RSNplusStrukturelle Probleme bei Talentförderung

Girmay: Türöffner für Afrikas Radsport oder eine Ausnahme?

Von Tom Mustroph aus Dijon

Foto zu dem Text "Girmay: Türöffner für Afrikas Radsport oder eine Ausnahme?"
Bei der Tour im Kreis der Großen angekommen: Biniam Girmay (Intermarchße - Wanty, re.) | Foto: Cor Vos

04.07.2024  |  (rsn) - Afrikas Radsport erreicht neue Höhen. Biniam Girmay (Intermarché – Wanty) gewann nicht nur die erste Etappe eines schwarzen Athleten aus Afrika bei der Tour de France. Einen Tag nach Mark Cavendishs historischem 35. Sieg legte er nach und holte am Ende der 6. Etappe Platz zwei in Dijon. Damit baute er auch die Führung in der Punktewertung aus.

Um den afrikanischen Tag perfekt zu machen, versammelten sich an seinem Teambus zum Start eine Handvoll junger afrikanischer Fahrerinnen und Fahrer. Sie gehören zum “Afrika 2025“-Programm der UCI. Und natürlich waren sie begeistert, Girmay von Nahem zu sehen. “Er ist ein Held für uns“, sagte Alaliaa Darwish zu RSN.

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Die 18-Jährige ist ägyptische Juniorenmeisterin im Zeitfahren und im Straßenrennen. Im Rahmen des “Afrika 2025“ nahm sie an einem Trainingslager in der Bretagne teil. “Wir bereiten uns dort auf die Weltmeisterschaften vor, sowohl auf der Bahn wie auf der Straße“, erzählte sie. Im Trainingslager hat sie natürlich den Etappensieg von Girmay im Fernsehen verfolgt. “Das ist eine große Sache für Afrika“, sagte sie. Und selbst hält sie es für eine große Sache, jetzt Girmay zu sehen und sogar ein paar Kilometer Tour de France-Strecke abzuspulen.

Auf der 6. Tour-Etappe sprintete Biniam Girmay (Intermarché – Wanty, Mi.) im Grünen Trikot auf den zweiten Platz. | Foto: Cor Vos

Die Gruppe fuhr die letzten 30 Kilometer der von Macon nach Dijon führenden Etappe ab. Ein ganz besonderes Erlebnis, wie Darwish betonte. “Meine Mutter hat versprochen, Fernsehen zu gucken. Und sie hofft natürlich, dass sie mich sieht“, erzählte sie lachend. Darwish ist übrigens eine Seiteneinsteigerin, denn sie begann ursprünglich mit Ballett.

Ex-Profi Grmay gibt seine Erfahrungen an die Talente weiter

Ihr Favorit - neben Girmay natürlich – ist Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck). Dessen großen Rivalen Wout Van Aert (Visma – Lease a Bike) hat sich Mohammed Dellai aus Tunesien als Vorbild ausgesucht. “Er kann einfach alles, klettern, sprinten, zeitfahren“, schwärmte er vom Belgier. Die Tour-de-France-Atmosphäre saugen die beiden mit allen Sinnen auf. “Eines Tages wollen wir selbst dabei sein“, sagten sie wie aus einem Mund.

Einer, der das schon geschafft hat, der Äthiopier Tsgabu Grmay, ist ihr Mentor. “Ich will meine Erfahrung an die Kids weitergeben. Der Sieg von Biniam kommt natürlich zu einem perfekten Zeitpunkt. Sie sehen, was möglich ist, auch für sie“, meinte der ehemalige Profi – unter anderem Lampre, Trek – Segafredo und Jayco – AlUla – zu RSN.

Auf der 3. Tour-Etappe hatte der Eritreer seinen ersten Tagessieg bei einer Frankreich-Rundfahrt gefeiert und damit bei seinen eritreischen Landsleuten für Begeisterungsstürme gesorgt. | Foto: Cor Vos

Girmays Sieg stellte er auf einen hohen historischen Sockel. “Man muss es vergleichen mit dem Marathonsieg vom Barfußläufer Abebe Bikila bei den Olympischen Spielen in Rom 1960. Das war der Durchbruch für die Lauftalente aus Afrika. Und schau, wie viele afrikanische Weltklasseläufer es jetzt gibt“, erzählte Grmay. Von Girmays Erfolgen bei der Tour erhofft er sich einen ähnlichen Katalysator-Effekt.

Weniger euphorisch als alle Mitglieder der afrikanischen Delegation war Aike Visbeek. Der Niederländer spielte eine entscheidende Rolle bei Girmays Entwicklung. Visbeek befürchtet, dass sein Fahrer nicht der Türöffner für Afrikas Radsport, sondern eine Ausnahme bleiben wird. “Es gibt viele Talente in Afrika, das wissen wir alle, das wissen viele Teams. Das Problem, das man ansprechen muss, ist aber, dass Jugendliche, die 14-, 15-, 16-Jährigen, nach Europa kommen müssen, um hier Rennen zu fahren und hier lernen, ihre Fähigkeiten zu verbessern. Wenn das nicht geschieht, wird die Kluft zu ihren europäischen Altersgenossen nur wachsen. Biniam wird die Ausnahme sein, und die Tür, die er geöffnet hat, wird wieder zufallen“, prognostizierte er.

Bei vielen europäischen Rennen – wie hier bei Rund um Köln Ende Mai – wird Girmay von den eritreischen Fans als Radsport-Held gefeiert. | Foto: Cor Vos

Und auch den Ausrichtern der Rad-WM 2025 in Ruanda, die ebenfalls an dem Marketing-Trip für Afrikas Radsport zur 6. Etappe der Tour de France teilnahmen, gab der Intermarché-Sportdirektor Hausaufgaben auf. “Wenn man dort einen WM-Kurs mit 5.000 Höhenmetern organisiert, dann kommt das nur den allerbesten Kletterern zugute. Aber solche Kletterer gibt es in Afrika so gut wie gar nicht. Viele afrikanische Starter werden nach 150 Kilometern schon aus dem Rennen raus sein. Das hilft dann Afrika gar nicht“, meinte er.

Afrikas Radsport hat mit strukturellen Problemen zu kämpfen

Und so bleibt der Tour de France-Besuch sicherlich ein besonderer Höhepunkt in der noch jungen Laufbahn der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Afrika 2025-Programms. Zugleich wurden aber auch die strukturellen Probleme deutlich. “Die Aufmerksamkeit, die Afrika jetzt bekommt, ist gut. Aber es muss auch jemand den Job machen, die Jungen zu entwickeln“, grantelte Visbeek.

Nun, Tsgabu Grmay stellt sich genau dieser Aufgabe. “Wir fangen jetzt mit den Neun- und Zehn-Jährigen an. Wir wollen eine gute Basis legen. Und ich bin sicher, dass wir eines Tages auch einen Tour de France-Sieger aus Afrika haben“, blickte er in die Zukunft. Dass mit Chris Froome ein gebürtiger Kenianer schon vier Mal die Tour gewonnen hat, zählt in dieser Betrachtung nicht.

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