RSNplusSportchef Niermann erklärt

Darum schickte Jumbo Van Aert in die Fluchtgruppe

Von Joachim Logisch aus Longwy

Foto zu dem Text "Darum schickte Jumbo Van Aert in die Fluchtgruppe"
Für seinen herausragende, offensive Fahrweise wurde Van Aert als kämpferichster Fahrer ausgezeichnet. Als Zeichen dafür darf der Belgier am nächsten Tag die rote Rückennummer tragen. | Foto: Cor Vos PRÜFEN

07.07.2022  |  (rsn) - Was wollte Jumbo – Visma bezwecken? Das fragten sich fast alle, als Wout Van Aert auf der 6. Etappe der Tour de France im Gelben Trikot eine Attacke nach der anderen fuhr, bis nach rund 70 Kilometern endlich die dreiköpfige Spitzengruppe mit ihm, Quinn Simmons (Trek – Segafredo) und Jakob Fuglsang (Israel - Premier Tech) stand.

"Wie Van Aert am Anfang attackierte, war krass. Aber ich weiß nicht so ganz, wo er hinwollte. Es war ein ekliges Tempo den ganzen Tag", fand auch Alexander Krieger (Alpecin – Deceuninck) gegenüber radsport-news.com keine Antwort.

___STEADY_PAYWALL___ Tadej Pogacar (UAE Team Emirates), der nicht zuletzt wegen Van Aerts Fahrweise Gelb übernahm, glaubte zu wissen, was dahinter steckte. "Wenn Van Aert die Etappe gewinnen wollte, musste er aus dem Feld davonziehen", erklärte der Slowene im Siegerinterview.

Selbst wenn er anfänglich irgendwelche Befürchtungen über den Verlauf des Tages gehabt haben sollte, zerstreuten die sich schnell. Pogacar: "Es waren nur drei Jungs in der Gruppe. Das war nicht perfekt für sie. Das perfekte Szenario wäre eine Gruppe von zehn Mann oder so, weil es fast unmöglich gewesen wäre, so eine große Gruppe zurückzuholen. Aber drei, am Ende zwei Jungs, waren gut zu kontrollieren."

Van Aert schaute sich nach seinen Attacken immer wieder um. Er wollte sehen,wer ihm folgte und wie groß der Abstand zu den Verfolgern war. | Foto: Cor Vos

Ganz so dumm, wie es zunächst aussah, war die Jumbo-Aktion nicht, wenn man den Erklärungen von Sport-Chef Grischa Niermann folgt. "Wir wussten, wenn wir heute auf Sprint fahren würden, dann würde uns kein Team helfen, weil Wout in einer so starken Form ist. Wir wollten auch nicht eine solche Etappe über 220 Kilometer komplett kontrollieren. Deshalb war der Plan, Wout in eine große Fluchtgruppe von 15 bis 20 Fahrern zu schicken", schilderte der Deutsche den Plan des Tages.

Denn die Konkurrenten wollten weder mit Van Aert sprinten noch flüchten. Gegen den Belgier hätten sie so oder so keine Chance gehabt. Doch einmal vorne raus, wollte Van Aert die Beine nicht mehr hochnehmen, um dem "Gelben Trikot die Ehre zu erweisen", wie er später sagte.

Auch Niermann rief seinen Star nicht zurück, obwohl er ahnte, dass der Plan nicht aufgehen würde. "Am Ende waren sie nur zu dritt. Aber wenn man mal vorne ist, dann hat man natürlich auch Chancen", hoffte Niermann zunächst. "Für einen Moment sah es gut aus, aber dann fingen viele Teams an, nachzuführen. Entweder für die Gesamtwertung oder für den Tagessieg. Ich weiß es nicht", konnte er sich die Reaktion der Gegner nicht erklären.

Mit Simmons war der Belgier lange an der Spitze unterwegs, nachdem sich Fuglsang verabschiedet hatte. | Foto: Cor Vos

"Meine Fahrer haben sich beschwert und gemeint, ich sollte mich mal bei den anderen Teams erkundigen, warum sie hinterherfahren. Aber jede Mannschaft hat ihre eigene Taktik, wie auch wir unsere eigene haben. Leider ging unser Plan nicht auf. Aber wenn Wout nicht in der Fluchtgruppe gewesen wäre, dann hätte es heute auch kein Sprintfinale gegeben, dann hätte es die Fluchtgruppe geschafft. Da bin ich mir zu 100 Prozent sicher", betonte Niermann, obwohl er wissen musste, dass Gelb verloren gehen würde, falls Van Aert nicht durchkommen würde.

Wobei das Gelbe Trikot auf den Schultern des Olympia- und ehemaligen WM-Zweiten (2020) im Straßenrennen bei dieser Tour ja nicht das Hauptziel von Jumbo – Visma ist, sondern eher ein schöner Beifang der ersten Tourwoche gewesen war. Jonas Vingegaard oder Primoz Roglic sind die Anwärter, die Gelb am Ende in Paris tragen sollen. Auch dafür sollte Van Aerts Kraftakt herhalten. 

Niermann: "Primoz hatte nach seinem Sturz gestern einen harten Tag und eine solche (Spint-)Ankunft ist nicht die Spezialität von Jonas. Wir wollten in dieser Konstellation eigentlich keinen Sprint, da wir wussten, dass dann Pogacar der Stärkste sein würde. Aber die anderen Teams wollten einen Sprint, also mussten wir das Beste daraus machen. Ich bin stolz darauf, was die Jungs heute gezeigt haben, nach dem für uns schlimmen gestrigen Tag."

Am Ende versuchte Van Aert sein Glück noch als Solist. | Foto: Cor Vos

Dennoch gab Van Aert die Führung in der Gesamtwertung der Tour mit etwas Wehmut ab. "Gelb ist auf jeden Fall schöner", beantwortete er die Frage, welches Trikot er lieber habe, da er weiterhin auch in der Punktewertung führt. "Ich habe das Gelbe geliebt, und ich werde auch das Grüne lieben", fügte er an.

Er ahnte, dass die Chancen für den Tagessieg wohl gegen Null tendierten, nachdem keine große Gruppe zustande kam. "Mir war schon klar, dass es schwer würde, es bis ins Ziel zu schaffen und ich nach all den Anstrengungen nicht mehr in den Kampf um den Etappensieg würde eingreifen können", sagte der 27-Jährige, der auch zugab, dass ihm nun eine große Last von den Schultern genommen wurde: 

"Ab jetzt werde ich andere Aufgaben haben. Ich werde die Jagd nach den Punkten fortsetzen, aber auch meine Teamkollegen mit aller Kraft unterstützen. Morgen werde ich in der ersten Hälfte der Etappe und bis zum letzten Anstieg arbeiten. Danach werde ich die Etappe in Ruhe beenden, um mich ein bisschen zu erholen."

Auch wenn es ihm letztlich nichts Zählbares einbrachte, die Anerkennung der Kollegen hatte Van Aert sich ein weiteres Mal verdient. "Chapeau vor Wouts Leistung, er ist ein großer Sportler", lobten Schachmann und Kämna stellvertretend für wohl alle!

Die Trikots vor den Start in Binche, im Ziel haben sie später gewechselt. Van Aert übernahm Grün von Jasper Philipsen (Alpecin - Deceuninck). | Foto: Cor Vos

Mehr Informationen zu diesem Thema

07.07.2023Pech mit der Kette bringt Cavendish um den Rekordsieg

(rsn) – Es hat nicht viel gefehlt, um das Märchen perfekt zu machen. Am 7. Juli 2007 gab Mark Cavendish, damals noch im Trikot von T-Mobile, sein Debüt der Tour de France. Den Prolog in London bee

12.06.2023Van Aert kritisiert Netflix-Serie: “Zielt auf Aufreger ab“

(rsn) – Am vergangenen Donnerstag ist die von vielen Fans lange erwartete Netflix-Serie ´Tour de France: Unchained´ veröffentlicht worden, die hinter die Kulissen der Frankreich-Rundfahrt 2022 bl

02.03.2023Trailer zur Netflix-Serie über die Tour de France veröffentlicht

(rsn) – Den Titel, “Tour de France: Unchained“, hatte Netflix bereits vor einigen Tagen veröffentlicht. Jetzt folgte auch der erste Trailer zu der Doku-Serie, die aus acht Teilen bestehen und v

16.12.2022Sagan hat van Aert noch nicht vergeben

(rsn) – In einem Gespräch mit der italienischen Sportzeitung Gazzetto dello Sport hat Peter Sagan (TotalEnergies) deutlich gemacht, dass er Wout van Aert (Jumbo – Visma) noch nicht für dessen ve

23.11.2022Aktivisten der “Letzten Generation“ bekommen 500-Euro-Strafe

(rsn) – Dreimal kam das Peloton bei der Tour de France 2022 aufgrund von Protesten durch Klima-Aktivisten und Klima-Aktivistinnen kurz zum Stillstand: Zunächst auf der 10. Etappe auf dem Weg nach M

17.11.2022Pogacar: “Evenepoel ist vielleicht sogar stärker als ich“

(rsn) – Mit nicht weniger als 16 Siegen war Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) auch im Jahr 2022 eine der dominierenden Figuren des Radsports. Der 24-jährige Slowene gewann bedeutende Eintagesrennen

03.11.2022CAS bestätigt Quintanas Tour-Disqualifikation

(rsn) - Der Internationale Sportgerichtshof CAS hat die Entscheidung des  Radsportweltverbands UCI bestätigt, der Nairo Quintana (Arkea – Samsic) nachträglich von der Tour de France 2022 disquali

29.08.2022Geschke: “Jedes Bergtrikot am Straßenrand motivierte mich“

(rsn) - Ganz allein erreichte Simon Geschke, der Kapitän der Deutschen Nationalmannschaft, das Ziel der finalen 4. Etappe in Stuttgart. Der Freiburger kam 7:07 Minuten nach Tagessieger Pello Bilbao (

13.08.2022Von Corona genesen: Froome und Woods starten bei Vuelta

(rsn) – Sowohl Chris Froome als auch Teamkollege Michael Woods haben sich von ihrer Corona-Infektion erholt, die sie sich bei der Tour de France zugezogen hatten. Die beiden Fahrer von Israel - Prem

05.08.2022Zwei Wochen vor Vuelta-Start: Roglic trainiert wieder

(rsn) – Zwei Wochen vor dem Start der Vuelta a Espana hat Primoz Roglic wieder das Straßentraining aufgenommen. Der dreimalige Gesamtsieger der Spanien-Rundfahrt war auf der 5. Etappe der Tour de

31.07.2022Van Vleuten auf völlig anderem Level - wie geht das?

(rsn) – Der Solo-Coup von Annemiek van Vleuten (Movistar) auf der Königsetappe der Tour de France der Frauen hat bei den Beobachtern einmal mehr für große Augen und offene Münder gesorgt. Die 3

31.07.2022Von einem “toten Fisch“ und völlig leergefahrenen Körpern

(rsn) – Die Königsetappe der Tour de France der Frauen hat für riesige Abstände unter den Protagonistinnen gesorgt. Annemiek van Vleuten (Movistar) scheint ihren Gesamtsieg schon vorzeitig perfek

Weitere Radsportnachrichten

18.12.2024Trotz vieler Krankheitsphasen stark in Portugal

(rsn) – Die Titelverteidigung bei der Portugal-Rundfahrt (2.1) gelang zwar nicht. Doch auch mit dem zweiten Platz in der Gesamtwertung konnte Colin Stüssi (Vorarlberg) zufrieden sein, zumal er sich

18.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

18.12.2024Rik Van Looy kurz vor seinem 91. Geburtstag verstorben

(rsn) – Mit Rik Van Looy ist in der Nacht von Dienstag von Mittwoch einer der größten belgischen Radsportler verstorben. Wie die Zeitung Het Nieuwsblad schrieb, war der mehrmalige Straßen-Weltm

18.12.2024Tour-Neunter Gee fährt beim Giro 2025 auf Klassement

(rsn) - Angeführt vom Kanadier Derek Gee startet Israel – Premier Tech mit einem 30 Fahrer starken Kader in die Saison 2025. Der Tour-de-France-Neunte des vergangenen Sommers will sich im kommenden

18.12.2024Denk: “Jetzt setzen wir wieder auf die nächste Generation“

(rsn) – Neun Zugänge hat Red Bull – Bora – hansgrohe bisher für die neue Saison präsentiert. Zumindest theoretisch wäre noch einer mehr möglich, doch nach aktuellem Stand geht das Team mit

18.12.2024Aus BEMER Cyclassics werden ab 2025 die ADAC Cyclassics

(rsn) – Aus den BEMER Cyclassics in Hamburg werden ab der Saison 2025 sowohl im Breitensport- als auch im Profibereich die ADAC Cyclassics. Das gab die ASO Germany als Veranstalter des deutschen Wor

18.12.2024Red Bull wird 2025 auch Partner bei Tudor Pro Cycling

(rsn) - Das Schweizer ProTeam Tudor wird in der kommenden Saison mit dem österreichischen Energy-Drink-Hersteller Red Bull zusammenarbeiten. Das gab der Rennstall am Mittwoch via Pressemitteilung bek

18.12.2024Die Trikots der WorldTeams für die Saison 2025

(rsn) - Wie bunt wird das Peloton 2025? Und welche werden die vorherrschenden Farben in der kommenden Saison sein? Nach und nach stellen die WorldTour-Rennställe ihre Trikots für das neue Jahr vor -

18.12.2024Nach einem Jahr als Leader künftig in Pidcocks Schatten

(rsn) – Nach vier Jahren beim belgischen Quick-Step-Team stand im vergangenen Winter für Jannik Steimle ein Tapetenwechsel an. Mit dem Wechsel zum Zweitdivisionär Q36.5 verband er die Hoffnung, vo

18.12.2024Erste Fahrer von rad-net – Rembe Sauerland stehen fest

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

17.12.202483. Paris-Nizza mit zwei Bergankünften und Teamzeitfahren

(rsn) – Die 83. Ausgabe der Fernfahrt Paris – Nizza (9. – 16. März) 2.UWT) hat je drei Etappen für Sprinter und Kletterer, ein Teilstück für Puncheure und auch wieder ein Teamzeitfahren im P

17.12.2024Pogacar-Helfer will den “Killerinstinkt“ wieder erwecken

(rsn) - Felix Großschartner (UAE Team Emirates) steckt zwar gerade in Spanien, im Luxusresort Grand Hotel Luxor in Benidorm, in dem es von pharaonischen Symbolen wie Obelisken, Sphinxen und Pyramiden

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine