Wissenschaftler zum Knees-Ernährungstagebuch

Die Basis ist gut, aber Christian hat noch Potenzial

04.04.2007  |  (Ra) - Christian Knees hat vom 13. – 24. März ein Ernährungstagebuch auf Radsport aktiv geführt. In dieser Zeit bestritt der 26-jährige Milram-Profi zwei schwere ProTour-Rennen, die Fernfahrt Tirreno-Adriatico und den ersten Frühjahrsklassiker Mailand-San Remo. Uwe Schröder, Ökotrophologe am Institut für Sporternährung in Bad Nauheim, beurteilt in einem Beitrag für Radsport aktiv das Ernährungsverhalten von Christian Knees aus wissenschaftlicher Sicht.

von Dipl. oec. troph. Uwe Schröder

Vorbemerkung:
Grundsätzlich können die nachfolgenden Aussagen nur einen allgemeinen Rahmen darstellen, denn ein erfahrener Profisportler wie Christian Knees kennt seinen Körper genau und hat entsprechende Erfahrungen mit dem Essen und Trinken gemacht. Bei der Auswertung des Ernährungstagebuchs ist auch zu berücksichtigen, dass wir die Portionsgrößen der Speisen nicht kennen. Eine Portion Nudeln ist bei Christian Knees wahrscheinlich etwas größer als bei Nichtsportlern. Wir sind hier von Erfahrungswerten in der Sportlerbetreuung ausgegangen.

Allgemeines:
Christian Knees bestätigt in seinen Aufzeichnungen einige Studien, u.a. von Prof. Wim Saris aus Maastricht im Rahmen der Tour de France, die eindrucksvoll dokumentieren, dass es so etwas wie „somatische Intelligenz“ gibt, der Körper also „weiß“, was er an Lebensmitteln benötigt. Christians Lebensmittelauswahl und die damit verbundene Energiemenge sind gut an die jeweiligen Umstände – sprich Etappenlänge und –härte – angepasst. Hinzu scheint bei Christian ein ausgeprägtes Ernährungsbewusstsein zu kommen, auch in Hinblick auf die Auswahl „gesunder“ Lebensmittel.

Alles in allem ist sein Ess- und Trinkverhalten gut auf seine Bedürfnisse (Energie, Eiweiß, Vitamine, Mineralstoffe, Trinkmenge) abgestimmt. In Anbetracht der Umstände ernährt er sich auch abwechslungsreich (er kauft sich extra Vollkornbrot!!!) und von der Basis her auch sportgerecht, d.h. kohlenhydratbetont. Christians Körpergewicht ist mit einem BMI von knapp 22 sportartspezifisch niedrig, einen entsprechend niedrigen Körperfettanteil setzen wir daher voraus.

Im Einzelnen:
Gerade für Ausdauersportler gibt es allgemein anerkannte Vorgaben zur Menge der zu verzehrenden Kohlenhydrate (KH). Diese werden bezogen auf die Maßeinheit „Gramm pro Kilogramm Körpergewicht“ und orientieren sich an der Trainings-/Wettkampfintensität, -dauer und –häufigkeit. Besonders die Vorbereitungstage und die direkte Regeneration sollten kohlenhydratreich gestaltet sein. Dabei bringen sehr große Einmal-Portionen keinen Gewinn, besser ist es, sich gleichmäßig über den Tag mit Kohlenhydraten zu versorgen. Auch der Glykämische Index – also die zeitliche Verfügbarkeit der Kohlenhydrate – spielt eine Rolle. In zeitlicher Nähe zur Belastung sollte auf Lebensmittel mit hohem bis mittlerem Gl zurückgegriffen werden. Dies vorausgesetzt, lässt sich bei Christian gerade das „Carboloading“ - also das „Auffüllen der Kohlenhydratspeicher“ - etwa vor dem Eintagesrennen und die Regeneration nach den Etappen optimieren.

Am Vortag der Fernfahrt verzehrt er aus meiner Sicht zu wenig Kohlenhydrate. Auch wenn Christian selbst das „Carboloading“ anspricht, richtig praktiziert er es nicht. An einem solchen Tag wird von Kohlenhydratmengen im Bereich von 8 bis 10 g KH pro Kilogramm Körpergewicht ausgegangen (einige Autoren nennen 12 g!!!). Christian kommt hier auf weniger als die Hälfte. Seine Eiweißversorgung ist gut, Vitamine und Mineralstoffe, Trinkmenge und Fett sind im grünen Bereich.

Auch wenn die ersten beiden Tage bei „Tireno-Adriatico“ nach Christians Aussagen nicht besonders anstrengend waren, wäre eine größere Kohlenhydratmenge nach der Zielankunft wünschenswert. Am ersten Tag ist auch die gesamt KH-Aufnahme mit ca. 6 g/kgKG nicht „renngerecht“, allerdings stimmt die Versorgung während der Etappe und durch das „Mitrollen“ werden die Kohlenhydratspeicher nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen. Aber: Die Rundfahrt hat erst begonnen, und es werden schwere Etappen kommen. Bei der 2. Etappe stimmt die KH-Versorgung mit fast 9 g KH/kgKG, die Trinkmenge und die Eiweißversorgung sind gut. Aber auch hier wäre eine gezieltere Regeneration zweckmäßig. Der dritte Renntag ist fast optimal, ebenfalls 9 g KH/kg KG, sowie adäquate Eiweiß- und Trinkmenge. Nach dem bergigen Finale dieser Etappe hätten es etwas mehr KH mit hohem GI sein können, das beschleunigt die Regeneration.

Die etwas kürzere 4. Etappe wird von Christian mit ca. 6 g KH/kgKG absolviert. Da es auch hier bergig war, ist mit einem höheren Kohlenhydratverbrauch zu rechnen. Es hätte etwas mehr sein können, vor allem nach der Zielankunft.

Direkt vor dem kurzen Einzelzeitfahren hätte eine – im Training bereits erprobte! – Aufnahme von Kohlenhydraten mit hohem GI die Leistung sicher unterstützt. Ansonsten ist der Tag bedarfsgerecht, Christian tut viel für seinen Wasserhaushalt.

Die schwere 6. Etappe wird von Christian ebenfalls gut gestaltet, die Kohlenhydrataufnahme steigt wieder auf 7 g /kgKG. Eiweiß- und Mikronährstoffversorgung ist gut, die Fettaufnahme wie an den anderen Tagen auch bei ca. 1 g F/kgKG. Aber auch hier ist die Regenerationsphase durchaus verbesserungsfähig, denn nach einer derartigen Etappe sind auch bei Profis die Glykogenspeicher arg in Mitleidenschaft gezogen. Eine regelmäßige KH-Aufnahme durch Lebensmittel auch mit einem hohen GI nach dem Nibbling-Prinzip verzehrt, fördert die Glykogenresynthese und erleichtert die Aufnahme adäquater KH-Mengen.

Am letzten Rundfahrttag ist die KH-Aufnahme zu niedrig, der Fettanteil etwas hoch, vor allem in Anbetracht des bereits in vier Tagen anstehenden großen Klassikers. Auch wenn an diesem Tag „nur“ durchschnittliche Teamarbeit zu verrichten war, so steht das schwere Rennen doch unmittelbar bevor, und Christian hätte mit einem Carboloading beginnen können. Auch die drei Ruhetage zeichnen sich nicht durch ein gezieltes Carboloading aus. Im Gegenteil: Die KH-Aufnahme liegt teilweise unter den Empfehlungen für Freizeitsportler. Die Trink- und Eiweißmenge ist ebenso wie die Mikronährstoffzufuhr bedingt durch die gute Lebensmittelauswahl weiterhin bedarfsgerecht, und auch die KH-Aufnahme reicht für die Aktivität der jeweiligen Tage aus. Aber ein Carboloading nach dem Tapering-Prinzip – in der letzten Woche vor einem Wettkampf wird das Training nach und nach reduziert und die Kohlehydrataufnahme gesteigert - hätte eine Superkompensation bewirken und damit zu besser gefüllten Glykogenspeichern am Wettkampftag führen können. Besonders der letzte Ruhetag liefert mit 5 g KH/kgKG nicht genug Kohlenhydrate, um die Speicher effektiv zu füllen.

Der Tag des Rennens macht dann wieder die Erfahrung von Christian deutlich. Sein Lebensmittel- und Getränkeaufnahme während des Rennens ist situationsangepasst, seine Gesamt-KH-Zufuhr zufriedenstellend (7 g KH/kgKG). Das Bier nach dem Rennen hat er sich wirklich verdient. Da die nächsten Rennen noch in weiter Ferne sind, ist der Aspekt der beschleunigten Regeneration für das Ernährungsverhalten zweitrangig.

Fazit:
Kompliment an Christian Knees, seine Basis ist gut. Die Eiweißversorgung stimmt während allen Tagen der Rundfahrt, und auch an den Ruhetagen hält Christian seine Fettaufnahme in einem niedrigen, sportgerechten Bereich – klasse. Die Trinkmengen sind gut. Christian trinkt ganz bewusst, nur so lassen sich adäquate Trinkmengen realisieren. Auch die KH-Aufnahme ist meist ausreichend. Hier hat Christian aber noch Potenzial: durch eine bessere zeitliche Abstimmung, durch eine gezielte Regeneration und durch eine bewusste „Carboloadingphase“ wird er sein Ernährungsverhalten optimieren können.

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