Interview mit Joachim Nischler, Hotel-Chef und passionierter Rennradler

500 Mal Stilfser Joch: “Die Murmeltiere kennen mich alle...“

Von Wolfgang Preß

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Joachim Nischler am 19. August 2019 auf der Passhöhe des Stilfser Jochs | Foto: lindenhof.it

23.05.2020  |  Bei unserer Leserwahl zu den schönsten Anstiegen der Welt landete das Stilfser Joch auf Platz drei, lediglich von der Radsport-Legende Mont Ventoux und den schönen Schleifen der Lacets de Montvernier geschlagen. Wer sich mit dem Stilfser Joch beschäftigt, der stößt recht bald auf Joachim Nischler, Chef des Radler-Hotels Lindenhof in Naturns im Vinschgau, der den Stelvio mittlerweile über 500mal befahren hat. radsport-news.com hat mit ihm gesprochen.

Grüß Dich, Joachim. Ich hoffe, es geht Dir gut, in diesen schwierigen Zeiten... Wir wollen über etwas angenehmes sprechen: Rennradfahren, und zwar auf das Stilfser Joch. Du bist im vergangen August zum 500. Mal die berühmten 48 Kehren gefahren. Wieviele Aufstiege sind denn seitdem noch dazu gekommen?
Joachim Nischler: Die Saison am Stilfser Joch ist ja immer recht kurz – meist so etwa von Mitte Mai bis Anfang November. Ich fahre also mindestens 20 Mal pro Jahr rauf, manchmal auch mehr. In dieser Zeit fahre ich jeden Dienstag mit Hotelgästen hoch, `Privatfahrten` aufs Stilfser Joch mache ich nicht mehr. Es gibt so viele schöne Pässe bei uns im Vinschgau und in Südtirol, die befahren werden wollen. Aber zurück zur Frage: Seitdem bin ich wohl noch so zehn Mal oben gewesen, bis zum Saison-Ende. Dieses Jahr machen wir wegen Corona erst Mitte Juni auf, daher werde ich erst dann wieder aufs Joch fahren, mit meinen Gästen.

Macht es überhaupt noch Spaß, wenn man schon so oft oben war? Du kennst auf der Strecke ja vermutlich jedes Murmeltier beim Namen...
Die Murmeltiere vermehren sich zeimlich, da wächst jetzt die dritte oder fünfte Generation heran, seit ich das erste Mal an ihnen vorbeigefahren bin. Alle kenne ich also nicht mehr... Aber ich bin sicher: Die kennen mich alle beim Namen. Und was den Spaß anbelangt: Der ist vor allem deshalb noch da, weil ich ja immer mit Gästen hochfahre und erlebe, wie sie staunen, wie es ihnen gefällt. Wobei in meinem Alter aus Spaß leider auch mal eine Tortur werden kann…

Wie war's denn beim 500. Mal? Irgendwelche besonderen Vorkommnisse? Du bist ja wenige Wochen zuvor auch noch 50 geworden...
Und jetzt willst Du mir sagen: Mit 50 fährt man doch diesen Pass nicht mehr  hoch? Ja, es wird schon immer anstrengender, weil ich als Hotel-Chef einen echten 24-7-Job habe, und nicht ganz so viel Trainingszeit wie andere. Bei der Jubiläums-Fahrt habe ich mir wirklich Zeit gelassen, um das zu genießen - auch weil mein Vater mit dem Bus vorausgefahren war, und an jeder Ecke fotografiert hat. Freunde von mir haben noch "500"-Transparente aufgehängt.

Kannst Du dich noch an das erste Mal erinnern?
Boah, da war ich ein 12-jähriger Bub. Und wie in der Liebe vergisst man das erste Mal nie. So war's auch mit meiner ersten Fahrt aufs Joch. Wenn es gut geht, dann bleibt man sich treu; so war's bei mir, jedenfalls mit dem Stilfser Joch - das seit letztem August übrigens Stilfser Joachim heißt (grinst). Ihm bleibe ich treu, bis zum Ende...
Es war mein Traum schon als Kind, aufs Stilfser Joch zu fahren. Weil ich von den Großen immer gehört habe, wie schwierig das doch sei, mit diesen 48 Kehren. Die Zeit, die ich damals gebraucht habe, weiß ich heute nicht mehr. Ich hatte ein Stahl-Rad, und das war furchtbar schwer. Natürlich noch mit Haken, keine Klickpedale, die Schalthebel am Unterrohr. Unterwegs hab ich rohe Eier geschlürft, weil ein älterer Freund das auch immer so gemacht hat. Zwei Kurven später mussten die allerdings schon wieder raus...
Ich vermute mal, ich war deutlich schneller als heute - da brauche ich schon mal von Prad aus zwei Stunden; früher für mich ein no go. Meine Bestzeit liegt bei 1/31 Stunden; leider bin ich nie unter die magische Grenze von 1/30 gekommen. Im Vinschgau gibt's keine zehn Rennradler, die das geschafft haben. Und jetzt: auch noch das Alter...

Mal blöd gefragt: Wie hast Du eigentlich gezählt? Als Du angefangen hast, gab's ja weder Strava noch Navis...
Ich habe als Bub und junger Mann jedes Mal, wenn ich hochgefahren bin, einen Haken an die Karte in meinem Zimmer gemacht. Und das hat sich dann später so fortgesetzt. Und irgendwann über unsere stilfserjochwette.com (siehe Link hier unten) mitgeschrieben. Vermutlich bin ich um einiges öfters oben gewesen. Zeugen habe ich übrigens auch: ein Freund im Restaurant des Hotel Stelvio, und ein Würstlstandl-Besitzer in Prad.

Du bist Chef des Hotels Lindenhof, nicht weit vom Stilfser Joch. Da gibt's seit 20 Jahren die eben genannte Stilfser-Joch-Wette: Jeden Dienstag während der Rad-Saison fährst Du mit Gästen auf das Joch – und wer schneller ist als Du, bekommt eine Wellness-Behandlung. Nun bist Du in den vergangenen Jahren vermutlich nicht mehr wirklich schneller geworden... Habt ihr eure Wellness-Abteilung mittlerweile ausbauen müssen?

Da wird mir jetzt erst der Zusammenhang klar, warum wir unsere Wellness-Abteilung immer wieder ausgebaut haben; vor zwei Jahren sogar einen Wellnessturm angebaut, mit neun Saunen und zig Ruheräumen. Ein Urlauber-Portal hat uns daraufhin unter die drei besten Wellness-Hotels in Europa eingereiht. Deswegen lasse ich andere gern gewinnen, am Joch…
Aber im Ernst: Am Anfang war es für meine Gegner wohl schon hart. Nicht mehr als zehn Prozent haben mich geschlagen und Gutscheine bekommen. Mittlerweile sind die Chancen besser: Etwa jeder vierte Teilnehmer gewinnt einen Wellness-Gutschein, Tendenz weiter steigend…

Was war Dein schönstes Erlebnis am Joch?
Das wohl an meinem 40. Geburtstag. Ich habe alle meine Radfreunde zur Auffahrt eingeladen, aber keiner hatte Zeit. Immerhin: Ab Kehre 30 waren immer wieder mit weißer Farbe Geburtstagswünsche auf den Teer geschrieben. Und in der Kehre 40 dann die Überraschung: Meine zehn besten Freunde haben auf mich gewartet, mit Ziehharmonika, Speck, Wein und Schnaps. Feuchtfröhlich sind wir dann auf der Schweizer Seite abgefahren. Aber an der Grenze hat mich die Finanz-Polizei gefilzt. Ich habe wirklich lang gebraucht, bis ich kapiert hatte. Erst als sie eine Doping-Kontrolle machen wollten, mit einer riesigen Spritze, da habe ich es gecheckt. Echt peinlich für mich, aber für meine Freunde natürlich eine Mords-Gaudi.

Und was war Dein schlimmstes Erlebnis?
Das war wohl der Tag, an dem mich zum ersten Mal eine Frau geschlagen hat. Ich schaue mir meine Konkurrenten ja schon immer vorher genauer an. Speziell definierte Unterschenkel sind für mich ein Gradmesser, wie die Konkurrenz aufgestellt ist. An dem Tag ist mir einer aufgefallen, wo mir klar war, auf den muss ich aufpassen. Am Start habe ich mich gleich hinter ihn geklemmt, und bis zur Stilfser Brücke ist mir das recht gut gelungen. Aber dann hat er angefangen, Tempo zu bolzen, und den Rythmus zu wechseln, da war ich bald platt.
Habe dann Tempo raus genommen und mir gedacht, dann klemme ich mich eben an seine bildhübsche Frau: Wenn ich schon gegen ihn verliere, kann ich doch wenigstens mit seiner Frau flirten. Ich musste nicht lange warten, und sie war da. Als guter Südtiroler wollte ich plaudern, über Gott und die Welt. Aber falsch gedacht, schon nach fünf Minuten musste ich abreissen lassen. Eine gute viertel Stunde hinter ihr war ich am Joch. Großes Gelächter, ich total benommen. Dann hat mir ihr Mann unter Schmunzeln verraten, wer seine Frau ist: Leila Orenos - die bereits mehrmals den Ötztaler gewonnen hat. Ein Glück für mich: Es war doch keine Schande...

Kennst Du eigentlich Giuliano Calore? Ein Stelvio-Freak wie Du – vielleicht noch ein wenig verrückter: Er hat auf dem Joch 13 Guiness-Rekorde aufgestellt, ist ohne Lenker und Bremsen gefahren, hat währenddessen Musik-Instrumente gespielt... Mittlerweile ist er über 80, und fährt immer noch hoch. Habt ihr euch mal getroffen?
Leider nein. Ich habe viel von ihm gelesen. Aber ich will jetzt nicht sagen, dass er mein Vorbild ist - ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass ich in dem Alter noch aufs Stilfser Joch fahre. Jedenfalls nicht mit dem Rennrad...

Du hast knapp 40 Jahre für 500 Auffahrten gebraucht. Rechnest Du damit, noch die tausendste zu schaffen?
Wie gesagt: Ich bin nicht Giuliano Calore. Vielleicht fahre ich ja mit 80 den Bus, der unsere Gäste nach Prad bringt. Obwohl mir manche Leute schon heute den Führerschein abnehmen wollen (grinst)… Also: die 1000 darf gerne ein anderer machen!

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