten natürlich nicht fahren, sondern nur solche, die in der WorldTour noch nicht die großen Erfolge erzielen. Vielleicht sollte man es auch auf Erst- oder Zweitjährige begrenzen. Außerdem könnte man sich überlegen, ob nicht mindestens die Hälfte der Kaderplätze `Entwicklungsplätze` für junge KT-Fahrer sein sollten, die sich noch empfehlen müssen, denen dann vielleicht noch ein großes Ergebnis fehlt für den Profivertrag.
Wie geht es für Sie in dieser Saison noch weiter?
Heßmann: Ich hoffe, dass ich für die U23-WM in Australien nominiert werde. Aktuell sieht es anscheinend ganz gut aus, aber die Nominierungen sind ja noch nicht final. Ansonsten habe ich leider im September keine Rennen in meinem Kalender stehen, was ich aktuell etwas schade finde, da ich mich noch sehr gut fühle. Aber ein Rennprogramm ist ja sehr dynamisch, es kann sich schnell ändern, wenn etwa Fahrer krank werden. Ansonsten fahre ich noch den Münsterland Giro, was ja, auch wenn ich nicht mehr dort wohne, mein Heimrennen ist.
Wo wohnen Sie mittlerweile?
Heßmann: In Freiburg, vielleicht kann ich deshalb plötzlich so gut klettern. (lacht).
Ist die Vorbereitung auf die WM dann aber nicht relativ kurz?
Heßmann: Naja, eigentlich zählte die L`Avenir auch schon zur WM-Vorbereitung. Ich hoffe aber, dass ich bei der WM zumindest in der L`Avenir-Form sein werde. Ich werde jetzt auch zeitfahrspezifisch noch etwas arbeiten und bin fest davon überzeugt, in meiner besten Verfassung am Start zu stehen.
Die Saison neigt sich dann auch langsam dem Ende entgegen. Sind Sie froh darüber oder bedauern Sie, dass nicht mehr viele Rennen anstehen?
Heßmann: Im Vergleich zum letzten Jahr fühle ich mich noch sehr frisch und bin auch etwas enttäuscht, nur noch wenige Rennen zu haben. Aber auch das kann in drei Wochen komplett umschlagen und ich bin dann froh, dass das Jahr rum ist. Generell ist es vielleicht auch gut, nicht ganz ausgebrannt aus der Saison rauszugehen, um dann mit viel Energie in das kommende Jahr zu starten.
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