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10.06.2020 | (rsn) - An virtuellen Rennen hat Tony Martin (Jumbo - Visma) nur teamintern teilgenommen. Und da wurde er nach eigenen Angaben "abgehängt". Warum das so ist und wie er die Zukunft sieht, erklärt der viermalige Zeitfahrweltmeister im Interview mit radsport-news.com.
Wie sind Sie bisher durch die Pandemie gekommen?
Martin: Extrem gut, muss ich sagen. Klar, die Wettkämpfe fehlen. Aber wir hatten Top-Wetter bis auf ein paar vereinzelte Ausnahmen und ich durfte immer in der Schweiz, wo ich wohne, draußen trainieren.
Sie hatten kaum Einschränkungen?
Martin: Nein, von den großen Einschränkungen habe ich nur aus den Medien erfahren. Ich muss auch sagen, dass das Leben in der Schweiz echt entspannt ist. Natürlich waren die Restaurants auch geschlossen, aber das Training durfte ganz normal durchgeführt werden. Wir durften das Land natürlich nicht verlassen. Wettkämpfe gab es auch nicht. Dadurch war das Training aber entspannter. Ich habe wöchentliche Vorgaben bekommen. Nicht jeder Tag war durchstrukturiert. Das geschah auch auf meinen Wunsch hin. Insgesamt gesehen, hatte ich bis jetzt ein entspanntes, stressfreies Profileben.
Wie viele Stunden trainierten Sie in der Woche?
Martin: So 18 bis 20 Stunden
Inklusive Kraftraum?
Martin: Das kam noch dazu. Da die Saison bis Ende Oktober gehen wird, habe ich versucht, ein Pensum zu finden, damit ich fit bleibe und nicht das verliere, was ich mir davor aufgebaut habe. Man muss sehen, dass man im April und Mai nicht überpaced, damit man zu "Saisonbeginn" noch frisch ist. Ich denke, da habe ich mit dem Trainer einen guten Mittelweg gefunden.
Jetzt beginnen die strukturierten Einheiten wieder und das Training wird intensiviert.
Wie wird Ihre Saison aussehen?
Martin: Ich gehe davon aus, dass es die Tour de France sein wird. Wie die Vorbereitung aussieht, muss noch besprochen werden. Nach der Tour werde ich wohl noch den Giro bestreiten, um Dylan Groenewegen zu unterstützen.
Viele sagen, das Critérium du Dauphiné sei diesmal wegen der Berge als Tour-Vorbereitung besonders wichtig. Gilt das auch für Sie?
Martin: Eher nicht! Wenn es ein Mannschaftszeitfahren geben würde, bei dem es bei mir auf die letzten drei Runden ankäme, dann könnte man diskutieren, ob noch mal ein Vorbereitungswettkampf wichtig wäre. Ansonsten bin ich der Meinung, dass ich ein gutes Niveau habe, mit dem ich bei der Tour de France einsteigen könnte. Ein Vorbereitungsrennen könnte nicht schaden. Ich sehe aber bei mir nicht die Notwendigkeit wie bei Klassementfahrern, die gleich von der ersten Etappe an gefordert sind. Da es für sie sehr schwer losgeht, ist es wichtig, noch eine Vorbereitung zu haben.
Haben Sie auch auf der Rolle trainiert?
Martin: Ja, habe ich! Aber mehr aus sozialen Gründen, um mit Fahrern aus unserem Team Kontakt zu halten. Mental, aber auch physisch. Wir haben teaminterne Wettkämpfe auf der Rolle bestritten. Zum Trainieren war es nicht notwendig, da ich ja in der Schweiz beste Trainingsbedingungen vorfinde. An den Wettkämpfen habe ich aber gerne teilgenommen, um mit den Kollegen zu interagieren. Auch um ansatzweise das Gefühl eines Wettkampfes zu haben. Für mich war das auch Neuland. So war es schön, einmal neue Eindrücke zu sammeln.
Warum sind Sie keine offiziellen Rennen gefahren, wie etwa die virtuelle Schweiz-Rundfahrt?
Martin: Unsere teaminternen Rennen wurden auch live übertragen. Da wurde ich aber mächtig abgehängt.
Warum?
Martin: Keine Ahnung, wie die Jungs das machen. Es ist sicherlich auch eine Kopfsache, wenn draußen 25 Grad sind und man in seinem Keller, der auch nicht ganz so groß ist, auf der Rolle sitzt. Mir fällt es auf der Rolle schwerer als auf der Straße, 400 oder 500 Watt zu treten. Ich bin auch ein Typ, der schnell überhitzt. Da ist die Rolle nicht so förderlich. Es kommen ein paar Sachen zusammen, die mir sagen, das ist nicht meine Art, Wettkämpfe zu bestreiten.
Eigentlich wären Sie ja mit Ihrem großen Motor, mit Ihren Zeitfahrqualitäten, für die Rolle wie geschaffen.
Martin: Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich für Trainingswettkämpfe auf der Rolle nicht wirklich motivieren kann. Da tue ich mich schwer. Das sind dann vielleicht die fünf Prozent, die ich im richtigen Zeitfahren oder für die Hilfe von Kollegen bei der Nachführarbeit noch zusätzlich bereitstellen kann. Die fehlen mir definitiv auf der Rolle.
Es gab jetzt in Norwegen und in Deutschland auf dem Sachsenring wieder die ersten Outdoor-Rennen. Was halten Sie von diesen Formen des Wettkampfes?
Martin: Wenn das von den zuständigen Behörden genehmigt wurde, ein stimmiges Sicherheitskonzept dahintersteht und jeder sich daran hält, sehe ich kein Problem. Es wäre schön, wenn es mehr solcher innovativer Idee geben würde und nicht immer nur Verbote ausgesprochen würden.
Wird es in diesem Jahr eine Tour de France geben?
Martin: Hätten Sie mich vor ein paar Wochen gefragt, hätte ich gesagt, eher nicht. Mittlerweile sind wir ja auf der Überholspur, was die sinkenden Neuinfektionen, die ganze Datenlage und die Lockerungen angeht. Ich sehe das alles positiv und bereite mich auch so vor, wie wenn die Tour am 29. August starten würde. Ich glaube, dass die Chancen sehr gut sind. Ich bin darauf eingestellt, dass es losgeht!
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