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19.05.2023 | (rsn) - Lorena Wiebes war außer sich und wirkte völlig verzweifelt. Die 24-Jährige stieg nach der 2. Etappe der Vuelta a Burgos Feminas die Treppen aus dem Podiums-Truck herunter und suchte ihren Sportdirektor Danny Stam. Auf die kurze Frage von radsport-news.com, was los sei, antwortete sie nur kurz: "Sie wollen mich distanzieren!" Nach kurzer und hitziger Diskussion mit Stam und ihrem Betreuer marschierte sie in Begleitung einiger Offizieller zum Jury-Wagen der UCI.
Dort durfte sich die Niederländerin die fragliche Szene noch ein paar Mal anschauen, doch die Entscheidung der Kommissäre stand: Weil Wiebes im Finale bei der Eröffnung ihres Sprints in der über rauhes Pflaster führenden Gasse hinauf zum Martkplatz von Lerma die US-Amerikanerin Chloe Dygert (Canyon - SRAM) zur Seite gerempelt hatte, setzte sie das Schiedsgericht ans Ende des Spitzentrios zurück.
Wütend und gestikulierend verließ der große Sprint-Star den Jury-Wagen wieder und ließ sich erst von ihrem Teambetreuer etwas beruhigen, bevor sie mit versteinerter Miene wieder in den Podiums-Truck hinaufstieg, um dann mit dem Lila Trikot der Gesamtführenden vor die TV-Kameras zu treten.
___STEADY_PAYWALL___ "Ich bin mit der Situation und der Entscheidung der UCI nicht wirklich einverstanden", erklärte sie radsport-news.com anschließend mit viel Understatement und in freundlichem Ton im ersten und einzigen nach der Distanzierung geführten Interview vor Ort, als die erste Aufregung und der größte Groll abgeklungen waren. "Ich musste in der Szene ja auch selbst aufhören zu pedalieren. Und meiner Meinung nach fahre ich meine Sprints immer fair."
Es war offensichtlich: Wiebes fühlte sich schlicht unfair behandelt, weil sie nicht absichtlich in Dygert hineingefahren war. Die Entscheidung der Jury musste man, objektiv betrachtet, aber akzeptieren. Der Rempler war, gerade weil Dygert in diesem Moment sogar die Nase leicht vorne hatte und Wiebes sie hätte bemerken müssen, durchaus bestrafbar. Man musste es so nicht werten, man konnte aber eben sehr wohl.
Jubel über den vermeintlichen Sieg bei einer schweren Ankunft: Lorena Wiebes nach dem Bergaufsprint in Lerma. | Foto: Cor Vos
"Ich persönlich denke nicht, dass das über der Grenze war, aber es ist die Entscheidung der Jury und die hat immer Recht", erklärte Stam später in einer Pressemitteilung des Teams SD Worx. "Wir müssen das akzeptieren und letztendlich tut es uns nicht allzu sehr weh, weil wir die Etappe trotzdem gewonnen haben."
Das tat der niederländische Rennstall tatsächlich, weil Demi Vollering hinter Wiebes ebenfalls jubelnd als Zweite über den Zielstrich kam und somit nach der Distanzierung ihrer Teamkollegin den Sieg erbte. "Ich habe nicht gewonnen", sagte sie zwar auf dem Podium und betonte das auch gegenüber radsport-news.com: "Ich bin jetzt natürlich froh, dass ich vor Chloe geblieben bin auf den letzten Metern, so dass wir trotzdem gewonnen haben. Aber für mich ist die Siegerin heute Lorena. So wie sie in der steilen Rampe an mir vorbeikam, war das wirklich beeindruckend."
Und das war es letztendlich auch, was Wiebes so sehr am Schiedsspruch störte: Dass sie, Rempler hin oder her, in Lerma trotz der steil ansteigenden Ankunft klar die Stärkste war und trotzdem nicht den Sieg bekam. "Wenn man sich so stark fühlt, ist es ziemlich nervig, dass man dann so etwas gesagt bekommt und sie diese Ansicht haben", erklärte sie und schilderte die Situation nochmal konkret aus ihrer Sicht:
Keine glückliche Gewinnerin: Demi Vollering fühlte sich auf dem Podium nach der 2. Etappe der Vuelta a Burgos Feminas fehl am Platz. | Foto: Cor Vos
"Ich war an Demis Hinterrad und als ich ausscheren wollte, blieb ich an der Kante zwischen der schmalen Spur in der Mitte und dem steinigen Untergrund hängen. Dadurch habe ich etwas die Kontrolle über mein Rad verloren. Deshalb hing ich dann in Chloe. Es war aber niemals meine Absicht, sie wegzustoßen. Denn sonst weiß ich ja, was passiert."
Wichtig festzuhalten war im Bezug auf die Szene auch, dass die Jury ihre Entscheidung nicht aufgrund eines Protests der Konkurrenz fällte. Dygert nämlich hatte die Niederlage akzeptiert und erfuhr von Wiebes' Distanzierung erst nach Abfahrt aus Lerma durch ihren Sportdirektor Magnus Backstedt. Gegenüber radsport-news.com hatte sie vorher, konkret auf den Rempler angesprochen, erklärt:
"Ich war an vierter Position hinter Balsamo, und dann bin ich vorbeigefahren. Lorena war auf dem ebeneren Streifen in der Mitte und als sie entschied, um Demi herumzufahren, haben wir uns gegenseitig berührt. So läuft das eben manchmal." In der Pressemitteilung ihres Teams sagte sie aber auch, dass sie durch die Berührung zweimal an ihren Schalthebel kam und dadurch wohl runterschaltete. "Deshalb war es schwer, wieder loszukommen", so Dygert da. Behindert hat sie der Rempler, das war auch mit bloßem Auge zu erkennen, also in jedem Fall.
Chloe Dygert (Canyon - SRAM) scheint endlich zurück auf dem Weg an die Weltspitze zu sein. | Foto: Cor Vos
Am Samstag nun dürften Wiebes und Dygert bei voraussichtlich einer Massenankunft auf nur leicht ansteigenden Zielgeraden in Aranda de Duero ihre Kräfte wieder im Sprint messen. Vorher aber dürfte es noch zu einem Gespräch zwischen ihnen kommen. "Ich werde auf jeden Fall mit Chloe darüber sprechen", versicherte nämlich Wiebes. "Aber was ich gehört habe, hat sie es wohl auch als normalen Rennvorfall gesehen. Sie kam auf jeden Fall nicht sauer zu mir - und ich denke das würde ich tun, wenn mich jemand wirklich weggestoßen hätte."
Als sie das sagte, konnte die 24-Jährige immerhin schon wieder lächeln. Die Wut aus den ersten Momenten nach Bekanntgabe der Jury-Entscheidung hatte sich gelegt und wich mehr und mehr positiver Energie und Motivation für den Samstag: "Dann zeigen wir unsere Beine eben morgen wieder", so die Sprint-Überfliegerin.
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