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15.04.2019 | (rsn) - Es war die Erfahrung aus 21 GrandTours, 54 Monument-Starts und 74 Siegen, die Philipp Gilbert einsetzte, um Nils Politt zu schlagen. Mit dem Sieg bei Paris-Roubaix hat der Belgier nach der Lombardei-Rundfahrt (2009 + 2010), Lüttich-Bastogne-Lüttich (2011) und der Flandern-Rundfahrt (2017) nun vier der fünf Monumente gewonnen. Jetzt folgt der Weltmeister von 2012 der Spur seiner legendären Landsleute Rik van Looy, Roger De Vlaeminck und Eddy Merckx, die bisher als einzige alle fünf für sich entscheiden konnten.
"Es war schon immer ein Traum von mir, alle Monumente zu gewinnen. Jetzt bin ich dem einen Schritt nähergekommen. Es ist ein besonderer Sieg“, freute sich Gilbert im Veldodrome nach 257 knüppelhart gefahrenen Kilometern. Ein Sieg, den vor drei Jahren niemand für realistisch gehalten hatte. Gilbert: "Viele Leute waren pessimistisch und haben gesagt, dass ich das nicht könne. Aber vor zwei Jahren habe ich Flandern gewonnen und jetzt Roubaix. Ich habe mich als Fahrer entsprechend verändert. Ich habe mich von einem Puncheur in einen Pflasterspezialist transformiert. Ich habe hart gearbeitet, um auf die Jagd nach den großen fünf zu gehen: Jetzt fehlt nur noch Mailand-Sanremo."
Für diese Metamorphose hatte er 2017 nach fünf erfolgreichen Jahren BMC verlassen. "Ich bin zu Deceuninck - Quick-Step gewechselt, um diese Rennen gewinnen zu können. Dieses Team hat so viel Expertise und Erfahrung in diesen Rennen. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe", sagte er.
Lehrgeld aus dem Vorjahr macht sich bezahlt
Damit widerlegte er alle Kritiker, die ihn vor diesem Schritt gewarnt hatten. "Es war ein Risiko, als ich mich vor drei Jahren entschied, mein Programm von den Ardennenklassikern auf die Rennen in Flandern umzustellen. Aber ich wollte etwas verändern. Natürlich, ich hätte Lüttich – Bastogne–Lüttich ein zweites Mal oder das Amstel Gold Race ein fünftes Mal gewinnen können. Aber ich wollte auch andere Rennen gewinnen. Die Umstellung hatte dann schon dazu geführt, dass ich vor zwei Jahren bei der Flandern-Rundfahrt siegte. Im letzten Jahr habe ich in Roubaix noch Lehrgeld gezahlt, ich hatte zu wenig getrunken. Aber jetzt hat sich die Erfahrung ausgezahlt.“
Die Torturen der 29, insgesamt 54 Kilometer langen Pavé-Passagen waren dem Klassikerjäger anzumerken, der vor Glück wohl auch weinte, als er vom nicht minder weniger glücklichen Teamchef Patrick Lefevere umarmt wurde. "Der Rücken schmerzt, all die Schocks, die der Körper erhalten hat, machen sich bemerkbar. Als ich vom Rad abstieg und zu Fuß gehen wollte, kamen die Schmerzen erst richtig. Aber das ist normal nach einem solchen Rennen. Wir mussten tief gehen, es war ein langes Finale“, erzählte Gilbert nun wieder strahlend.
Lob für Politt: "Wir hätten heute beide den Sieg verdient"
Es war ein packender Fight, den er sich auf den letzten Kilometern mit Nils Politt (Katusha - Alpecin), dem wohl stärksten Fahrer im Peloton, geliefert hatte. "Es war eine gute Zusammenarbeit. Ich kannte Politt ja schon von manch anderen Fluchtgruppen in den vergangenen Jahren. Er ist keiner, der kalkuliert, sondern der seinen Anteil an der Führungsarbeit zu 100% leistet. Deshalb konnten wir auch vorn bleiben. Wir hätten heute beide den Sieg verdient“, lobte der erfahrene Radfuchs seinen jungen Herausforderer, den er taktisch clever ausmanövriert hatte.
Schon einen Kilometer vor der Einfahrt ins Velodrome zwang er den 25-Jährigen Deutschen in die Führungsarbeit. Dabei nutzte er eiskalt aus, dass Politt fahren musste, weil von hinten Gilberts Teamkollege Yves Lampaert immer näher rückte. Nach einem Zusammenschluss hätte er gegen das Quick-Step-Duo gar keine Chance mehr gehabt.
"Ich bin taktisch das perfekte Rennen gefahren"
Im Velodrome wartete Gilbert bis zur letzten Kurve, bevor er genau im richtigen Moment von der oberen Steilwand in die Tiefe stürzte. Politt reagierte um einen halben Tritt zu spät, was Gilbert reichte. "Ich bin taktisch das perfekte Rennen gefahren. Ich habe durch meine frühe Attacke alles zu meinem Vorteil gedreht. Nils Politt war der ideale Begleiter. Wir sind einfach nur gefahren. Am Ende gewinnt der Beste und das war zum Glück ich."
Es war ein sehr enges Rennen. Nicht mal Lefevere war sich sicher, dass sein Kapitän den Hürther würde schlagen können. "Ob ich für den Sprint Zweifel hatte?“, nahm er die Frage des belgischen TV-Senders Sporza auf: "Ja! Denn Politt ist nicht langsam. Er hält ja auch manchmal in Massensprints rein. Aber das ist ein anderes Rennen. Aber ich glaube auch, dass Philippe sich seiner Sache heute schon sehr sicher war. Philippe ist zwar nicht mehr so explosiv wie früher, aber das braucht es für dieses Rennen auch nicht. Kraft und Ausdauer sind wichtig, und das hat er."
In einer Woche wieder Ardennen-Jäger?
Reichen Gilberts Kraft und Ausdauer, um in den nächsten zwei Wochen die Verwandlung vom Pflasterspezialisten zum Puncheur umzukehren? "Jetzt freue ich mich auf Lüttich-Bastogne-Lüttich und das Amstel“, kündigte er an, weitere Siege einsammeln zu wollen. Nun wieder auf dem Terrain, dass er aus dem ff kennt.
Gilbert: "Die Form ist gut und die Erfahrung wichtig. 90% der Fahrer wissen in diesen Rennen gar nicht genau, wo sie sich befinden. Ich aber kenne dort jede Ecke, jede Kurve. Das war heute auch in Roubaix wichtig. Mir war jedes Pavé, jede Kurve vertraut. Ich wusste genau, wo ich mich befand. Das ist es, was Erfahrung ausmacht, dass man die Rennen kennt."
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