Heikos Tour

Wie steht es um Jan Ullrich wirklich?

Von Heiko Salzwedel

03.07.2005  |  Heiko Salzwedel führte 1989 als DDR-Nationaltrainer den Bahnvierer zu WM-Gold und machte einige Jahre später als australischer Nationalcoach Robbie McEwen zum Star. Jetzt betreut er den T-Mobile-Nachwuchs. Für Radsport aktiv kommentiert Salzwedel die Tour de France.

So habe ich mir das Eröffnungszeitfahren zur 92. Tour nicht vorgestellt: Jan Ullrich wird von Lance Armstrong überholt und bekommt vom Amerikaner gleich mehr als eine Minute aufgebrummt. Ich kann mir Jans Debakel nur so erklären, dass die Folgen seines Unfalls doch gravierender sind, als er der Öffentlichkeit mitgeteilt hat. Das Tückische an solch schlimmem Stürzen ist, das sich die Fahrer unmittelbar danach gar nicht so schlecht fühlen – der Adrenalinspiegel ist noch derart hoch, dass die Schmerzen betäubt werden. Erst in der Nacht oder am nächsten Tag machen sich die Folgen wirklich bemerkbar.

Dann frage ich mich, ob Jan den Unfall psychisch schon verarbeitet hat. Zeitfahren werden im Kopf entschieden, und Jan war nach den Ereignissen der vergangenen 24 Stunden vielleicht nicht so konzentriert wie sonst. Man überlege sich: ein solcher Crash, eine Schnittwunde am Hals, nahe der Halsschlagader – wer würde sich da keine Gedanken machen, was alles hätte passieren können....

Lance Armstrong dagegen war wieder ganz der Alte. Er wollte dieses Zeitfahren gewinnen – ein Armstrong verschenkt nichts -, wird aber kaum traurig darüber sein, dass ihm sein Landsmann Dave Zabriskie das Gelbe vor der Nase weggeschnappt hat. Überhaupt die US-Amerikaner: Mit Zabriskie, Armstrong, George Hincapie und Floyd Landis landeten gleich drei von ihnen unter den besten Sechs. Keine andere Nation kann derzeit so viele Weltklassezeitfahrer aufbieten.

Ebenfalls zufrieden sein dürfte CSC, auch wenn Ivan Basso heute nicht ganz vorne dabei war. Aber Zabriskie als Etappensieger und ein Jens Voigt, der die Zuverlässigkeit in Person ist, sorgen wohl für zufriedene Gesichter beim dänischen Rennstall. Und beim Mannschaftszeitfahren wird die Riis-Truppe ihren nächsten Coup landen wollen.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht unbedingt so ausschauen mag: Für T-Mobile ist noch nichts verloren, nicht einmal für Ullrich. In einer dreiwöchigen Rundfahrt kann so viel passieren und es wäre völlig verfrüht, die Tour schon nach den ersten 19 Kilometern für entschieden zu halten. Winokurow hat ein starkes Zeitfahren hingelegt und selbst Ullrich hat noch seine Chancen. Vor allem Jan und Andreas Klöden dürfen sich jetzt nicht verrückt machen lassen.

Schade für Michael Rich, dass er nicht ganz das hat zeigen können, wozu er fähig ist. Vielleicht war Micha überkonzentriert und nicht locker genug. Das kann passieren, wenn man etwas mit aller Macht will....und Rich wollte ganz vorne landen bei diesem Einzelzeitfahren.

Überzeugt hat mich Laszlo Bodrogi. Der Ungar ist ein exzellenter Zeitfahrer und hat das heute eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ebenfalls zufrieden bin ich mit der Leistung meines Schützlings Ronny Scholz. Platz 38 mit 1:48 Sekunden Rückstand ist aller Ehren wert. Für die australischen Fahrer wie Michael Rogers, einem der größten Talente im internationalen Radsport, Bradley McGee oder Stuart O’Grady war der Prolog zu lang. Sie haben das Zeitfahren wohl eher zum Einrollen genutzt.

Kein Verständnis habe ich für das Verhalten von Patrick Lefévère. Der Quick.Step-Boss hat seinen Fahrer Patrik Sinkewitz wegen dessen Wechsel zu T-Mobile öffentlich derart niedergemacht, dass ich darüber nur den Kopf schütteln kann. Ich habe großen Respekt vor Lefévère, aber so darf ein alter Fuchs nicht die Nerven verlieren. Die Äußerungen waren nicht nur unbeherrscht, sondern auch unprofessionell.

Zur Person

Heiko Salzwedel ist einer der erfolgreichsten deutschen Radsporttrainer. Er führte im Jahr 1989 als Nationaltrainer der DDR-Bahnradfahrer den Vierer zu WM-Gold. Nach der Auflösung der DDR wurde er australischer Nationaltrainer und betreute Fahrer wie Robbie McEwen, Henk Vogels, Mathew White, Patrick Jonker und Kathy Watt. In seiner Profi-Mannschaft ZVVZ-GIANT-A.I.S. begannen Sportler wie Jens Voigt, Tomas Konecny, Jan Hruska, Nick Gates oder die beiden älteren Brüder von Michael Rogers (Deane und Peter) ihre erfolgreiche internationale Karriere.

Weitere Stationen des 48 jährigen Globetrotters aus dem thüringischen Schmalkalden waren das Amt des Leistungssportreferent beim Bund Deutscher Radfahrer, Teammanager im Britischen Radsportverband sowie Chef-Trainer der deutschen Frauen-Profimannschaft Equipe Nürnberger. Derzeit ist Salzwedel für die Nachwuchsförderung bei T-Mobile zuständig und Nationaltrainer der dänischen Bahn-Radsportler.

Heiko Salzwedel im Internet: http://www.sl-sports.com

Mehr Informationen zu diesem Thema

19.08.2005Holczer: "Jan Ullrich bleibt der Top-Favorit"

(sid) - Nach dem Doppelsieg seiner Schützlinge auf der Königsetappe der Deutschland-Tour ist Gerolsteiner-Teamchef Michael Holczer euphorisiert. Dennoch bleibt für ihn T-Mobile-Profi Ja

25.07.2005Tour de Lance – der Champion tritt ab!

Der letzte Auftritt Lance Armstrongs auf der Bühne der Tour de France war zugleich sein beeindruckendster. Ich habe an anderer Stelle schon geschrieben, dass ich Lance noch nie so stark und überlege

24.07.2005Rabobank blamiert sich

So etwas habe ich noch nie gesehen: Der Drittplatzierte der Gesamtwertung im wichtigsten Radrennen der Saison wird von seinem Team im Stich gelassen. Was Mickael Rasmussen, dem tapferen Dänen, am Sam

22.07.2005T-Mobile schlägt zurück!

Die gestrige Etappe war ein Krimi vom Anfang bis zum Ende. Schon bevor sich die zehnköpfige Spitzengruppe schließlich bilden konnte, hatten zahlreiche Profis versucht, sich aus dem Hauptfeld abzuset

21.07.2005Discovery Channel ist noch nicht satt

Die längste Etappe endete mit dem längsten Schlussspurt. Es war ein regelrechter Ausdauersprint, der vom Giro-Sieger Paolo Savoldelli gegen den Norweger Kurt-Arsle Arvesen souverän gewonnen wurde.

20.07.2005Evans packt bei Abfahrten der Horror

Erneut trübte eine schreckliche Tragödie die Vorfreude auf eine Tour-Etappe. War es vor zwei Wochen der Terroranschlag in London, so ist es diesmal die Nachricht vom tödlichen Trainingsunfall in T

18.07.2005Doppelte Dramatik und ein souveräner Herrscher

Die Dramatik der gestrigen Etappe resultierte aus der Konstellation. Vorne wurde um den Tagessieg gefightet, in der Verfolgergruppe um den Gesamtsieg. Und die Gruppe mit den Sprintern fuhr ihr eigenes

17.07.2005Totschnig siegt mit Ansage

In der Woche noch wäre Georg Totschnig am liebsten aus der Tour ausgestiegen, weil nichts lief. Nur den aufmunternden Worten seiner Familie und seines Teamchefs Hans Michael Holczer war es zu verdank

16.07.2005Davitamon opfert sich für McEwen auf

Ich hatte für gestern zwar einen Sieg von Robbie McEwen erwartet, aber nachdem ich am Start der Etappe noch mit ihm gesprochen hatte, war meine Zuversicht etwas ins Wanken geraten. Robbie schien ein

15.07.2005Wer attackiert Armstrong?

Zunächst: Ehre, wem Ehre gebührt. Die Franzosen feuerten gestern pünktlich zum Nationalfeiertag ihren ersten Etappensieg bei dieser Tour. Drei französische Teams hatten Fahrer in der Ausreißergru

14.07.2005T-Mobile gibt nicht auf!

Aufatmen bei T-Mobile: Das Team lässt sich nicht unterkriegen. Winokurows Gipfelsturm gestern war ein ganz besonderes Husarenstück. Auch im Sprint hat Wino seine Form bestätigt und Botero keine Ch

13.07.2005Same procedure as every year

Die gestrige Etappe hat bei mir vor allem Ernüchterung hinterlassen. Lance Armstrong hat wieder einmal bewiesen, dass er der stärkste Fahrer im Feld ist. Er ist ein Rennfahrer wie von einem anderen

Weitere Radsportnachrichten

22.12.2024Mit Cavendishs Tipps gelang der Durchbruch

(rsn) – Nicht nur wegen seines ersten Profisieges konnte Max Kanter mit seinem ersten Jahr bei Astana Qazaqstan ausgesprochen zufrieden sein. Der deutsche Sprinter etablierte sich schnell beim kasac

22.12.2024Van der Poel erteilt der Konkurrenz eine Lehrstunde

(rsn) – Er startete aus der dritten Reihe und lag schon nach etwas mehr als einer Minute in der ersten Abfahrt zur Kuil in Führung. Bei der Ausfahrt derselben setzte er sich unwiderstehlich ab: Mat

22.12.2024Van Aert muss seinen Crossauftakt verschieben

(rsn) – Am Montag wären sich Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) und Wout Van Aert (Visma – Lease a Bike) beim Superprestige-Rennen in Mol das erste Mal in dieser Cyclocross-Saison gege

22.12.2024Zuerst kalte Hände, dann doch Siegpremiere für Alvarado

(rsn) - Ceylin del Carmen Alvarado (Fenix – Deceuninck) hat in und an der berühmten Kuil den Cross-Weltcup von Zonhoven gewonnen. Nach einem spannenden Rennen verwies sie Zoe Bäckstedt (Canyon –

22.12.2024Viel Spaß und eine Riesenerfahrung bei der Tour

(rsn) – Mit seinen 27 Jahren hat sich Georg Zimmermann (Intermarché – Wanty) zum absoluten Allrounder und einem Fixstarter bei fast allen großen Rennen des Jahres entwickelt. Der Augsburger ist

22.12.2024Teutenberg und Brauße holen sich Omnium-Titel

(rsn) – In Frankfurt an der Oder wurden an diesem Wochenende die Deutschen Meisterschaften im Mehrkampf auf der Bahn ausgefahren. Die Goldmedaillen sicherten sich Franziska Brauße (Ceratizit WNT Pr

22.12.2024“Bis zur Corona-Infektion lief es richtig gut“

(rsn) - Erst zwölf Tage des neuen Jahres waren vergangen, da standen für Linda Riedmann vom Team Visma - Lease a Bike schon die ersten Rennen an. In Australien bei der Santos Tour Down Under begann

22.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

21.12.2024Schöne Highlights und ein sehr starker August

(rsn) – 22 Jahre ist Fabio Christen (Q36.5 Pro Cycling) alt, und der Schweizer kommt aus einer wahren Radsportfamilie. Schon sein Großvater gehörte zu den besten Straßensportlern und auch sein Va

21.12.2024Red-Bull-Sportchef Aldag über die Transfers von Lazkano und Co.

(rsn) – Es war abzusehen, dass Red Bull – Bora – hansgrohe auch in diesem Winter wieder allerhand Veränderungen am Kader für die neue Saison vornehmen würde. Neun Profis stoßen 2025 zum Team

21.12.2024Vandeputte mit Start-Ziel-Sieg zum ersten Weltcuperfolg

(rsn) – Dank einer technischen Glanzleistung hat Niels Vandeputte (Alpecin – Deceuninck) in Hulst nicht nur einen Start-Ziel-Sieg, sondern auch seinen ersten Weltcup-Erfolg gefeiert. Der Belgier w

21.12.2024Schreiber startet am schnellsten und bleibt bis zum Schluss vorn

(rsn) – Schnellstarterin Marie Schreiber (SD Worx – Protime) hat den Cross-Weltcup in Hulst mit einem Start-Ziel-Sieg für sich entschieden. Lucinda Brand (Baloise – Trek Lions) baute als Zweite

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine