Mit Coolness und viel Talent ins Weiße Trikot

Hirschi imponiert in Nizza: “Oben wäre ich fast explodiert“

Von Felix Mattis

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Marc Hirschi (Sunweb) in der Abfahrt vom Col des Quatres Chemins zum Ziel in Nizza. | Foto: Cor Vos

30.08.2020  |  (rsn) - Am Ende fehlten nur wenige Zentimeter zum ganz großen Coup. Doch Marc Hirschi (Sunweb) hat in Nizza am Ende der 2. Etappe der Tour de France auch als Tageszweiter hinter Julian Alaphilippe (Deceuninck - Quick-Step) vollends überzeugt. Der U23-Weltmeister von Innsbruck 2018 brillierte durch taktische Cleverness, Coolness und auch beeindruckende fahrerische Fähigkeiten.

"Er ist ein taktisch cleveres Finale gefahren und hat den Sieg nur knapp verpasst. Ich denke, darauf kann man wirklich aufbauen. Er hat große Reife gezeigt in diesem Finale. Da wird noch einiges Gutes kommen", lobte Sunwebs Sportlicher Leiter Matt Winston seinen Schützling. Und Eurosport-Experte Bernhard Eisel gab zu, dass er es dem Schweizer Youngster sehr gegönnt hätte: "Es hat mir fast ein bisschen wehgetan, dass er es so knapp nicht geschafft hat. Das wäre ein unglaubliches Ding gewesen für ihn und Team Sunweb."

Das wäre es tatsächlich, und es sagt viel über Hirschis hohen eigenen Anspruch aus, dass er nach der denkbar knappen Niederlage gegen Alaphilippe zunächst frustriert war. "Ich muss zugeben, dass ich zuerst etwas enttäuscht war, weil ich nicht Gelb holen konnte. Ich bin so nah rangekommen", erklärte er im Ziel. Aber jetzt kann ich mich schon freuen. Auf der 2. Etappe schon um den Sieg zu kämpfen, ist mehr als ich erwartet habe und ein großer Erfolg. Das Gefühl will ich jetzt genießen."

Lokalmatador Roche gab wichtige Tipps

Hirschi ist einer der drei designierten Etappenjäger für die schwereren Tage im Kader von Sunweb bei dieser Tour de France. Die anderen beiden sind Tiesj Benoot, der am Col d'Eze früh abreißen ließ, und der an der Cote d'Azur lebende Nicolas Roche. Letzterer war auch Hirschis persönlicher Mentor für diesen Tag, denn die Sportliche Leitung hatte den Schweizer für die 2. Etappe als Kapitän auserkoren. Am Morgen hatte auch Nikias Arndt das gegenüber radsport-news.com bereits angedeutet.

"Nico hat mir gute Tipps gegeben, weil er die Anstiege sehr gut kennt", freute sich Hirschi über die Unterstützung des Lokalmatadors, der ihn im letzten Anstieg noch mit nach vorne begleitete, bevor dann 13 Kilometer vor dem Ziel am Col des Quatres Chemins - auf halber Höhe des Col d'Eze - Alaphilippe attackierte und Hirschi der Einzige war, der zu folgen vermochte.

"Jeder hat erwartet, dass Alaphilippe attackiert. Ich wollte gerade nach vorne aufrücken, als er losgefahren ist. Ich war zwar dann nicht sofort am Rad, aber ich wusste, wenn ich rankomme, dann hat man an diesem Anstieg auch noch etwas Windschatten. Also habe ich Vollgas gegeben und dann wäre ich fast explodiert, als wir oben waren", schilderte der 22-Jährige später die vorentscheidende Situation. Am Bonus-Sprint auf der Kuppe hatte er Alaphilippe und dem inzwischen zu den beiden vorgefahrenen Adam Yates (Mitchelton - Scott) nichts entgegenzusetzen. Doch Hirschi hatte ohnehin nur noch den Etappensieg im Kopf.

Hirschi beeindruckt in der Abfahrt und erinnert an Innsbruck 2018

"Ich habe es noch mit rüber geschafft und unten im Tal habe ich mich voll auf den Etappensieg konzentriert", erzählte der Berner, nachdem er in der Abfahrt die wohl sauberste Linie der drei Spitzenreiter fuhr - und das sogar im Vergleich mit Abfahrts-Ass Alaphilippe. Für Experten keine Überraschung: Schon als er vor zwei Jahren als Solist U23-Weltmeister wurde, setzte er den entscheidenden Angriff in der Abfahrt von Igls hinunter nach Innsbruck. Nun kam es zwar zu keiner Attacke, doch Hirschis Fähigkeiten wurden bei seiner Linienwahl trotzdem deutlich.

"Im Finale habe ich dann Alaphilippes Hinterrad gewählt und es gab starken Gegenwind. Am Ende bin ich etwas zu spät losgefahren", so Hirschi zum finalen Sprint von Nizza, vor dem er in beeindruckender Manier die Nerven behielt und sich auch nicht zu oft umsah. Einzig der Mut, vor Alaphilippe anzutreten, fehlte vielleicht.

Mit laut TV-Anzeige 49 km/h fuhr Hirschi dem Zielstrich auf den letzten Metern entgegen und war damit aus dem Windschatten des Franzosen zwei Stundenkilometer später als selbiger. Doch die Ziellinie kam etwa 20 Meter zu früh für den ersten Schweizer Etappensieg bei der Tour de France seit Fabian Cancellaras Prolog-Sieg in Lüttich 2012.

Immerhin durfte Hirschi aber trotzdem aufs Podium, um das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers überzustreifen. Das ändere zwar nichts daran, dass er mit seinem Team weiter in erster Linie auf Etappensiege aus sei, sagte er. Doch Hirschi erklärte trotzdem: "Natürlich versuche ich jetzt auch, in den nächsten Tagen das Weiße Trikot zu verteidigen."

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