Nibali mit Comeback, Chaves neuer Giro-Spitzenreiter

Kruijswijk verliert das Rosa Trikot nach Saltosturz in den Schnee

Von Daniel Brickwedde

Foto zu dem Text "Kruijswijk verliert das Rosa Trikot nach Saltosturz in den Schnee"
Der demoralisierte Steven Kruijswijk (LottoNL-Jumbo) im Ziel der 19. Giro-Etappe | Foto: Cor Vos

27.05.2016  |  (rsn) - Showdown in den Alpen beim 99. Giro d’Italia – und eine Etappe, die an Dramatik und Tragik kaum zu überbieten war. Stürze, Verfolgungsjagden, der "Cima Coppi" und ein erneuter Führungswechsel an der Spitze der Gesamtwertung: Die 19. Etappe hatte das Zeug für die Giro-Geschichtsbücher.

Das Teilstück über 162 Kilometer vom Pinerolo zur Bergankunft nach Risoul gewann schließlich Vincenzo Nibali (Astana) vor Mikel Nieve (Sky/+0:51) und Esteban Chaves (Orica-GreenEdge/+0:53), der als Tagesdritter das Rosa Trikot übernahm. Der bisherige Spitzenreiter Steven Kruijswijk (LottoNL-Jumbo) wurde zum großen Pechvogel und verlor das Trikot nach einem Sturz. Für den ebenfalls gestürzten Ilnur Zakarin (Katusha) ist der Giro sogar beendet.

Die Szene des Tages – und möglicherweise des diesjährigen Giro d’Italia – spielte sich 55 Kilometer vor dem Ziel kurz nach der Kuppe des Colle dell'Agnello (2.744 Meter) ab. Kruijswijk versteuerte sich in einer Kurve, prallte spektakulär in eine meterhohe Schneewand und überschlug sich. Das Rosa-Trikot am Boden – der Giro verloren?

Zweimal musste der Niederländer bei seiner Aufholjagd in der Folge anhalten: Einmal um sein defektes Rad zu richten und dann, um seine Maschine zu tauschen. Bis ins Ziel im französischen Wintersportort Risoul kämpfte er aufopferungsvoll um sein Spitzenreitertrikot – doch vergebens. Die Kontrahenten waren enteilt, Kruijswijk auf sich alleine gestellt und seine komfortable Führung  schmolz dahin. Am Ende schleppte er sich mit 4:54 Minuten hinter dem Tagesieger ins Ziel.

"Ich habe den Giro verloren. Es war ein dummer Fehler auf der Abfahrt. Ich habe alles vermasselt. Ich bin  in die Schneemauer gestürzt, habe den Kontakt verloren und wusste, dass es vorbei ist", sagte ein völlig demoralisierter und vom Sturz gezeichneter Kruijswijk im Ziel den Reportern. "Ich habe probiert, wieder vorzufahren, aber mir hat alles wehgetan und auch die Moral war im Eimer."

Die diesjährige Italien-Rundfahrt ist damit um eine überraschende Wendung reicher. Dabei wirkte Kruijswijk bis zu seinem verhängnisvollen Sturz erneut souverän und parierte im endlos langen Anstieg zum Colle dell'Agnello alle Attacken. Zusammen mit Chaves und Nibali überquerte er den Gipfel knapp fünf Minuten hinter dem zu diesem Zeitpunkt führenden Michele Scarponi (Astana) – allerdings mit einem kleinen Vorsprung auf die anderen Favoriten wie Alejandro Valverde (Movistar), Ilnur Zakarin (Katusha) oder Rafal Majka (Tinkoff).

Doch auf der Abfahrt nahm das Verhängnis seinen Lauf. Kruijswijk stürzte und wurde auch noch von der Gruppe um Valverde überholt, wohingegen Nibali und Chaves in der 45 Kilometer langen Abfahrt davonzogen. Neuer Mann im Rosa-Trikot ist nun Chaves, der mit einem Vorsprung von 44 Sekunden auf Vincenzo Nibali und 1:05 Minuten vor Kruijswijk auf die morgige letzte schwere Etappe der Rundfahrt geht.

"Das war heute ein tolles Rennen für mich. Am wichtigsten ist, dass ich nun das Rosa Trikot trage. Ich bin wirklich glücklich. Das Team hat unglaublich gearbeitet. Im Finale wollte ich Nibali folgen, doch er war stärker. Ich nahm am Ende das Maglia Rosa und werde versuchen, es morgen zu verteidigen", sagte der 26-jährige Chaves im Ziel.

Doch besonders Nibali wird Chaves auf der letzten Prüfung fürchten müssen. Der Italienische Meister meldete sich mit dem Etappensieg eindrucksvoll zurück und ist plötzlich wieder in Reichweite zum Maglia Rosa. Dabei musste Nibali nach einer Tempoverschärfung von Orica-GreenEdge am Colle dell'Agnello zunächst Chaves, Kruijswijk und Valverde ziehen lassen – um sich dann aber wieder zurückzukämpfen.

"Ich habe schon gesagt, dass der Giro erst in Turin endet. Glückwunsch an Vincenzo, er war heute brillant. Er ist ein echter Champion und Gratulation ans Team, weil es heute hart gearbeitet hat", lobte Teammanager Alexander Winokurow seinen Schützling und die gesamte Teamleistung und blickte kämpferisch voraus: "Dieser Erfolg ist eine Extra-Motivation für das Team. Nichts ist entschieden. Morgen werden wir es wieder probieren. Chaves hatte Probleme, bis es vorbei ist, kann niemand sagen, was noch kommt."

Auf den vorherigen Bergetappen zeigte Nibali deutliche Schwächen, doch auf dem Ritt durch die Alpen schien er zu gewohnter Stärke zurückgefunden zu haben. Astana bot mit Bakhtiyar Kozhatayev und Michele Scarponi zwei Fahrer in der 28 Fahrer starken Fluchtgruppe auf, die sich in den rennentscheidenden Momenten zurückfallen ließen und ihrem Kapitän den Weg zum Tagessieg ebneten.

Nach und nach wurden die Fahrer der zersprengten großen Spitzengruppe eingeholt. Als letzter wurde schließlich Maxime Monfort (Lotto Soudal) im Schlussanstieg zehn Kilometer vor dem Ziel gestellt. Am besten schlug sich aus der Gruppe Mikel Nieve (Sky), der sich an Nibali und Chaves klemmte und letztendlich Etappenzweiter wurde. Gegen Nibalis Attacken rund fünf Kilometer vor dem Ziel waren allerdings seine beiden Begleiter machtlos. Die erste Attacke konnte noch Chaves parieren, aber mit der zweiten löste sich der Giro-Gesamtsieger aus den Jahren 2013 schließlich mühelos.

Zuvor hatte sich Teamkollege Scarponi bereits als Solist aus der Gruppe am höchsten Anstieg dieser Rundfahrt, dem Colle dell'Agnello, den begehrten "Cima Coppi"-Preis gesichert. Im Anschluss leistete der 36-jährige Routinier noch wertvolle Arbeit im Schlussanstieg und hatte großen Anteil daran, dass sowohl die Verfolgergruppe um Valverde und Majka als auch Kruijswijk kontinuierlich Zeit verloren.

Valverde erreichte schließlich zusammen mit Majka und Rigoberto Uran (Cannondale) das Ziel mit 2:14 Minuten Rückstand, nachdem die Gruppe den Rückstand nach dem Colle dell'Agnello nicht mehr zufahren konnte. In der Gesamtwertung verlor der Spanier Platz drei und ist nun neuer Vierter mit 1:48 Minuten hinter Chaves.

Beendet ist dagegen die Rundfahrt für Zakarin. Der Russe startete die Etappe als Gesamtfünfter, kam in der Abfahrt vom Colle dell'Agnello jedoch wesentlich heftiger zu Fall als Kruijswijk. Die Bilder ließen zunächst Schlimmstes befürchten, als der Russe einige Meter abseits der Straße lag.

"Das war ein brutaler Sturz. Die Ärzte haben zunächst sichergestellt, dass er sich bewegen kann. Dann war schnell klar, dass es sich um einen Bruch des Schlüsselbeins handelt. Das ist bitter für Ilnur, der in guter Form war und sicher noch eine gute Rolle hätte spielen können", kommentierte sein Sportlicher Leiter Dmitry Konyshev das Aus. 

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

01.06.2016Der 99. Giro d´Italia von A bis Z

(rsn) - Der 99. Giro d´Italia endete in einem spannenden Finale mit dem zweiten Erfolg von Vincenzo Nibali (Astana) nach 2013. Das ist fast allen bekannt. Doch es gibt auch viele wichtige und unwicht

30.05.2016Majka: Es fehlte der gewisse "Boom"

(rsn) – Zum angestrebten Podiumsplatz hat es für Rafał Majka bei der 99. Italien-Rundfahrt letztendlich nicht gereicht. Der Pole kann zwar mit seiner Leistung in den letzten drei Wochen und au

30.05.2016Nibali hat ein großes Kapitel im Giro-Geschichtsbuch sicher

(rsn) – Mit einem unglaublichen Comeback hat sich Vincenzo Nibali doch noch den Gesamtsieg und ein großes Kapitel im Geschichtsbuch des Giro d´Italia gesichert. Um die Bedeutung der Ereignisse des

30.05.2016Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 21. Etappe

(rsn) - Zum Auftakt des 99. Giro d´Italia in Apeldoorn waren am Freitag 198 Fahrer mit von der Partie. Längst nicht alle haben am 29. Mai das Ziel in Turin erreicht. Sturzverletzungen, Erkrankungen,

30.05.2016Kluge geht in Turin leer aus, freut sich aber für Arndt

(rsn) – Nach seinem Coup von Cassano d‘Adda ging Roger Kluge auf der letzten Giro-Etappe zwar leer aus. Dafür konnte sich der IAM-Profi, der nach 163 Kilometern von Cuneo nach Turin Rang 42 beleg

29.05.2016Vegni: "Nibali hat uns ein großartiges Finale beschert"

(rsn) – Nach dem Ende des 99. Giro d’Italia stand Renndirektor Mauro Vegni radsport-news.com zu einem Interview zur Verfügung. Dabei sprach der Italiener über die Siegesserie der deutschen Sprin

29.05.2016Arndt zeigt Mitgefühl für "Verlierer" Nizzolo

(rsn) - Plötzlich Etappensieger beim Giro d’Italia, ohne als Erster über den Zielstrich gefahren zu sein - ein ungewohntes wie seltsames Gefühl für Nikias Arndt (Giant-Alpecin). Entsprechend ver

29.05.2016Nibali erinnert die Italiener an den großen Coppi

Turin (dpa) - Die italienischen Radsport-Fans fühlten sich an den großen Fausto Coppi erinnert. Mit unbändigem Willen riss Vincenzo Nibali - wie der Campione im Jahr 1953 - mit einem sagenha

29.05.2016Jungels mit gezieltem Bergtraining zum Höhenflug

(rsn) – Zum Abschluss des 99. Giro d`Italia musste sich Matteo Trentin (Etixx-Quick-Step) in Turin hinter Nikias Arndt (Giant-Alpecin) zwar mit Rang zwei zufrieden geben. Der Italiener konnte sich z

29.05.2016Highlight-Video der 21. Giro-Etappe

(rsn) – Für Vincenzo Nibali (Astana) entwickelte sich die 21. und letzte Etappe des 99. Giro d’Italia zum Schaulaufen. Während der Italiener am Sonntag sein Rosa Trikot sicher ins Ziel brachte,

29.05.2016Arndt gewinnt die Schlussetappe am Grünen Tisch

(rsn) - In Turin wurde am Sonntag der Schlusspunkt des 99. Giro d’Italia gesetzt. Drei Wochen nach dem Start im niederländischen Apeldoorn war die norditalienische Metropole Schauplatz der letzten

29.05.2016Nibali feiert Gesamtsieg, Arndt gewinnt Finale in Turin

(rsn) – Vincenzo Nibali (Astana) hat zum zweiten Mal nach 2013 den Giro d’Italia gewonnen. Die abschließende 21. Etappe, die am Sonntag über 163 Kilometer von Cuneo nach Turin führte, entwickel

Weitere Radsportnachrichten

17.12.202483. Paris-Nizza mit zwei Bergankünften und Teamzeitfahren

(rsn) – Die 83. Ausgabe der Fernfahrt Paris – Nizza (9. – 16. März) 2.UWT) hat je drei Etappen für Sprinter und Kletterer, ein Teilstück für Puncheure und auch wieder ein Teamzeitfahren im P

17.12.2024Pogacar-Helfer will den “Killerinstinkt“ wieder erwecken

(rsn) - Felix Großschartner (UAE Team Emirates) steckt zwar gerade in Spanien, im Luxusresort Grand Hotel Luxor in Benidorm, in dem es von pharaonischen Symbolen wie Obelisken, Sphinxen und Pyramiden

17.12.2024UAE: Sechsjahresvertrag mit neuem Sponsor XRG

(rsn) – Bereits vor einer Woche wurde beim Medientag des UAE Teams Emirates bekannt, das der Rennstall künftig auf einen weiteren finanzstarken Geldgeber bauen kann, der ab 2025 als neuer Co-Namens

17.12.2024Pidcock verzichtet in diesem Winter auf Crossrennen

(rsn) – Tom Pidcock wird in diesem Winter auf Einsätze im Gelände verzichten. Das teilte der 25-jährige Brite auf Instagram mit. “Am Sonntag habe ich mir meinen ersten Cyclocross dieser Saison

17.12.2024Behrens und Lippert Deutschlands Radsportler des Jahres

(rsn) – Niklas Behrens, Liane Lippert und Anastasia Kuniß sind Deutschlands Radsportler des Jahres. U23-Weltmeister Behrens ließ bei der zum 54. Mal von den Zeitschriften Radsport und RennRad durc

17.12.2024Zwischen riesigem Jubel und einer bitteren Zwangspause

(rsn) – Besser als die Saison 2024 hat ein Jahr für Kevin Geniets (Groupama – FDJ) aus sportlicher Sicht wohl noch nie begonnen: Gleich am ersten Renntag gewann er den Grand Prix La Marseillaise

17.12.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

17.12.2024Felline steigt vom Rad, Schweizer Vizemeister Pellaud nach China?

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

17.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

16.12.2024Die Trikots der WorldTeams für die Saison 2025

(rsn) - Wie bunt wird das Peloton 2025? Und welche werden die vorherrschenden Farben in der kommenden Saison sein? Nach und nach stellen die WorldTour-Rennställe ihre Trikots für das neue Jahr vor -

16.12.2024Alles begann mit Denks Brief an Mateschitz

(rsn) – Für die Öffentlichkeit begann der Poker um den Einstieg von Red Bull bei Bora – hansgrohe um den vergangenen Jahreswechsel herum. Eine Information der österreichischen Bundeswettbewerbs

16.12.2024Zivile Motorrad-Sicherheitskräfte bei niederländischen Rennen?

(rsn) – Mit der Ankündigung, dass in Folge des zweitägigen NATO-Gipfels Ende Juni in Den Haag für den Großteil der Saison keine Motorradpolizisten für Radrennen abgestellt werden könnten, hatt

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine