--> -->
08.11.2019 | (rsn) - Hallo aus Sungai Penuh Sumatra, Indonesien! Auch wenn es mir gerade schwer fällt, werde ich auch heute meiner Chronistenpflicht nachkommen.
Abfahrt am Hotel war wieder um 7 Uhr, denn bereits um 9 Uhr fiel der Startschuss zur 6. Etappe über 214 Kilometer mit 3000 Höhenmetern und drei Bergwertungen der ersten Kategorie. Ich rechnete mit über sechs Stunden Renndauer für mich und da ich mir mittlerweile einen Husten und Schnupfen eingefangen habe und ich noch verdammt müde war, wollte ich den Tag einfach nur überleben.
Mein holländischer Freund Iwan erzählte mir am Start, dass er gestern bei der Bergankunft während des Rennens zweimal angehalten hätte, um Fotos von der tollen Aussicht auf den Vulkankratersee zu machen. Dazu habe ich auch schon öfter Lust gehabt, weil die Landschaft, durch die wir hier täglich fahren, einfach so malerisch ist. So auch heute wieder, besonders als wir zu Beginn der Etappe eine 50 Kilometer lange Runde um den schönen Singkarak-See, der Namensgeber der Rundfahrt ist, fuhren.
Wie bisher jeden Tag fuhr ich nach der Neutralisation die Startattacke mit, denn ich weiß bei meinem aktuellen Glück genau, dass wenn ich es einmal nicht tue, gleich die erste Gruppe fahren gelassen wird. Es wurde allerdings nichts und ich bekam auch schnell Atemprobleme, weil ich erstmal Schleim abhusten musste. Nach 5 Kilometern ließ Sapura eine erneut nur vier Fahrer starke Gruppe fahren. Das scheint ihre Formel für 200-km-Etappen zu sein; nicht mehr als vier Mann in der Spitzengruppe. Der Vorsprung wuchs schnell auf sechs Minuten und es hätte ein schöner Tag im Feld werden können.
Etwa nach 70 Kilometern begann der sehr lange Anstieg bis auf 1600 m hinauf zu zwei Bergseen. Er war zwar insgesamt nicht besonders steil und auch immer wieder von Flachstücken oder kurzen Abfahrten unterbrochen, aber einfach verdammt lang. Recht schnell bekam ich Atemprobleme, musste viel herum husten und wurde abgehängt. Außerdem spürte ich den Druckunterschied in meinen Ohren. Ich befand mich bald in einer acht Fahrer großen Gruppe und nach der ersten Bergwertung auf 1000 m sahen wir das Feld nicht weit vor uns.
Nach einer kurzen Abfahrt ging es weiter hinauf zur zweiten Bergwertung auf 1600 m und wir machten weiter Druck, um eventuell wieder heran fahren zu können, falls im Feld das Tempo heraus genommen werden würde. Nach der zweiten Bergwertung folgte nicht gleich die Abfahrt, sondern es ging auf der Höhe am schönen Diatas-See entlang. Wir bekamen widersprüchliche Angaben über unseren Rückstand, irgendwas zwischen zwei und vier Minuten. Kurz vor der langen Abfahrt hieß es dann, dass wir näher ans Feld heran kommen würden und Hoffnung keimte auf.
Ich kannte die nun folgende Abfahrt von den letzten beiden Jahren und wusste, dass die Straße besonders im oberen Teil sehr schlecht und verschmutzt sein würde und äußerste Vorsicht geboten war. Die ließ ich auch walten, trotzdem rutschte ich in einer engen Linkskurve weg, als ich am Kurvenausgang in den dort liegenden Sand geriet. Ich stürzte ein paar Meter einen steinigen Abhang hinunter, krabbelte jedoch mit meinem Rad in der Hand schnell wieder auf die Straße zurück. Lautstark fluchte ich vor mich hin und hatte eigentlich überhaupt keine Lust mehr, weiter zu fahren.
Trotzdem checkte ich erst mein Rad, dass noch voll funktionstüchtig war und dann erst mich selbst mit dem Befund, eingeschränkt funktionsfähig. Beide Ellenbogen, Unterarme, Knie und Hüften waren aufgeschürft und überall war Schmutz drin. Jemand fragte mich, ob ich weiterfahren wolle und ich bejahte, obwohl ich eigentlich nicht wollte. Also schwang ich mich wieder auf mein Rad, an dem erstaunlicherweise alles tadellos funktionierte, und eierte wie eine Oma weiter die Abfahrt hinunter. Auf meinem Tacho sah ich, dass es noch 90 Kilometer bis ins Ziel waren, inklusive eines weiteren 10 Kilometer langen Anstiegs. Ich war mutterseelenallein und Hilfe war von nirgendwo zu erwarten.
An dieser Stelle verzichte ich darauf, mein Leiden und meine Gedanken der nun folgenden mehr als zweieinhalb Stunden auszubreiten. Die meisten regelmäßigen Leser meiner Tagebücher werden sich wahrscheinlich sowieso schon denken “der Typ wird ständig abgehängt, legt sich dauernd auf die Fresse und bemitleidet sich selbst, was kann der eigentlich?“ Die Frage ist nicht unberechtigt und ich stelle sie mir in letzter Zeit selber immer öfter. Diese Saison bekomme ich einfach nichts auf die Reihe und es läuft viel zu viel schief.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich dann doch noch völlig fertig im Ziel an und flüchtete vor den Menschenmassen in unseren Bus, wo ich mich verschwitzt, verschmutzt und blutig wie ich war auf den Boden legte und nicht mehr aufstehen wollte. Da sonst niemand da war, lag ich dort trotz Hunger und Durst eine Zeitlang komatös herum und schlief fast ein. Als mich schließlich doch jemand entdeckte, raffte ich mich mühsam auf und suchte im Zielbereich nach Sanitätern. Nachdem ich endlich fündig geworden war, wies ich sie an, meine Wunden zu säubern und sie fuhrwerkten unsanft darin herum, was sehr schmerzhaft war.
Auf dem Weg zurück zum Bus ging ein Wolkenbruch nieder und ich kam dort klatschnass für den nun folgenden dreistündigen Transfer an. Auf diesen elendigen Transfers nach jeder Etappe schreibe ich stets dieses Tagebuch, während alle anderen schlafen. Nun bekam ich auch mit, dass ich mit 36 Minuten Rückstand ungefährdet innerhalb des etwa einstündigen Zeitlimits das Ziel erreicht hatte, obwohl die letzten 90 Kilometer bei mir nichts mehr mit Radrennen fahren zu tun hatten. Ich habe mich also ordentlich gequält, um mich morgen wieder quälen zu dürfen, ziemlich dämlich eigentlich.
Da Aufgeben keine Option ist, werde ich genau das auch tun. Sorge bereitet mir allerdings mein rechtes Knie, das besonders zum Ende hin immer heftiger geschmerzt hat. Zum Glück steht morgen ein halber Ruhetag an, weil der Start aufgrund des muslimischen Freitagsgebets erst um 14 Uhr erfolgt und die Etappe nur 83 Kilometer lang ist. Leider gibt es gleich am Anfang die erste Bergwertung und wenn dort Vollgas gefahren wird, sehe ich schwarz für mich, denn das Zeitlimit beträgt nur 12 Prozent und die Etappe wird wohl unter zwei Stunden gefahren.
Eben fällt mir wieder ein, dass ich heute Morgen, als ich vorm Start auf einem versifften Klo zum Hinhocken mein Geschäft erledigte, eine dicke Kakerlake zu meinen Füßen beobachtete. Sie lag auf dem Rücken und strampelte mit allen Beinen wild um sich, kam jedoch nicht mehr auf die Füße. Ich dachte darüber nach, dass Kakerlaken ja eigentlich Überlebenskünstler sind und z.B. noch eine Woche ohne eigenen Kopf überleben können, aber bereits ein großes Problem haben, wenn sie einmal auf dem Rücken liegen. Ich half ihr jedenfalls nicht und überließ sie ihrem Schicksal. Vielleicht habe ich jetzt die Strafe dafür bekommen, indem ich mich nun selbst so fühle wie diese Kakerlake?
Ich konnte diesen Bericht gestern nicht mehr schicken, da es am Abend noch eine böse Überraschung gab. Nachdem wir in der Lobby eines Hotels herumgelungert hatten, wurde uns gesagt, dass es das falsche sei und wir fuhren woanders hin. Dort kamen wir dann um 21 Uhr an einem halbfertigen „Hotel“ an, das mehr ein nicht ausgebauter Rohbau war. Es gab weder Wasser, noch Internet oder Bettlaken. Also konnten wir weder duschen, noch unsere Radklamotten waschen. Aber wer braucht schon eine Dusche nach einem über sechsstündigen Radrennen, bei dem er in den Dreck gestürzt ist?
Radfahrzeit: 6:40 h
Transferzeit: 4:15 h
Souvenir des Tages: Modell eines traditionellen Hauses im Glaskasten
Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle.
Gez. Sportfreund Radbert
(rsn) - Hallo aus Padang, Sumatra, Indonesien! Ich habe es tatsächlich bis zur letzten Etappe geschafft und darf/muss heute noch ein letztes Mal in diesem Jahr zu einem Radrennen starten. Am Morgen
10.11.2019Die Überquerung des Zielstrichs als spirituelle Erfahrung(rsn) - Hallo aus Padang, Sumatra, Indonesien! Gestern Abend gab es in unserem Hotel tatsächlich spärlich Wasser, doch ich verzichtete erneut auf eine Dusche, da ich keine Lust auf die Schmerzen in
08.11.2019Verdammt! Ich bin doch noch im Rennen(rsn) - Hallo aus Sungai Penuh, Sumatra, Indonesien! Nach einer schlechten Nacht wachte ich wie gerädert auf und fühlte mich wie dreimal vom Bus überfahren. Es gab immer noch kein Wasser im „Hot
06.11.2019Facebook-Video rettete Loics 3. Platz, aber Kelok 44 war zu viel(rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Nachtrag zu gestern: da Loic ja wie berichtet 500 m vor dem Ziel gestürzt war, greift in diesem Fall die 3-km-Regel, er bekommt also die gleiche Ze
05.11.2019Meine Position auf dem Rad fühlte sich irgendwie falsch an(rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Um 5 Uhr klingelte heute der Wecker und als ich aufstand, fühlte ich mich ziemlich steif, besonders an meiner lädierten Schulter und im Nacken. Be
04.11.2019Es läuft einfach nicht rund(rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Heute Morgen wurden wir um sechs Uhr unsanft geweckt und uns wurde mitgeteilt, dass sich die Abfahrtszeit vom Hotel auf 7 Uhr statt ursprünglich 7:4
03.11.2019Nach vergeblicher Verfolgung stand ich wie ein Eimer auf der Kuppe(rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Nachtrag zu gestern: da wir zum Abendessen in ein anderes Hotel fahren mussten, verlängert sich die Transferzeit von gestern um eine halbe Stunde au
02.11.2019Akzeptiert, dass es heute nichts werden würde(rsn) - Hallo aus Bukittinggi, Sumatra, Indonesien! Heute ging es also mit einer relativ kurzen Etappe über 107 km endlich los. Wir starteten nach einem eineinhalbstündigen Transfer direkt am Stran
01.11.2019Es stehen uns sehr lange Tage bevor(rsn) - Hallo aus Padang, Sumatra, Indonesien! Ich begrüße euch zu meinem bereits siebten Tagebuch in diesem Jahr auf radsport-news.com! Begonnen hatte ich Anfang Februar bei der Ronda Pilipinas, m
(rsn) – Fährt er, oder fährt er nicht? Zuletzt schien es so, als wolle Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) für die nächsten Jahre noch einen Bogen um Paris-Roubaix machen. Doch neue Aussagen des 2
21.11.2024Nach Dopingsperre jetzt Haft auf Bewährung gefordert(rsn) - Nach vier Jahren Dopingsperre aufgrund eines positiven Test auf Epo im Jahr 2019 droht der früheren französischen Radsportlerin Marion Sicot jetzt eine einjährige Haftstrafe auf Bewährung.
21.11.2024Amador beendet Karriere trotz Vertrag, Movistar macht Nägel mit Köpfen(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr
20.11.2024Pieterse gibt ihr Cross-Programm bekannt(rsn) – Mountainbikeweltmeisterin Puck Pieterse (Fenix – Deceuninck) hat auf ihren Social-Media-Kanälen ihr Programm für den Winter bekannt gegeben. Die 22-Jährige steigt erst Mitte Dezember be
20.11.2024Das Pech zog sich wie ein roter Faden durchs Jahr(rsn) – Nach einer starken Saison 2023, als er Deutscher U23-Meister auf der Straße und im Zeitfahren wurde sowie einen sechsten Platz im WM-Straßenrennen der Espoirs einfuhr, ging Moritz Kretschy
20.11.2024Die negativen Erlebnisse übermalten die positiven(rsn) - Eigentlich hatte sich Marco Schrettl (Tirol - KTM) 2024 vorgenommen mit tollen Leistungen eine starke Empfehlung an die besten Teams des Straßenradsports abzugeben, doch ganz klappte der ambi
20.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport
20.11.2024Drei Mal Gold zu holen bleibt ein Traum(rsn) – Madison-Gold bei EM und WM, dazu zwei Podien in UCI-Rennen auf der Straße. Für Roger Kluge (rad-net – Oßwald) lief die Saison 2024 eigentlich perfekt, wäre da nicht die Enttäuschung b
20.11.2024Rundfahrtchefs Pupp, Senn und Wegmann heute im “Windschatten“(rsn) – Zum fünfjährigen Bestehen der österreichischen Radsport-Initiative "Österreich dreht am Rad" finden in dieser Woche in der Medienhalle Hall in Tirol täglich Podiumsdiskussionen und Live
20.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Frauen-Profiteams für 2025(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profiteam seit dem 1. August ihre Transfers offiziell bekanntgeben. Radsport-news.com samme
20.11.2024Van Gils und Lotto - Dstny sprechen über Vertragsauflösung(rsn) – Letzten Winter forcierte der Belgier Cian Uijtdebroeks seinen vorzeitigen Wechsel vom deutschen Bora - hansgrohe zu Visma - Lease a Bike. Eine ähnliche Geschichte könnte sich auch jetzt an
20.11.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem