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04.07.2011 | Nein, nicht ich. Aber ich kann mir nicht verkneifen, mich nach so einem packenden Mannschaftszeitfahren zu diesem Sekundenkrimi zu melden.
Es waren knappe Abstände vorhergesagt worden - aber dass am Ende sieben Teams innerhalb von 12 Sekunden liegen würden, hatte ich nicht erwartet. Gerade dann nicht, wenn ein Drittel aller Rennställe doch rund eine Minute und mehr Rückstand kassieren.
Schade, dass es für keinen der drei deutschen Trümpfe gereicht hat, aber der Triumph von Garmin liefert auch jede Menge schöner Geschichten, die einen späten Blog wert sind.
Vor allen anderen Favoriten gestartet, musste die Truppe anderthalb Stunden zittern, bis der Sieg feststand. "Die Spannung im Bus war unglaublich. Bei uns allen schlug das Herz so schnell wie während des Zeitfahrens selber. Es war ein ganz besonderer, ein magischer Moment", schilderte David Millar die entscheidenden Minuten.
Dann war der Coup perfekt, der ersehnte erste Sieg bei der nun vierten Teilnahme des Rennstalls eingefahren. Und das auch noch in der Lieblingsdisziplin Mannschaftszeitfahren und gekrönt mit dem Gelben Trikot.
Zig Kreise schließen sich
Teamchef Jonathan Vaughters, der aus seiner Besessenheit von dieser Disziplin keinen Hehl macht, konnte es kaum fassen, dass der Coup geglückt war: "Ich glaube, ich habe mir gerade in die Hose gemacht", war seine erste Reaktion via Twitter.
Nicht nur für ihn schloss sich mit dem hauchdünnen Sieg ein Kreis: Auch Hushovd, der im Bergtrikot um den Kurs jagte, war vor zehn Jahren schon im Mannschaftszeitfahren der Tour erfolgreich gewesen.
Nach durchwachsenem Frühjahr wurde der Weltmeister nun mit diesem Erfolg und dem "maillot jaune" belohnt - allein mit dem Norweger ließe sich eine halbe Sonderbeilage füllen. Doch auch viele weitere Teamkollegen schrieben heute ihre ganz besondere, eigene Geschichte:
Mehr als nur ein Sieg war es auch für David Zabriskie, sechs Jahre nachdem er in der Vendée erst zu Gelb gerast war, um dieses dann eben im Mannschaftszeitfahren durch einen Sturz kurz vor Ziel zu verlieren. Was für eine Revanche auch für Ryder Hesjedal, der 2009 und um Montpellier verzweifelt als fünfter Mann dem Tempo der Teamkollegen folgte und die dezimierte Truppe Platz zwei erkämpfte.
Welche späte Erfüllung für den Dopingsünder David Millar, der zum Ende seiner Karriere als geläuterter Athlet noch einmal ein solches Highlight genießen kann, elf Jahre nach seinem Auftakt-Sieg bei der Tour 2000. Was für eine Genugtuung auch für Christian Vande Velde, der gestern vielleicht schon die Chance aufs Podium verlor und heute diesen grandiosen Trostpreis erhielt.
Nicht zu vergessen, dass er es war, der im Mannschaftszeitfahren 2001 bei US Postal stürzte, Roberto Heras mitriss und sich schreckliche Vorwürfe machte, er habe die Truppe um den Sieg gebracht.
"Küchentraum" wird wahr
Im Jahr 2008 trug er beim Giro das Rosa Trikot nach dem Sieg im Mannschaftszeitfahren, wurde im Anschluss Vierter der Tour. Danach konnte er nach Stürzen nie wieder seine ganze Klasse zeigen. "Vor vier Jahren standen wir in seiner Küche und träumten davon", verriet Millar heute - und: "Ihm kamen die Tränen".
So wird es wahrscheinlich auch Tyler Farrar gegangen sein, der in der Stunde des Triumphes mehr als nur einen Gedanken für seinen verstorbenen Freund Wouter Weylandt gehabt haben wird.
Nicht zu vergessen Julian Dean: So viele Sprintsiege hat er als Anfahrer vorbereitet - heute war er ein Anfahrer der besonderen Art, der sein Team von der Startrampe weg perfekt aus dem Ort manövrierte und auf "Reisegeschwindigkeit" brachte.
Und wie muss sich Ramunas Navardauskas gefühlt haben: Als Neo-Profi rückte der Meister Litauens erst in letzter Minute und für viele extrem überraschend ins Tour-Team. Jetzt stand er an seinem zweiten Tour-Tag schon ganz oben auf dem Podest.
Schließlich fand ich es bemerkenswert und eine schöne Geste, dass der Sportliche Leiter Lionel Marie im ersten Sieger-Interview an unserem Mikrofon auch an seinen Mentor Roger Legeay dachte, der ihm "alles über das Mannschaftszeitfahren beigebracht" hatte.
Vorreiter ganz vorne
So - ich höre natürlich schon beim Schreiben das langsam immer lauter werdende Gebrummel: Sieger bejubeln? Im Radsport? Wo doch stets die kritische Vorbemerkung und zweifelnde Fußnote erste Bürgerpflicht sind?
Keine Sorge, so pflichtvergessen bin ich nicht. Aber als Begleiter und Beobachter muss ich ja auch irgendwann mal Stellung beziehen. Und wenn ich bei einem Team, seiner Leitung, seiner Philosophie und besonders seinen konkreten Maßnahmen im Kampf gegen Doping nicht Bauchschmerzen bekomme, sondern die Fakten zu einem guten Bauchgefühl führen - dann muss das auch mal gesagt werden.
Es ist einfach - und sehr oft auch die einfach richtige Position - sich an den Generalverdacht zu halten. Aber Vaughters und sein Team haben in den Jahren des Bestehens des Rennstalls immer wieder neben Worten auch Taten sprechen lassen und eine mutige Vorreiterrolle übernommen. Ein glaubwürdiges zusätzliches Kontrollprogramm, das etwa schon jetzt Test zu jeder Tages- und Nachtzeit erlaubt, Veröffentlichung von Blutwerten, strikter Verzicht auf Injektionen jeder Art, lange bevor dies nun allgemein verpflichtend wurde: Die Liste ist lang und deshalb ist es nicht fair, Garmin mit jenen Mannschaften in einen Sack zu stecken, die noch immer vor allem Teil des Problems und nicht der Lösung sind.
Vaughters nutzte den Moment des Sieges denn auch, um einmal mehr Klartext zu sprechen: "Natürlich gibt es viele Dopingfälle, aber das ist nicht unbedingt eine schlechte Sache: Das ist gut für die jungen Fahrer", erklärte er. "Sie sehen, dass das Kontrollsystem ein so hohes Niveau hat, dass die Betrüger erwischt werden - und dass es möglich ist, eine Karriere ohne Doping zu machen und dennoch Siege zu holen", so der einstige Armstrong-Teamkollege. Sein Fazit zum aktuellen Stand im Dopingkampf: "Ich glaube, eine große, große Mehrheit des Pelotons ist sauber.
So weit bin ich dann doch noch nicht - aber der Sieg von Garmin macht mir ganz sicher keine schlaflose Nacht. Und das liegt eben nicht nur an der Uhrzeit.
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