Rowe in Flandern disqualifiziert, Sagan beim Amstel nicht

Auslegung der “Radweg-Regel“ sorgt wieder für Diskussionen

Von Felix Mattis

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Peter Sagan (Bora-hansgrohe, im roten Kreis) kürzt beim Amstel Gold Race ab, ohne einen Vorteil dadurch zu erlangen. | Foto: Cor Vos

19.04.2018  |  (rsn) - Die UCI und ihre Regelauslegungen - oft ein Buch mit sieben Siegeln. Das bemängelte in der belgischen TV-Sendung Extra Time Koers nun auch Lotto Soudal-Profi Tiesj Benoot. "Die UCI ist nicht konsequent", sagte der 24-Jährige mit Blick auf die in der Saison 2014 eingeführten Paragraph 1.2.064bis des UCI-Regelwerks. Dabei geht es um das Verbot der Benutzung von Fußgängerwegen oder Radnstreifen am Straßenrand, die zum Beispiel durch Bordsteine von der Straße getrennt sind.

Ein Verstoß gegen diese Regel wurde Sky-Profi Luke Rowe bei der Flandern-Rundfahrt zum Verhängnis. Der Brite fuhr auf einige Meter hinter Fans auf einem abgetrennten Rad-Weg und wurde daraufhin von der UCI-Jury disqualifiziert (siehe erstes Video unter dem Text). Nun aber sind TV-Aufnahmen aufgetaucht, die Weltmeister Peter Sagan (Bora-hansgrohe) beim Amstel Gold Race beim Verlassen der Straße und Abkürzen über eine Tankstellenausfahrt zeigen (siehe zweites Video unter dem Text). Sagan wurde dafür nicht belangt.

"Nur wenn sie auch die besten Fahrer disqualifizieren, ist das ein echtes Statement und wird etwas ändern", so Benoot, der außerdem meint: "Rowe wurde aus dem Rennen genommen, obwohl es weniger schlimm war als bei Sagan." Der Belgier, der in diesem Jahr Strade Bianche gewonnen hat, will aber nicht falsch verstanden werden. Er fordere keine Strafe für Sagan, sondern verstehe nicht, warum Benoot disqualifiziert wurde.

"Wenn Luke das nicht gemacht hätte, wäre es zu einem Sturz gekommen. Ich denke nicht, dass man ihn dafür hätte aus dem Rennen neben sollen. Der Video-Schiedsrichter ist vielleicht selbst noch nie Rennen gefahren, sonst hätte er die Situation von Luke Rowe anders eingeschätzt", so Benoot.

Allerdings bietet das UCI-Regelwerk eine Erklärung für die Jury-Entscheidungen bei der Ronde und dem Amstel Gold Race in den beiden konkret angesprochenen Fällen. Dort nämlich heißt es: "Es ist streng verboten, Bürgersteige, Pfade oder Radwege zu benutzen, die nicht Teil der Strecke sind (zum Beispiel durch Randsteine, Seitenstreifen, Höhenveränderungen oder andere physische Gegenstände abgetrennt sind), wenn dadurch entweder für Fahrer, Zuschauer oder Rennpersonal eine gefährliche Situation entsteht oder dadurch ein signifikanter Vorteil gegenüber anderen Fahrern erlangt wird."

Es ist Auslegungssache, ob im Fall von Sagan eine Gefahr für drei Zuschauer in der Tankstellenausfahrt entstand. Einen Vorteil hatte der Weltmeister durch seinen kurzen Ausflug jedenfalls nicht: Er gewinnt keine Position im Feld. Auch Rowe gewann bei der Flandern-Rundfahrt in der Anfahrt zum Oude Kwaremont keine Position, sondern verlor sogar einige, weil er hart bremsen musste. Dieses harte Bremsen aber zeigt, dass er die auf dem Radweg stehenden Zuschauer durchaus in Gefahr brachte. Regelkonform ist die Disqualifikation Rowes also, und trotzdem bleibt Benoots Wunsch nach Fingerspitzengefühl der Jury, denn der Brite landete auf dem Radweg, um einen Sturz zu vermeiden.

Doch das Problem liegt tiefer, als in den beiden aktuellen Fällen von Rowe und Sagan. Die 2014 eingeführte Regel kommt häufiger in die Schussbahn. Es ist für die Fahrer schier unmöglich einzuschätzen, ob ihre Aktion nun geahndet wird oder nicht, weil die Auslegung so unterschiedlich ausfällt.

"Vor zwei Jahren ist die ganze Gruppe mit Sagan, Van Avermaet und Vanmarcke beim Omloop Het Nieuwsblad auf dem Radweg gefahren, obwohl es vorher fünf Mal wiederholt wurde, dass man dafür sofort vom Rennen ausgeschlossen würde. Die Gruppe dahinter durfte nicht auf den Radweg, fuhr auf dem Kopfsteinpflaster und verlor dadurch das Rennen - und die UCI intervenierte nicht", erinnert sich Benoot. "Wenn man vorher sagt, dass es nicht erlaubt ist und einige Fahrer es trotzdem bewusst tun, dann müssen sie rausgenommen werden. Auch wenn es die drei bis vier besten Fahrer sind. Nur dann würde ein echtes Statement gemacht, das auch etwas verändert. Sie müssen konsistent sein in ihren Entscheidungen, da liegt das Problem. Dann wären solche Szenen (wie mit Rowe und Sagan) auch kein Diskussionsthema mehr."

Doch das ist leichter gesagt, als getan, wie man auch an Benoots Forderung sieht, Rowe hätte nicht bestraft werden sollen. Das nämlich wäre schließlich auch keine konsequente und konsistente Regelumsetzung gewesen.

Bei einigen Klassikern in diesem Frühjahr, zum Beispiel bei Paris-Roubaix, verhinderten dieVeranstalter durch quergestellte Absperrungen die Benutzung der asphaltierten Seitenstreifen neben dem Kopfsteinpflaster. Völlig ausgemerzt würde das Problem aber wohl nur durch komplettes "Einzäunen" der Strecke mit Absperrgittern, was so teuer ist, dass viele Rennveranstalter dann wohl ihr Rennen absagen müssen.

Es scheint daher sicher, dass Paragraph 1.2.064bis auch in den kommenden Jahren, besonders bei den Klassikern, für Diskussionsstoff sorgen wird.

Die Szene mit Luke Rowe bei der Flandern-Rundfahrt:

Die Szene mit Peter Sagan beim Amstel Gold Race:

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