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28.06.2024 | (rsn) – Primoz Roglic und seine sieben Gefolgsleute von Red Bull – Bora – hansgrohe sind gut in Florenz angekommen. Nach einem Abendflug direkt vom Red-Bull-Launch im Hangar-7 in Salzburg über die Alpen nach Italien laufen jetzt die letzten beiden Tage vor Ort, bevor am Samstag in der Toskana der Startschuss für die 111. Tour de France fällt. Für den Rennstall aus Raubling soll es dabei erstmals in seiner Geschichte um das Gelbe Trikot gehen – mit Neuzugang Roglic als Kapitän.
"Es ist schön: Alle Trainings sind absolviert. Jetzt pinnen wir die Nummern ans Trikot und los geht's", sagte Roglic radsport-news.com rund eine Stunde vor dem Abflug in Salzburg am Mittwoch. Der Slowene spielte bei dem für einen Vor-Tour-Mittwoch recht vollgepackten Tag in stoischer Ruhe mit, absolvierte die anberaumten Interviews sowie Foto-Sessions und befand sich dabei augenscheinlich bereits im Tunnel. Interview-Fragen beantwortete er kurz, aber freundlich, davor und danach war er ganz bei sich, versuchte, allen Trubel abprallen zu lassen.
___STEADY_PAYWALL___Es ist verständlich: Für den 34-Jährigen ist diese Frankreich-Rundfahrt seine große Chance. Nachdem sein Stern bei der Tour de France 2018 endgültig empor gestiegen war und viele den damals Gesamtvierten als kommenden Sieger sahen, ließ Roglic Frankreich 2019 aus und wurde stattdessen Vuelta-Sieger sowie Giro-Dritter. Doch schon beim zweiten Tour-Start 2020 hätte er sich den Traum beinahe erfüllt – wenn da nicht das Bergzeitfahren zur Planche des Belles Filles am vorletzten Tag gewesen wäre, wo Tadej Pogacar ihn noch vom Thron stieß.
Dann aber begann die Zeit gegen ihn zu laufen: 2021 schied Roglic nach Sturz aus, 2022 kam er erneut zu Fall und wurde dann im Verlauf der Rundfahrt zum B-Kapitän, weil Jonas Vingegaard ins Gelbe Trikot fuhr. Sein Standing bei Jumbo – Visma verschlechterte sich und auch wenn Roglic 2023 den Giro d'Italia gewann, so fehlte für die Tour die Zukunftsperspektive bei den Niederländern.
Primoz Roglic (Red Bull – Bora – hansgrohe) bei der Präsentation des Tourkaders in Salzburg. | Foto: Red Bull Content Pool
"Es war natürlich ein Grund für den Teamwechsel, dass ich hier die volle Unterstützung für die Tour bekommen kann. Am Ende der Karriere will man zurückschauen – egal ob man die Tour gewonnen hat oder nicht – und sagen können, dass man alles versucht hat. Man will nichts Bereuen nachher", erklärte Roglic RSN gegenüber sein Engagement bei Red Bull – Bora – hansgrohe.
Sein neues Team sieht sich bereit, den Kampf ums Maillot Jaune aufnehmen zu können. "Wir würden uns komplett unterschätzen, wenn wir sagen, dass wir da der Underdog sind", meinte Sportdirektor Rolf Aldag in Salzburg zu RSN und verglich: "Als Team sind wir wahrscheinlich stärker und erfolgreicher als Visma in diesem Jahr. Die haben natürlich den amtierenden Tour-Sieger, aber als Team stehen wir dem in nichts nach. Ich glaube schon, dass wir breiter aufgestellt sind. Die einen entscheiden sehr emotional, UAE, die anderen sind sehr Plan-affin, Visma. Und ich glaube, dass wir sehr flexibel und offen sind. Wir werden unsere Chancen suchen und auch finden. Es gibt keine Tour de France ohne Chancen. Man muss sie nur auch ergreifen."
Eine große Chance scheint die Ausgangslage zu sein. In dem Jahr, in dem sich die Fans auf den lang ersehnten Vierkampf zwischen Vingegaard, Pogacar, Roglic und Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) freuen, steht hinter jedem der großen Vier ein kleines oder größeres Fragezeichen.
Pogacar kam zwar verletzungsfrei durchs Jahr, hat aber den Giro in den Beinen, Roglic und Evenepoel mussten nach schweren Stürzen bei der Baskenland-Rundfahrt relativ kurz und Vingegaard spürbar länger pausieren. Mangels Aufeinandertreffen kann man den Formstand der Konkurrenz kaum einschätzen. Einzig dass Roglic Anfang Juni beim Critérium du Dauphiné stärker war als Evenepoel, ist sicher. Und aus dieser Woche in den französischen Alpen zieht Roglic auch viel Mut und Motivation.
Nach seinem Gesamtsieg beim Critérium du Dauphiné holte sich Roglic im Höhentrainingslager in Tignes den letzten Feinschliff für die Tour. | Foto: Red Bull Content Pool
"Der Dauphiné-Sieg war wichtig für uns. Er hat bestätigt, dass wir in die richtige Richtung gearbeitet haben. Es war wunderschön, diesen Sieg zu holen, denn so kann man auch umso entspannter zur Tour reisen", sagte er. Dabei ging es in der Dauphiné weniger um das reine Ergebnis als viel mehr um Erkenntnisse – etwa die, wie stark sich Aleksandr Vlasov im Dienst seines Kapitäns aufopfert und wie die Abläufe mit dem Team funktionieren. "Ich habe noch keine zehn Jahre mit den Jungs hier erlebt. Alles, was in den Rennen passiert, ist für uns gemeinsam neu. Und natürlich brauchen wir da die Rennen, um uns gemeinsam zu finden", so Roglic.
Wie schwer die Umgewöhnung und die Etablierung neuer Routinen und Abläufe sein kann, das erlebten er und seine neue Mannschaft bei Paris-Nizza. "Um es positiv darzustellen: Wir haben sehr viel aus den Sachen gelernt, die dort falsch gelaufen sind", sagte Aldag am Mittwoch und bezog sich konkret auf das völlig verkorkste Mannschaftszeitfahren. "Mit dem Niveau im Team hätten wir da um den Sieg mitfahren müssen", gab der Sportdirektor zu. Stattdessen zerpflückte sich die Mannschaft früh, Roglic brachte seine Teamkollegen bergauf übers Limit und am Ende wurde man Elfter, mit fast einer Minute Rückstand auf UAE.
"Die Vorbereitung übers ganze Jahr war ein bisschen ein Jojo", meinte Aldag nun. "Wir hatten einen super Einstand im Trainingscamp im Januar, weil Primoz ein offener Mensch ist und mit Leuten spricht, gut komuniziert und in positivem Sinne viel fordert, indem er es vorlebt. Dann kam Paris-Nizza mit ganz, ganz vielen neuen Erfahrungen für ihn und uns, aber ich finde, wir haben das zur Baskenland-Rundfahrt sehr schnell umgedreht."
Der Kapitän und seine Helfer: Roglic und das Red-Bull-Tour-Aufgebot beim Training. | Foto: Red Bull Content Pool
Nach dem Zeitfahr-Debakel beim "Rennen zur Sonne" im März gewann Roglic das zehn Kilometer lange Einzelzeitfahren zum Auftakt der Baskenland-Rundfahrt, obwohl er sich im Finale kurz verfuhr, unter anderem gegen Evenepoel und Vingegaard. Er trug Gelb, als es auf Etappe 4 zum folgenschweren Massensturz in einer Abfahrt rund 36 Kilometer vor dem Ziel kam. "Da haben wir uns logischerweise Sorgen gemacht, weil da die Ungewissheit kam, wann und wie es weitergeht", sagte Aldag.
Doch der Dauphiné-Sieg im Juni und das Höhentrainingslager in Tignes sorgten rechtzeitig vor der Tour wieder für viel Zuversicht – auch wenn Roglic in der Dauphiné noch zweimal zu Boden ging. "Wir haben noch einen doppelten Salto rückwärts mit zwei Schrauben von Primoz gesehen. Das hat mir auch nochmal richtig Sorgen gemacht, als ich da hingekommen bin", erzählte Aldag, an den Tagen danach war er angesichts der Leistungen seines Kapitäns aber schnell beruhigt: "Ich habe noch nie einen Rennfahrer nach einem Sturz schneller fahren sehen."
Roglic selbst wollte Schwierigkeiten in der Vorbereitung für keinen der Sieganwärter in Frankreich wirklich geltend machen. Er sei sicher, dass alle in guter Form am Start stehen werden und sagte über seinen Ex-Teamkollegen Vingegaard: "Die Vorbereitung auf eine Grand Tour läuft immer anders, mit unterschiedlichsten Rückschlägen. Sicher war seine Vorbereitung nicht die, die er sich gewünscht hätte. Aber wenn er am Start steht, wird er sicher bereit sein. Ich erwarte von allen von ihnen nur das Beste. Aber darauf habe ich keinen Einfluss. Ich kann mich nur um meine Vorbereitung kümmern. Wir haben getan, was wir konnten und am Ende der Tour werden wir sehen, wie es lief."
Zurück zu blicken oder Probleme zu sehen, das war drei Tage vor Tour-Start ohnehin nicht das, was Roglic vorschwebte. Es gebe bei dieser Frankreich-Rundfahrt keine spezielle Etappe, wegen der er besorgt sei, meinte er. Jeder Tag sei wichtig. "Wir haben die Arbeit erledigt, haben getan, was wir konnten und sind so bereit wie möglich. Jetzt geht's los", meinte er und antwortete, konkret angesprochen auf die 9. Etappe um Troyes, wo es über 32,4 Kilometer Schotter geht: "Ob ich sie mag oder nicht, sie ist da. Also müssen wir sie fahren und unser Bestes geben."
Auch wenn insgesamt vom Finale der ersten beiden Etappen in Rimini und Bologna über die 4. Etappe am Col du Galibier und das erste Zeitfahren sowie die Schotteretappe und zwei Tage in den Pyrenäen bis zur schweren Schlusswoche in den Alpen sehr viele Tage für Zeitabstände sorgen können, so bekommt vor allem der Kampf gegen die Uhr am letzten Tag in Nizza dieses Jahr eine besondere Bedeutung. "Da kann die Tour nochmal auf den Kopf gestellt werden", meinte Aldag.
Sportdirektor Rolf Aldag (li.) und Team-Manager Ralph Denk bei der Präsentation in Salzburg | Foto: Red Bull Content Pool
Bei Tour-de-France-Fans weckt das Erinnerungen an 2020, als Roglic so nah am Tour-Sieg dran war, dann aber an der Planche des Belles Filles das Gelbe Trikot doch noch verlor. "Ich habe ehrlich gesagt ein schlechtes Gedächtnis. Da habe ich mit all den Rennen seitdem ein bisschen die Erinnerung daran verloren", sagte Roglic, angesprochen auf damals, trocken. "Ich erinnere mich eher an Lussari."
Das nämlich sollte auch in drei Wochen im Hinterkopf bleiben, wenn vor dem Schlusszeitfahren die Bilder von 2020 und Roglics Last-Minute-Niederlage ausgegraben werden: 2023 entschied er den Giro d'Italia ebenfalls in einem Zeitfahren zum Abschluss der drei Wochen für sich, als er am Monte Lussari triumphierte.
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