RSNplus“Wir spielen nicht einfach so herum“

Boras Bravourstück in den Bergen hievt Hindley auf Giro-Platz 2

Von Tom Mustroph aus Turin

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Lennard Kämna und Wilco Kelderman (beide Bora - hansgrohe) erhöhen das Tempo im Feld. | Foto: Cor Vos

22.05.2022  |  (rsn) - Auf der 14. Etappe des Giro d’Italia zertrümmerte Bora - hansgrohe das Peloton regelrecht. Lohn sind Gesamtplatz zwei für Jai Hindley und Rang sieben für Emanuel Buchmann. Bis auf Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) wurden alle Rivalen im Klassement distanziert. Und vor allem präsentiert sich der Raublinger Rennstall als stärkste Bergmannschaft dieses 105. Giro.

Gut, es ist nur eine Momentaufnahme. So ordnete auch Jens Zemke gegenüber radsport-news.com die Aktion vom Samstag ein. “Die langen Berge kommen noch. Das Fahren dort, und hinzu kommt die Höhe, ist noch einmal etwas ganz anderes“, meinte der Sportliche Leiter von Bora - hansgrohe. Aber der Stolz über das Bravourstück im Hügelland ringsum Turin war dem erfahrenen Recken hinter dem Lenkrad doch anzusehen.

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Denn bei noch nicht einmal der Hälfte der Distanz dieser 14. Etappe fuhr Bora - hansgrohe förmlich das Feld auseinander. Fünf Mann setzten sich bei der Einfahrt auf den Rundkurs in Turin und Umgebung an die Spitze. Vielleicht hatte sie das Denkmal von Fausto Coppi, dem italienischen Radhelden der 1940er und 1950er Jahre, an dem sie vorbeirasten, beflügelt. Ganz gewiss aber hatten sie einen Plan. “Wir wollten früh Druck auf die Fahrer im Gesamtklassement ausüben, sie nach Möglichkeit isolieren und Zeit auf sie gewinnen“, erklärte Hindley später.

Nachdem Kämna seine Arbeit erledigt hatte und sich zurückfallen ließ (rechts), übernahm Kelderman die Tempoarbeit. | Foto: Cor Vos

Bora fuhr das Feld nach Gasparottos Plan auseinander

Ausgeheckt hatte den Plan Bora - hansgrohes neuer sportlicher Leiter Enrico Gasparotto. “Ihm gebührt alle Ehre“, sagte Kollege Zemke. Anfangs waren die Profis sogar skeptisch gewesen ob des tollkühnen Unterfangens. “Dann aber hat man an ihren Gesichtern gesehen, wie sehr sie daran geglaubt haben“, meinte Zemke beglückt. Einen Fahrer, Ex-Mountainbiker Ben Zwiehoff, hatte das Team in die Fluchtgruppe gesteckt. Die anderen, allen voran der junge Italiener Giovanni Aleotti, machten Druck. Später übernahm Ätna-Etappensieger Lennard Kämna, Zwiehoff ließ sich aus der Gruppe zurückfallen und arbeitete auch mit. Ergebnis aller kollektiver Anstrengungen war, dass das Hauptfeld auf eine Gruppe von etwa einem Dutzend Mann reduziert war.

“Es war ein verrücktes Rennen. Wir hatten unseren Plan. Aber dass das so gut funktioniert, konnten wir kaum erwarten. Das ganze Team war so irrwitzig gut“, schüttelte noch auf dem Zielstrich der vom Staub der Straße und dem Schweiß der Anstrengungen gezeichnete Hindley den Kopf.

Ein Extralob verdiente sich Wilco Kelderman. Mehr als eine Stadtrunde lang, also etwa 40 Kilometer, spannte der Niederländer sich vor die Gruppe und verhinderte, dass abgehängte Fahrer wieder aufschließen konnten. Kelderman opferte zudem seine eigenen Chancen im Klassement und warf jedes Watt an Energie für sein Team in die Waagschale. So eine kollektive Gesamtleistung sieht man nicht alle Tage im Radsport.

Das Powerpack aus Raubling wird von den Zuschauer frenetisch angefeuert. | Foto: Cor Vos

Zemke im Begleitwagen unter Strom: “Wir waren alle dehydriert“

Die Effekte, die diese Mannschaftsleistung mit sich brachte, waren sichtbar und enorm. Selbst in den Bora-Begleitwagen konnte man das Geschehene kaum fassen. “Uns hat überrascht, wie viele Fahrer anderer Teams allein waren. Nur Bahrain und Intermarche - Wanty - Gobert hatten noch zwei Mann dabei. Alle anderen waren isoliert, selbst Carapaz“, meinte Zemke. Er war im Begleitwagen derart unter Strom, dass er sogar das Wassertrinken vergaß. “Wir waren alle dehydriert“, sagte er lachend.

Die Bora-Profis waren im Staunen über die eigene Leistung nicht allein. Auch Carapaz, der neue Mann im Rosa Trikot, war verblüfft. “Bora hat uns mit dieser Attacke überrascht. Meine Teamkollegen waren zu weit hinten. Immerhin konnte ich vorn den Anschluss halten“, meinte der Ecuadorianer ehrlich. Streckenweise wirkte er im Rennen frustriert, hektisch gar, was man sonst nicht von ihm kennt.

Am Ende startete Carapaz noch einmal eine Attacke. “Damit haben wir gerechnet. Dass Jai dann aber Carapaz noch mal zurückholt – Chapeau“, meinte Zemke. Der 26-jährige Hindley, der neue Leader im Team, hatte mit seiner enormen Resistenz auf dem Rad selbst die überrascht, die den Plan ausgeheckt hatten.

Kelderman wird vor Carapaz und Nibali Zweiter im Bonussprint. Der Sieger hier wie später im Ziel war Simon Yates, der sich kurz vor dem Ziel absetzen konnte. | Foto: Cor Vos

Der Giro-Zweite von 2020 war am Ende sogar etwas geknickt, dass ihm der Etappensieg nicht glückte. “Nach der Leistung der gesamten Mannschaft wollte ich eigentlich den Sieg holen. Aber Yates war zu stark“, konstatierte der Australier. Das ist Beleg für seinen Siegeswillen. Der macht Hindley, verbunden mit der Kraft in seinen Beinen, zu einem ernsthaften Aspiranten auf das Rosa Trikot in Verona, wo der Giro kommenden Sonntag endet.

Bora drängte sogar Ineos in die Ecke

Die Turin-Etappe war dabei nur ein Zwischenziel, viele Berge müssen noch bezwungen werden. Bora - hansgrohe hat aber mehr als eine Duftmarke gesetzt. “Wir haben heute gezeigt, dass wir nicht einfach so herumspielen“, brachte Hindley es auf den Punkt. Arbeitet die Mannschaft zusammen, können sogar namhaftere Teams wie Ineos in die Ecke gedrängt und aus dem Spiel genommen werden.

Carapaz und Hindley sprinten um Platz zwei. | Foto: Cor Vos

Bisher hatte Bora - hansgrohe vor allem den Anspruch angemeldet, bei großen Rundfahrten mitreden zu wollen. Die Etappe von Santena nach Turin hat gezeigt, dass der Rennstall das Zeug für eine Hauptrolle hat. In der Teamentwicklung stellt dies einen Quantensprung dar.

Jetzt muss das neu erreichte Niveau allerdings Tag für Tag bestätigt werden. Dazu gehören schlaue Pläne im Teambus, die Überzeugung, sie umsetzen zu können und auch die Beine dafür.

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