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22.08.2009 | Die Saison 2008 war bei Columbia schon sehr erfolgreich,
2009 läuft es fast noch besser. Hätten Sie es der Mannschaft zugetraut, dass
noch einmal eine Steigerung möglich ist?
Rolf Aldag: "Man hofft natürlich, aber muss auch realistisch sagen,
dass man irgendwann an eine Grenze kommt, wo ein Jahr mit weniger Siegen nicht
automatisch ein schlechtes Jahr sein muss. Das Ziel vor der Saison war, die
Qualität der Siege zu steigern. Wir wollten uns mehr auf die ganz wichtigen
Events konzentrieren. Das hat mit San Remo, dem Giro und der Tour bisher auch
sehr gut geklappt. Ob wir am Ende dann vielleicht ein paar Siege weniger als
letztes Jahr haben, das macht die Saison nicht schlechter."
Was war das Highlight unter den vielen Siegen?
Rolf Aldag: "Überraschend kam der Erfolg in San Remo. Dass wir mit
Cavendish Etappen bei Giro und Tour gewinnen können, das war schon geplant.
Dass es dann aber so viele wurden, war dann doch auch überraschend. Unerwartet
auch der Etappensieg bei der Tour mit dem Kategorie-2-Berg kurz vor dem Ziel,
als nur noch 30 Mann in der Gruppe waren. Diese Etappe hatten wir nicht
wirklich eingeplant.“
Cavendish scheint noch schneller zu sein
als 2008. Er kommt aber auch deutlich besser über die Berge. Wie konnte er sich
in zwei so gegensätzlichen Dingen verbessern?
Rolf Aldag: "Ich glaube nicht unbedingt, dass er schneller ist.
Es ist natürlich auch von Vorteil, dass die Mannschaft eine tolle Vorarbeit
leistet. Mit Mark Renshaw bildet er bis zur 200-Meter-Marke ein Tandem. Er
fährt einfach nur hinterher. Das ist sehr luxuriös für ihn. Vorher musste er
schon den einen oder anderen Antritt machen, um in die richtige Position zu
kommen. Jetzt hat er eine Mannschaft vor sich, die ihn ab drei, vier Kilometer
vor dem Ziel vorne platziert. Er spart so viel mehr Energie für den letzten
Sprint. Außerdem hat er ein bisschen an Gewicht verloren. Er fährt jetzt auch
die ersten Rennen nicht mehr, um dort abzunehmen sondern geht schon früh im
Jahr fit in die Rennen, um gleich zu gewinnen. So kann er mehr mit der Form,
die ihm zur Verfügung steht, spielen.“
Der Zug für Cavendish hat vor allem bei
der Tour hervorragend funktioniert. Wie oft wurde das trainiert?
Rolf Aldag: "In der Komplettbesetzung gar nicht so oft. Das war nicht
möglich, weil die Fahrer verschiedene Programme hatten. Aber die Fahrer haben
eine Klasse. Wenn sie das einmal, z.B. bei der Kalifornien-Rundfahrt, trainiert
haben, verlernen sie das dann nicht mehr. Sie können sich schnell aufeinander
einstellen. Letztlich waren sie bei der Tour aber nicht nur taktisch schlauer,
sondern einfach auch richtig gut.“
Wer war die Überraschung, wer ist hinter
den Erwartungen zurückgeblieben?
Rolf Aldag: "Überraschung war Rabon mit frühen Zeitfahrsiegen. Er
hätte beim Criterium International, das er als Zweiter beendete, fast den
Dauersieger Jens Voigt geschlagen. Er hat sich vom reinen Helfer zu einem
Siegfahrer verbessert. Bei einigen Fahrern hatten wir hingegen etwas Pech mit
Verletzungen, was sich dann auch in den Resultaten widerspiegelte. Kim Kirchen
hat sich in Kalifornien das Schlüsselbein gebrochen und ist nur schwer in
Schwung gekommen. Bei der Tour de Suisse hat er dann überlegen eine Etappe
gewonnen, war aber sicherlich nicht so in Form wie im letzten Jahr.“
Die Erfolge im Team wecken natürlich auch
Begehrlichkeiten von anderen Mannschaften, gerade wenn Verträge auslaufen. Wie schwer ist es, für die kommende Saison die
Mannschaft zusammen zu halten?
Rolf Aldag: "Wenn Verträge auslaufen, dann hat jeder Fahrer das
Recht, sich umzuorientieren oder mehr Geld zu verdienen. Das ist keine einfache
Situation für uns. Schon im Mai hatte ich ein Gespräch mit einem Manager, der
mir gesagt hat: Wenn ihr den Wert eurer Mannschaft aufs Papier schreibt, dann
steht da unterm Strich: Unbezahlbar.“
Können Sie bezüglich Neuverpflichtungen
und Abgängen etwas Konkretes sagen?
Rolf Aldag: "Nein, da wir diese 1. September-Regelung haben. Wenn
wir zuvor etwas bekannt geben, dann kann das richtig teuer werden. Außerdem
wollen wir irgendwann die Mannschaft auch als Gesamtes präsentieren. Wir sind
mit den Planungen aber auch noch nicht komplett durch. Deswegen treffe ich mich
am Rande der Irland-Rundfahrt mit Bob Stapleton. Da werden wir noch mal genau
über die Zukunft des Teams sprechen.“
Wie wird das Teams 2010
aussehen? Wird es viele neue Gesichter geben?
Rolf Aldag: "Grob absehen kann man das Ganze. Es werden viele junge
Fahrer zu uns stoßen. Vielleicht werden wir deshalb die Mannschaft etwas größer
machen als dieses Jahr. Mit unseren 25 Fahrern sind wir als ProTour-Team etwas
an unsere Grenzen gestoßen. Im Moment haben wir mit Eneco-Tour, GP Plouay und
der Irland-Rundfahrt ein Dreifachprogramm. Da wird es knapp wenn Sivtsov und
Hincapie mit Schlüsselbeinbruch ausfallen. Deshalb überlegen wir, ob wir
zahlenmäßig wieder etwas nach oben gehen, um die jungen Fahrer nicht von einem
Rennen zum anderen jagen zu müssen.“
Die Deutschen haben in diesem Jahr bei
Columbia überzeugt, allen voran Tony Martin und André Greipel. Wird man bei
Columbia auch weiterhin auf deutsche Fahrer setzen?
Rolf Aldag: "Bei uns ist es sicherlich kein Hindernis, Deutscher zu
sein, aber auch kein Vorteil. Bei uns spielt der Pass keine Rolle. Wenn wir
übermorgen einen super Chinesen sehen, dann könnte der auch ins Team
passen. Das bringt uns in eine gute Situation, weil wir nicht limitiert sind
bei der Fahrerauswahl. Wir haben jetzt noch eine starke Bindung zu Deuschland
und wahrscheinlich fallen uns Talente dort auch besser auf. Mit Jan Schaffrath
haben wir einen deutschen sportlichen Leiter, einen Berater Erik Zabel, meine
Wenigkeit, Physiotherapeuten und Mechaniker aus Deutschland. Da kriegt man
öfter auch mal einen guten Tipp, was Fahrer angeht, und da sind wir auch
weiterhin offen für. Eine der Stärken der Mannschaft war, dass sie auf jedem
Terrain Siege einfahren konnte.
Wird bei der Teamzusammenstellung für
2010 auch darauf wieder geachtet?
Rolf Aldag: "Ganz ehrlich muss man sagen, dass die
Frühjahrsklassiker mit Roubaix und Flandern für uns nicht übermäßig gut
gelaufen sind. Da waren wir auch nicht überdurchschnittlich besetzt und nicht die
bestimmende Mannschaft. Der Schwerpunkt wird weiter im Sprint auf Cavendish und
Greipel liegen. Da werden wir versuchen, noch gute Jungs für den Zug zu
bekommen. Man muss aber auch Ambitionen für die Gesamtwertung haben. Wenn man
im Auto 21 sitzt, macht das auch dem Sportlichen Leiter nicht viel Spaß. Ein
potenzieller Tour de France-Sieger steht bei uns aber nicht wirklich auf dem
Plan. Ich denke, dass unser Weg, auf Talente zu setzen, der richtige ist. Und
da ist Tony Martin das beste Beispiel. Erstes Jahr war Findungsphase, 2009 war
er sehr stark und wir hoffen, dass er 2010 noch gefestigter sein wird.“
Was trauen Sie Tony Martin in der Zukunft
zu?
Rolf Aldag: "Ich mache nie endgültige Prognosen. Wir wollen das
Schritt für Schritt angehen. Etwas anderes wäre auch psychologisch ganz
schlecht. Da muss man einfach scheitern. Hätten wir einem Cavendish 2007
gesagt, dass 2009 sechs Touretappensiege Pflicht seien, hätte er mit Recht gedacht: Die erwarten von mir Unmögliches. Deswegen gehen
wir lieber den nächsten Schritt. Deshalb haben wir auch gesagt, dass Grün für
Cavendish dieses Jahr kein Thema ist und nächstes Jahr wird es ein Thema. Und
so ist es mit Tony Martin auch. Er sollte zwar auf das Weiße Trikot fahren,
aber erst mal nur befristet. Und wir fahren gegen die direkten Gegner. Wir
haben nie gesagt, dass er Contador folgen soll. Stattdessen waren Kreuziger,
Nibali und Schleck der Maßstab. Das ist auch für den Kopf des Fahrers besser.
So wollen wir weiter vorgehen. Der nächste logische Schritt ist, dass er die
zwei schlechten Tage, die er hatte, eliminiert und konstant über drei Wochen
fährt. Dann ist realistisch, dass er zwischen zwölf und acht liegen wird. Dann
schauen wir weiter. Es liegt mir aber fern zu sagen, dass er mal die Tour
gewinnen wird.“
Welche Ziele haben Sie für die restliche
Saison?
Rolf Aldag: "Bei der Vuelta rechnen wir mit André Greipel. Nach
seiner Verletzung hat er fast gar nicht mehr verloren. In Polen hatte er jetzt
ein kleines Aha-Erlebnis, da hat er vier Mal gegen verschiedene Fahrer
verloren, dann die Schlussetappe gewonnen und in Hamburg wieder etwas den Faden
verloren. Für ihn ist es wichtig, Kontinuität bis zum Ende des Jahres
hinzukriegen. Die Vuelta ist ein Highlight für ihn. Ansonsten kann man sagen,
dass es kein schlechtes Jahr mehr wird, egal wie viele Siege es noch werden.
Unser gutes Jahr kann uns keiner mehr schlecht machen. Der Fokus liegt jetzt
schon auf 2010. Da ist es im Zweifelfall wichtiger, bei Paris-Tours eine
Reihenfolge im Sprint zu finden für 2010, als das Rennen zu gewinnen. Wir
wollen immer einen Schritt voraus sein.
Werden noch Stagiaires verpflichtet?
Rolf Aldag: "Wir hatten es überlegt und es hätte auch Sinn
gemacht. Wir hätten schon ein, zwei Kandidaten gerne gesehen. Es ist aber nicht
dazu gekommen, auch weil Nationalmannschaften für die WM ihre Pläne machen. Da
wollen wir nicht reingrätschen. Wir halten uns da zurück und vollziehen den
Wechsel danach. Wir wissen, dass die Fahrer in guten Händen sind und starten
dann nach der WM."
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