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12.08.2023 | (rsn) – Joshua Tarling war keine zwei Monate alt - genauer gesagt 56 Tage - als Geraint Thomas das erste Mal als junger Radfahrer auf größerer Bühne Eigenwerbung betrieb. Der fast 18-Jährige gewann die zweite Austragung des Junioren-Rennens von Paris-Roubaix. Es war der erste Hinweis auf eine vielversprechende Karriere, die danach als Stagiaire beim deutschen Team Wiesenhof langsam auf die Profi-Bahn geschoben wurde und auch 19 Jahre später bei den Straßen-Weltmeisterschaften in Schottland noch kein Ende gefunden hat.
Allzu viele WM-Rennen werden es dennoch nicht mehr werden für den 37-jährigen Thomas, der beim Einzelzeitfahren zwar gerade noch so in die Top 10 gefahren ist, dabei aber nicht das lieferte, was er sich erhofft hatte. “Es lief nicht gut“, fasste der Waliser seinen Tag zusammen. “Ich habe den Start eher etwas konservativ angelegt, um etwas zurückzuhalten für die zweite Hälfte des Rennens“, schilderte er. “Dann überholte mich aber auch schon Remco und ich dachte mir: ‘Jesus, so sehr habe ich mich dann aber doch nicht zurückgehalten‘“.
___STEADY_PAYWALL___Es war nur ein kleiner Trost für Thomas, dass es der angehende Weltmeister war, der da an ihm vorbeigeflogen kam. “Es war hart, den Fokus zu behalten und nicht aufzugeben.“ Trotz seiner langen Karriere und der überdurchschnittlich stark ausgeprägten Qualitäten im Kampf gegen die Uhr war es nach 2020 erst die zweite Zeitfahr-Weltmeisterschaft, bei der Thomas dabei war. Noch dazu waren es die Titelkämpfe im eigenen Land. “Das hast du nicht oft, deswegen habe ich versucht, sie zu genießen. Aber die Beine waren heute nicht da.“
Bei einem anderen schon. War das Rennen für Thomas eher eine Enttäuschung, ist es für Josh Tarling der bisher größte Erfolg der Karriere. Mit seinen 19 Jahren kam das vielleicht nächste Wunderkind im Straßenradsport zu WM-Bronze und konnte sich dabei sogar den Übermut oder die Unerfahrenheit leisten, ohne Leistungsdaten zu fahren oder den Schlussanstieg besichtigt zu haben. “Es ist schon verrückt“, sagte der Youngster, der 2022 noch Weltmeister bei den Junioren wurde. Und auch dem Zeitfahr-Zehnten, der 1:16 Minuten langsamer war als sein junger Landsmann, fiel nicht viel mehr ein: “Joshua hat seine Klasse gezeigt. Es ist schon unglaublich.“
Geraint Thomas wurde Neunter in Stirling Neunter der Weltmeisterschaft im Zeitfahren. | Foto: Cor Vos
Wie Thomas stammt auch Tarling aus Wales. Während der Jüngere aus der nicht mal 2000 Einwohner zählenden Stadt Aberaeron am St.-Georgs-Kanal, der Meerenge zwischen Großbritannien und Irland stammt, ist Thomas Hauptstädter und kommt aus Cardiff im Süden des Landes. Mit 37 Jahren ist er fast doppelt so alt wie sein aufstrebender Teamkollege. Beide fahren, wenn sie nicht im Nationaltrikot unterwegs sind, für das Team Ineos Grenadiers.
Für Tarling ist es die erste Saison im britischen Vorzeigeteam. Er hat einen Drei-Jahres-Vertrag unterschrieben, nachdem er zuvor als Junior für das FlandersColor - Galloo Team fuhr. Thomas ist seit 2010 bei Ineos beziehungsweise Vorgänger Sky. Allerdings läuft sein Arbeitspapier Ende des Jahres aus. Bisher gebe es diesbezüglich keine Fortschritte, sagte er am Rande der Weltmeisterschaften. “Ich hatte es gehofft, aber im Moment gibt es keine Neuigkeiten.“ Etwas hoffnungsvoller Klang es dann schon, als er sagte: "Wenn alles gut geht, werde ich nächstes Jahr immer noch Rennen fahren."
Seine fünften Olympischen Spiele will er bestreiten, als wahrscheinlich letztes großes Ziel der Karriere. 2008 und 2012 wurde er jeweils Olympiasieger in der Mannschaftsverfolgung auf der Bahn, 2016 und 2021 wurde er Neunter und Elfter im Zeitfahren auf der Straße.
Für Tarling werden jene in Paris spätestens nach seiner Vorstellung in Glasgow wohl die ersten Spiele. Auch er hat Erfahrung auf der Bahn, ist beispielsweise aktueller U23-Europameister in der Mannschaftsverfolgung. Doch läuft alles darauf hinaus, dass er die britischen Farben im Einzelzeitfahren auf der Straße vertreten wird. Landesmeister im Kampf gegen die Uhr ist er im Juni jedenfalls schon geworden, der Jüngste überhaupt in der langen Geschichte des britischen Radsports.
Josh Tarling ist das größte Zeitfahr-Talent im Radsport. | Foto: Cor Vos
Ist Tarling der neue Thomas, sein Nachfolger? Diese Beschreibung würde beiden nicht gerecht werden. Zwar haben sie durchaus Gemeinsamkeiten, doch auch ihre Unterschiede. Einen Generationen-Wechsel ist aber allemal im Gange. Das walisische Duo hat Stärken im Zeitfahren. Thomas hat sich vor seiner Wandlung zum Rundfahrer – nicht nur als Junior – zudem erfolgreich auf klassischem Terrain bewiesen. Paris-Roubaix und die Flandern-Rundfahrt beendete er in den Top 10. Dwars door Vlaanderen auf dem Podium, die E3 Classic sogar als Sieger.
Das alles kann auch Tarling erreichen, wenngleich er in seiner ersten Klassikersaison als Profi auch reichlich Lehrgeld zahlen musste. Bei Paris-Roubaix (1.UWT) schaffte er es nicht rechtzeitig im Zeitlimit aufs Velodrome. Beim Amstel Gold Race (1.UWT) und dem Flèche Wallonne (1.UWT) sah er das Ziel nicht einmal. Dafür ist der Jungspund offenbar schon jetzt der bessere Zeitfahrer.
Was er aber kaum erreichen wird, sind die Rundfahrer-Qualitäten eines Thomas. Allein schon seine Statur wird das verhindern. Mit 1,94 m und einem entsprechenden Gewicht von knapp 80 kg ist ein Toursieg, wie ihn der elf Zentimeter kleinere und deutlich leichtere Thomas 2018 errungen hat, nicht erreichbar. Auch die wichtigen WorldTour-Rundfahrten, die Thomas fast alle einmal für sich entscheiden konnte, sind damit nur schwer zu realisieren. Dass sich starke Zeitfahrer nicht ausnahmslos zu GrandTour-Siegern umschulen lassen, hat hierzulande vor allem Tony Martin bewiesen. Genauso, wie er unter Beweis gestellt hat, dass Zeitfahrer der Extraklasse aber ebenfalls eine gute und erfolgreiche Karriere (75 UCI-Siege, 20 auf WorldTour-Niveau) haben können.
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